Woelki: Habe über Rücktritt nachgedacht

Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki hat nach eigenen Angaben im vergangenen Winter darüber nachgedacht, sein Amt aufzugeben.
Bonn – Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki hat nach eigenen Angaben im vergangenen Winter darüber nachgedacht, sein Amt aufzugeben. "Als damals ein neuer Missbrauchsfall bekannt wurde, habe ich mir spontan gesagt, dass ich jetzt eigentlich nur noch meinen Rücktritt anbieten kann, um als derjenige, der gegenwärtig die Verantwortung für das Erzbistum trägt, auch die institutionelle Verantwortung für das Vergehen und das Versagen in den früheren Jahren zu übernehmen", sagte Woelki dem Bonner Generalanzeiger (Mittwoch). "Aber ich nehme meine moralische Verantwortung eher wahr, indem ich mich der Aufarbeitung stelle und nicht meine Verantwortung an andere abgebe."

Kardinal Rainer Maria Woelki –Foto: rwm

Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki hat nach eigenen Angaben im vergangenen Winter darüber nachgedacht, sein Amt aufzugeben. „Als damals ein neuer Missbrauchsfall bekannt wurde, habe ich mir spontan gesagt, dass ich jetzt eigentlich nur noch meinen Rücktritt anbieten kann, um als derjenige, der gegenwärtig die Verantwortung für das Erzbistum trägt, auch die institutionelle Verantwortung für das Vergehen und das Versagen in den früheren Jahren zu übernehmen“, sagte Woelki dem Bonner Generalanzeiger (Mittwoch). „Aber ich nehme meine moralische Verantwortung eher wahr, indem ich mich der Aufarbeitung stelle und nicht meine Verantwortung an andere abgebe.“

Apostolische Visitation „faires und gutes Vorgehen“

Die Entsendung der apostolischen Visitatoren im Juni sei ein „faires und gutes Vorgehen“, meinte der Erzbischof. Nun wünsche er sich jedoch eine zeitnahe Stellungnahme aus Rom. „Der Vatikan hat von sich aus die Angelegenheit an sich gezogen und darum jetzt auch die Verpflichtung, sich mit Blick auf alle betroffenen Personen sachgerecht zu äußern. Es kann nicht sein, dass man sich monatelang Zeit lässt und die Menschen in Ungewissheit belässt“, so der Kardinal.

Woelki, der am Mittwoch seinen 65. Geburtstag feiert, gibt an, dass er sich durch die öffentliche Diskussion über die Missbrauchsfälle „auf eine ganz andere Weise herausgefordert“ fühle. Es sei schwierig, weil aus rechtlichen Gründen die Öffentlichkeit nicht alle Zusammenhänge erfahren dürfe.

Woelki verteidigt Verhalten

Vor diesem Hintergrund verteidigt Woelki auch das Zurückhalten des Missbrauchsgutachtens der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) für das Erzbistum Köln. Die Verantwortlichen der Erzdiözese wären von „namhaften Juristen“ darauf hingewiesen worden, dass die Veröffentlichung rechtswidrig gewesen wäre. Deswegen habe er entschieden, das Gutachten zurückzuhalten, obwohl es „einiges an Ärger und Vertrauensverlust erspart“ hätte.

Generell hält der Erzbischof es für richtig, dass sich die Kirche selbst mit Missbrauchsfällen in ihren Reihen beschäftigt. „Man muss die Fähigkeit und auch die Bereitschaft haben, ein solches Versagen selbst aufzuarbeiten“, sagte Woelki. Dem sei die Kirche auch bereits durch die Vorlage eines unabhängigen Gutachtens nachgekommen. „Jetzt werden wir die Aufarbeitung einer unabhängigen Kommission unter anderem aus Juristen, Psychologen und Medizinern anvertrauen und warten darauf, dass das Land die dazu notwendigen Schritte einleitet. Von uns aus hätte das vor Wochen geschehen können.“

Wie geht es weiter?

Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki wird am Mittwoch 65 Jahre alt. Der „halbrunde“ Geburtstag fällt in eine für ihn spannungsvolle Zeit, und er soll dem Vernehmen nach im kleinen Rahmen gefeiert werden. Auch die Überreichung einer Festschrift ist geplant, in der mehrheitlich konservative Theologen als Autoren versammelt sind. Nach wie vor steht die Entscheidung von Papst Franziskus aus, wie es mit dem Erzbischof der mitgliederstärksten Diözese Deutschlands weitergeht. Bleibt er nach den Querelen über die Missbrauchsaufarbeitung und um die geplante Reform der Pfarreienstruktur im Amt? Muss er gehen? Oder gibt es etwas dazwischen? Diese Fragen wabern über Woelki wie über das ganze Erzbistum.

Im Juni hatten zwei ausländische Bischöfe im Auftrag des Papstes das Erzbistum unter die Lupe genommen, um sich ein Bild von der komplizierten Lage zu machen. Der Bericht liegt in Rom vor, jetzt ist Franziskus am Zug. Nachdem Woelki im vergangenen Jahr die Veröffentlichung eines Missbrauchsgutachtens verschob und dann ganz stornierte, nahm die Kritik immer stärker zu. Ihm wurde unterstellt, er wolle etwas vertuschen. Das zweite Gutachten, das amtierenden und früheren Führungskräften – aber nicht Woelki selbst – 75 Pflichtverletzungen im Umgang mit Fällen sexualisierter Gewalt nachweist, trug mitnichten zur Befriedung bei.

„Sehr konsequent und sehr intensiv“

Denn trotz juristischer Entlastung blieben Fragen offen. Kritiker forderten Woelki auf, als Zögling von Kardinal Joachim Meisner solle er moralische Verantwortung für das System übernehmen. Während der Münchner Kardinal Reinhard Marx seinen Rücktritt – vergeblich – anbot, lehnte Woelki diesen Schritt ab. Vor allem die Beförderung von Pfarrer D. hat zu einem „toten Punkt“ zwischen dem Kardinal und der Kirchenbasis geführt, wie es der oberste Laienvertreter im Erzbistum Köln, Tim Kurzbach, formulierte. Obwohl D. vor 20 Jahren sexuellen Kontakt zu einem 17-jährigen Prostituierten hatte, machte Woelki ihn 2017 zum stellvertretenden Düsseldorfer Stadtdechanten.

Woelki verteidigt sich. Die Missbrauchsaufarbeitung in seinem Erzbistum bezeichnete er kürzlich in einem Interview der WDR-Lokalzeit als „sehr konsequent und sehr intensiv“. Er sei der erste und einzige Bischof, der auch Verantwortliche benannt habe. Missbrauchsbetroffene hätten ihm immer wieder den Rücken gestärkt und ihn gebeten, nicht zurückzutreten. Andernfalls beginne für sie die Leidenszeit ganz von vorn, denn dann müsse man auf einen neuen Erzbischof warten, der die ganze Frage neu angehen müsse. Bei seiner letzten Begegnung mit dem Papst im Februar habe ihm Franziskus „sehr klar und sehr deutlich sein völliges Vertrauen ausgesprochen“. Wie das Kirchenoberhaupt letztlich über seinen Verbleib im Amt entscheiden werde, wisse er aber auch nicht, so Woelki.

Öffeńtliche Auftritte für Woelki schwierig geworden

Öffentliche Auftritte sind für den in seiner Autorität angeschlagenen Kardinal schwierig geworden. Gegen Widerstände leitete er eine Firmfeier in Düsseldorf; dabei wählte er den Hintereingang, um den Medienleuten zu entgehen. Hochwasseropfer besuchte er nur in Begleitung von Journalisten seiner eigenen Bistumsmedien.

Als Woelki – Sohn ostpreußischer Flüchtlinge – 2014 nach drei Bischofs-Jahren in Berlin in seine Heimat Köln zurückkehrte, verbanden sich große Hoffnungen mit ihm. Es schien ein Kirchenmann zu kommen, der nach einem Vierteljahrhundert mit Meisner neue Impulse setzen könnte. In Berlin war er mit eigenen Akzenten aufgefallen, zog dort in den Arbeiter- und Migrantenbezirk Wedding, traf sich offiziell mit Vertretern von Lesben und Schwulen oder berief Frauen in Leitungspositionen. Seine Erhebung zum Kardinal 2012 feierte er in einer Suppenküche.

Originelle Aktionen

Auch in Köln erregte der Kardinal mit originellen Aktionen Aufmerksamkeit. 2015 wählte er den Turm des Doms, um vor dem „dicken Pitter“ die 23.000-Glockenschläge-Aktion vorzustellen – für jeden im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtling läutete die Totenglocke. An Fronleichnam feierte Woelki die Messe an einem zum Altar umgebauten Flüchtlingsboot – ein deutliches Protestzeichen. Eine örtliche Boulevard-Zeitung titelte: „Der kölsche Franziskus“. Und charakterisierte ihn plakativ mit drei Sätzen: „Ihm hören nicht nur Katholiken zu. – Er liebt und lebt die Bescheidenheit. – Woelki redet klare Worte.“

Doch längst ist dieses Positiv-Image zerplatzt. Denn kirchenpolitisch folgt Woelki in vielem der Linie seines Vorgängers. Forderungen nach der Priesterweihe für Frauen kritisiert er ebenso wie den Dialogprozess Synodaler Weg, bei dem auch über die katholische Sexualmoral oder den Zölibat diskutiert wird. Eine Segnung gleichgeschlechtlicher Paare lehnte er im Gespräch mit der WDR-Lokalzeit weiterhin ab. Er forderte allerdings, gegen Diskriminierung von homosexuellen und queeren Menschen vorzugehen, auch im Ausland.

Mit Blick auf die Ökumene tritt der Kardinal ebenfalls auf die Bremse. Während sich die Mehrheit der deutschen Bischöfe etwa dazu bereit findet, dem evangelischen Partner in einer konfessionsverschiedenen Ehe unter bestimmten Voraussetzungen die Kommunion zu reichen, beharrt Woelki auf einer weltkirchlichen Klärung.

Ein anderes Aufreger-Thema ist die Umstrukturierung des Erzbistums in 50 bis 60 Großpfarreien. Obwohl der Kardinal versuchte, mit breit angelegten Beratungsformaten auf die Reform vorzubereiten, rebelliert die Basis. Auf Homepages von Gemeinden und in Sozialen Netzwerken kursieren Positionspapiere und Petitionen gegen die Pläne. Vertrauen zwischen Kirchenvolk und -spitze sieht anders aus.

kna