Baerbock: „Ohne kirchliche Arbeit wäre Gesellschaft aufgeschmissen“

Die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, sieht die Kirchen – auch mit Blick auf die Bekämpfung des Klimawandels – als wichtige Partner. Schon seit Jahren machten diese auf die weltweiten Auswirkungen aufmerksam, sagte sie in einem am Dienstag verbreiteten Interview.
Baerbock: „Ohne kirchliche Arbeit wäre die Gesellschaft aufgeschmissen“  Die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, sieht die Kirchen - auch mit Blick auf die Bekämpfung des Klimawandels - als wichtige Partner. Schon seit Jahren machten diese auf die weltweiten Auswirkungen aufmerksam, sagte sie in einem am Dienstag verbreiteten Interview.

Annalena Baerbock –Foto: © Nils Leon Brauer

Die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, sieht die Kirchen – auch mit Blick auf die Bekämpfung des Klimawandels – als wichtige Partner. Schon seit Jahren machten diese auf die weltweiten Auswirkungen aufmerksam, sagte sie im Interview Berlin. Zudem erzählt die Protestantin, die sich selbst als nicht sehr gläubig bezeichnet, was sie weiter in der Kirche hält.

Frau Baerbock, mit Blick auf den Anspruch, die Schöpfung zu bewahren, sind die Kirchen doch eigentlich ideale Partner für die Grünen. Erwarten Sie vor diesem Hintergrund mehr von den Kirchen in Sachen Engagement gegen den Klimakrise?

Baerbock: Der Erhalt der Lebensgrundlagen und die Bewahrung der Schöpfung gehen einher. Die Kirchen machen schon seit Jahren auf die Folgen der Klimakrise aufmerksam. Sie machen auch immer wieder deutlich, dass wir uns nicht damit begnügen können, hier vor unserer eigenen Haustür zu kehren, sondern die weltweiten Auswirkungen im Blick haben müssen. Klimagerechtigkeit und Klimaschutz sind globale Fragen, das kommt in politischen Debatten leider oft viel zu kurz.

 Bei der Hilfe für Geflüchtete ziehen Grüne und Kirchen mit ihren Argumenten für eine humane Flüchtlingspolitik oft an einem Strang. Erhoffen Sie sich von den Kirchen auch Schützenhilfe, wenn es um die Aufnahme von afghanischen Flüchtlingen geht?

Baerbock: Für die Kirchen ist das Gebot der Nächstenliebe eine Selbstverständlichkeit. Ich würde mir wünschen, dass dies auch für die großen Parteien in unserem Land gilt. Schade, dass manche, insbesondere Parteien, die „christlich“ in ihrem Namen tragen, die christliche Nächstenliebe vor allem in Sonntagsreden hochleben lassen und bei der Situation an den Außengrenzen Europas allzu gerne die Augen verschließen, während Caritas und Diakonie vor Ort helfen.

Sie sind Mitglied in der protestantischen Kirche, sind „aber nicht wirklich gläubig“, wie Sie auf dem Ökumenischen Kirchentag sagten. Was hält Sie in der Kirche und wie hat diese Sie geprägt?

Baerbock: Ich schätze die Gemeinschaft der Kirche und ihr Engagement für gesellschaftliche und soziale Anliegen, das Miteinander von Jung und Alt, bei uns hier wie auch weltweit. Deshalb bin ich gerne Mitglied der evangelischen Kirche. Kirchen und Gemeinden leisten einen sehr wertvollen Beitrag für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land. Sie geben Menschen Halt, sie stehen für Solidarität und das jeden Tag im Konkreten. Ohne die kirchliche Arbeit mit Pflegebedürftigen, Menschen mit Behinderungen und Kindern wären wir als Gesellschaft aufgeschmissen.

Sie haben sich in der vergangenen Legislaturperiode auch in ethischen Fragen engagiert und etwa bei der Neuregelung der Organspende mitgewirkt. Was treibt Sie da an?

Baerbock: Organspenden retten Leben. In Deutschland warten aktuell rund 9.100 Menschen auf ein Spenderorgan. Dem standen im letzten Jahr jedoch lediglich 913 Organspender gegenüber. Vielen weiteren könnte geholfen werden, wenn es gelänge, die Zahl der Spenden zu erhöhen und auch die Situation in Krankenhäusern zu verbessern. Viele Menschen wollen grundsätzlich spenden. Deshalb ist es gut, die Möglichkeiten zur Organspende verbindlicher zu gestalten.

Der künftige Bundestag muss die Suizidbeihilfe neu regeln. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe leitete bei seiner Entscheidung ein sehr weitgehendes Recht auf selbstbestimmtes Sterben ab. Wie stehen Sie dazu?

Baerbock: Es ist eine schwierige Abwägung zwischen Selbstbestimmung und Fürsorgepflicht. Jeder Mensch hat das Recht auf ein selbstbestimmtes und würdevolles Leben – und ja, auch Sterben. Eine Neuregelung der Suizidassistenzhilfe ist notwendig, weil Vereine und Einzelpersonen derzeit ohne Regeln und Verfahren agieren können.

Aus meiner Sicht sollten wir dafür sorgen, dass es ein Verfahren gibt, in dem die Rollen der Betroffenen, des medizinischen Personals und der Beratungsstellen und Behörden klar definiert sind. Sterbewillige müssen sich über Alternativen und Hilfsangebote informieren können, zugleich müssen wir die Suizidprävention ausbauen. Wenn steigende Suizidwünsche Ausdruck von gesellschaftlichem Druck oder sozialem Missstand sind, sollte uns das alarmieren.

Was sind für Sie die wichtigsten Folgen, die sich aus der Pandemie ergeben?

Baerbock: Corona hat gezeigt, dass der Staat, dass unser Land in vielen Bereichen nicht gut vorbereitet ist auf Krisen. Ob in der Verwaltung, den Gesundheitsämtern, an den Schulen oder bei der Digitalisierung: Die Regierung hat es vielfach versäumt, zu modernisieren und eine Infrastruktur aufzubauen, die auf Herausforderungen schnell und effektiv reagieren kann.

Gerade Kinder, Jugendliche und ihre Familien haben zum Schutz aller in den vergangenen Monaten auf vieles verzichtet und mit Vorsicht und Umsicht Enormes geleistet. Deshalb ärgert es mich, wenn wir jetzt wieder in einen ungewissen Herbst für die Kinder gehen. Wo sind die Luftfilter in den Schulen, oder klare Vorgaben und Unterstützung des Bundes bei Teststrategien? Wir müssen alles dafür tun, dass die Schulen und Kitas offen bleiben und gleichzeitig unsere Kinder bestmöglich geschützt sind.

So wie viele Kinder zu Beginn der Pandemie mit ihrem Verzicht Ältere geschützt haben, ist es jetzt an den Erwachsenen, alles dafür zu tun, die Kinder, die noch nicht geimpft werden können, zu schützen. Ich bitte alle Menschen in unserem Land, die noch nicht geimpft sind und sich grundsätzlich impfen lassen können, dies auch zu tun.

Bei vielen haben die Grünen immer noch den Ruf einer Verbotspartei. Was sagen Sie diesen Kritikern?

Baerbock: Dass es eine Selbstverständlichkeit ist, dass ein friedliches Miteinander in der Gesellschaft Regeln braucht. Gleiche, faire und verlässliche Spielregeln ermöglichen, dass Menschen sich frei entfalten können. Und ökonomisch ist es doch auch so, dass ein ungezügelter Markt eine durchaus zerstörerische Kraft entwickeln kann; wenn er aber klare Leitplanken hat, soziale und ja, auch ökologische, dann ist er Treiber für Fortschritt. Gerade jetzt, angesichts der Klimakrise, müssen wir neue Ideen, neue Techniken dringend vorantreiben.

Von Birgit Wilke (KNA)