Priester Mirco Quint unterstützt von Tokio aus die Seelsorge-Arbeit bei den Olympischen Spielen. Im Interview spricht er über Olympia-Seelsorge unter Corona-Bedingungen, die mentalen Herausforderung für die Sportler und seine Pläne für die Zeit nach dem Wettkampf.
Tokio –Seit Mitte Juni ist der Priester Mirco Quint (43) aus dem Bistum Essen für die deutschsprachigen Katholiken in Japan zuständig und unterstützt von Tokio aus die Seelsorge-Arbeit bei den Olympischen Spielen. Im Interview spricht er über Olympia-Seelsorge unter Corona-Bedingungen, die mentalen Herausforderung für die Sportler und seine Pläne für die Zeit nach dem Wettkampf.
Herr Quint, gerade einmal sechs Wochen als Pfarrer in Japan und schon als Seelsorger bei den Olympischen Spielen – wie kam es dazu?
Quint: Die offiziellen Olympia-Seelsorgerinnen und -seelsorger aus Deutschland, unter ihnen die von der Deutschen Bischofskonferenz beauftragte Elisabeth Keilmann, haben wegen Corona keine Einreisegenehmigung nach Japan bekommen. Sie werden nicht als Funktionelle angesehen. Auch ich darf nicht ins olympische Dorf – außer in absoluten Notsituationen wie zum Beispiel im Todesfall. Deswegen ist es wichtig, dass eine Person in der Stadt anwesend ist.
Wie funktioniert Olympia-Seelsorge, wenn wegen der Pandemie Athleten und Trainer abgeriegelt von der Außenwelt sind?
Quint: Das Team in Deutschland bietet verschiedene virtuelle Möglichkeiten an. Alle Athleten haben die Kontaktdaten erhalten und können die Seelsorger so erreichen. In einem Video haben wir uns vorgestellt. Dadurch haben die Teilnehmer auch von mir erfahren und dass ich vor Ort bin. Manche melden sich dann gezielt bei mir.
Aber auch Sie dürfen Ihre Unterstützung nur virtuell oder telefonisch anbieten. Warum kommen die Olympioniken trotzdem direkt auf Sie zu?
Quint: Es macht eben einen Unterschied, ob jemand wenige Kilometer oder viele Flugstunden entfernt ist. Die Teilnehmer können wegen Corona Land und Leute nicht kennenlernen, haben auch nicht die Möglichkeit, in eine Kirche zu gehen. Sie bitten mich zum Beispiel darum, für sie vor Ort in Tokio eine Kerze anzuzünden. Das ist etwas anderes, als wenn die Kerze irgendwo in Deutschland brennt. Außerdem bin ich den gleichen Rahmenbedingungen ausgesetzt. Ich musste bei meiner Einreise auch für 14 Tage in eine strenge Quarantäne und erlebe die Hitze und Schwüle in Japan.
Wie wird das Angebot der Seelsorge denn angenommen?
Quint: Es sind keine riesigen Zahlen, mit denen wir konfrontiert sind. Es gibt ja auch bei Olympia mentale Coaches, aber wer ein Gespür für Religion hat und dort Ansprache sucht, für den sind wir da.
Große Aufmerksamkeit hat die US-amerikanische Turnerin Simone Biles bekommen, die wegen mentaler Probleme eine Auszeit vom Turnier brauchte. Inwiefern spielen solche Fragen auch bei Ihrer Arbeit eine Rolle?
Quint: Die Sportler sind einer riesigen mentalen Anstrengung ausgesetzt. Sie bereiten sich seit fünf Jahren auf diesen einen Moment vor, in dem dann alles passen muss. Außerdem kommt noch die Pandemie hinzu. Selbst in dieser Olympia-Blase, in der sie täglich getestet werden und keinen Kontakt nach außen haben, bleibt die Angst vor Ansteckung. Wem darf ich eigentlich noch nahe kommen?
Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung Tokios war gegen die Austragung der Olympischen Spiele in diesem Jahr. Das ist enorm.
Die Angst vor Ansteckung war ja auch unter den Japanern vorab ein Thema, die Proteste gegen Olympia groß. Wie ist die Situation aktuell?
Quint: Man muss sich das einmal vorstellen, mehr als 70 Prozent der Bevölkerung Tokios war gegen die Austragung der Olympischen Spiele in diesem Jahr. Das ist enorm. Und die möglichen Ansteckungen bleiben natürlich präsent. Wenn ich durch die Straßen laufe, merke ich, dass die Japaner um mich als Ausländer einen großen Bogen machen. Dabei ist wegen der Abriegelung der Olympiateilnehmer eigentlich klar, dass ich nicht wegen des Wettkampfs im Land bin. Aber niemand will sich anstecken oder für eine neue Virusvariante verantwortlich sein.
Wir Christen sind eine so kleine Minderheit. Wir werden in unserer Religionsausübung überhaupt nicht behindert oder kritisch beäugt. Aber wenn gerade die 0,4 Prozent Katholiken im Land einen Corona-Ausbruch zu verantworten hätten, dann wäre das ein Desaster.
Der Erzbischof von Tokio, Tarcisio Isao Kikuchi, hatte wegen der Pandemie vorab die Teilnehmer und Besucher darum gebeten, auf Kirchenbesuche zu verzichten. Aber von den Sportlern kommt eh niemand aus dem Dorf in eine Kirche, oder?
Quint: Das ist richtig, und auch Zuschauer aus dem Ausland gibt es keine. Ich denke, es ging bei der Ansage vor allem darum, als Christen nicht negativ aufzufallen. Die Menschen in Japan sind alle sehr vorsichtig, was das Virus angeht. Wir Christen sind eine so kleine Minderheit. Wir werden in unserer Religionsausübung überhaupt nicht behindert oder kritisch beäugt. Aber wenn gerade die 0,4 Prozent Katholiken im Land einen Corona-Ausbruch zu verantworten hätten, dann wäre das ein Desaster.
Abgesehen von der Olympia-Seelsorge: Die deutschsprachige Gemeinde Sankt Michael feiert nächstes Jahr ihr 60-jähriges Bestehen. Sie sind seitdem der erste Priester, der explizit auch für die Gemeindearbeit in Tokio zuständig ist. Was steht in den nächsten Monaten für Sie an?
Quint: Ich kann sehr viel konzeptionell arbeiten und Ideen umsetzen. Das ist megacool! Tokio ist riesig, die Leute fahren teilweise neunzig Minuten durch die Stadt, um zum Gottesdienst am Sonntag zu kommen. Da ist unter der Woche in der Kirche kaum was möglich. Zusammen mit dem Pfarrgemeinderat arbeite ich an Möglichkeiten, wie Gemeindearbeit trotzdem funktionieren kann. Auch haben wir in der Region Kansai, 500 Kilometer von hier entfernt, eine Filialgemeinde eröffnet. Dort werde ich künftig einmal im Monat hinfahren.
Fünf Jahre sind Sie nun in Tokio eingesetzt. Was möchten Sie bis dahin erreicht haben?
Quint: Neben der Gemeindearbeit mache mir immer wieder bewusst, dass ich der einzige deutschsprachige Priester für die Katholiken in Japan bin und hoffe, dass ich sie erreichen kann. Ich möchte Land und Leute kennenlernen – von den schneebedeckten Bergen im Norden bis hin zu den Inseln im tiefsten Süden, wo der ewige Sommer herrscht.