Zwölf Jahre lang war der Essener Pfarrer Gereon Alter Stimme und Gesicht der traditionellen Sendung „Wort zum Sonntag“ im ersten deutschen Fernsehprogramm. Am Samstag, 30. Oktober, tritt er zum letzten Mal vor die Kamera.
Nach 100 Sendungen des traditionellen „Wort zum Sonntag“ steht der Essener Pfarrer Gereon Alter am kommenden Samstag, 30. Oktober, zum letzten Mal vor der Kamera. Zwölf Jahre lang sprach der 54-Jährige in der christlichen Verkündigungssendung regelmäßig vor einem Millionenpublikum über Themen, die die Welt bewegen, aber auch über eigene Herzensangelegenheiten. Dabei schreckte er auch vor ungewöhnlichen Aktionen nicht zurück: Mehrfach meldete sich Alter live vom Programm des Eurovision Song Contest. Zudem ließ er sich vor laufender Kamera einen Eimer mit Eiswasser über den Kopf schütten, um zu zeigen, dass Kirche auch mit gesellschaftlichen Hypes wie der Ice-Bucket-Challenge den urchristlichen Gedanken der Nächstenliebe verbreiten kann. “Wir müssen unsere binnenkirchlichen Sprachspiele überwinden, diesen etwas betulichen und wenig konkreten Kirchenjargon. Denn damit kann kaum noch jemand etwas anfangen”, sagt Alter im Interview vor seinem letzten “Wort zum Sonntag”-Auftritt.
Seit fast zwölf Jahren sprechen Sie regelmäßig das Wort zum Sonntag, am kommenden Samstagabend zum letzten Mal.
Wie fühlt sich dieser Abschied an?
Ich gehe mit gemischten Gefühlen. Die 100 produzierten Sendungen, das Adrenalin im Vorfeld, das tolle Miteinander im Studio, die Zuschauerreaktionen. Das alles wird mir fehlen. Aber ich habe es selbst so gewollt. Denn wie heißt es so schön: „Hör auf, wenn es gerade am besten läuft!“
In Ihrem ersten Beitrag im Januar 2010 waren Sie direkt mit einem sehr bedrückenden Thema konfrontiert, dem Erdbeben auf Haiti. Auch mit Katastrophen wie dem Loveparade-Unglück in Duisburg und der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima mussten Sie sich befassen. Wie gelingt es Ihnen, bei Themen wie diesen die passenden Worte zu finden?
Katastrophen und Unglücksfälle sind in der Tat eine besondere Herausforderung. Nicht nur, weil die Arbeit am ursprünglich gedachten oder schon produzierten Beitrag dann vergeblich war, sondern auch und vor allem, weil es in einer solchen Situation bewegt und tatsächlich gar nicht so leicht ist, die richtigen Worte zu finden. Ich hab dann neben aller Recherche immer auch versucht, in mich hineinzuhorchen. Manches ist auch aus einem Gebet heraus entstanden.
Sie haben nicht nur Trostworte gesprochen, sondern sich auch zu gesellschaftlichen Entwicklungen geäußert. Wie politisch darf eine christliche Verkündigungssendung sein?
Das ist in meinen Augen kein Widerspruch. Wenn wir den zentralen Glaubenssatz des Christentums, dass Gott Mensch geworden ist, ernst nehmen, dann bedeutet das: Alles, was uns Menschen und unser Leben ausmacht, hat auch etwas mit Gott zu tun. Ein Glaube, der keinen Bezug zum aktuellen Weltgeschehen hat, ist irrelevant.
Welches eigene Wort zum Sonntag ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben und warum?
Eines, das ich 2018 vom Katholikentag in Münster aus gesprochen habe. Damals hatten mal wieder AfD-Politiker mit fremdenfeindlichen Parolen für Aufsehen gesorgt. Ich habe auf das Brandgefährliche solcher Äußerungen aufmerksam gemacht und darauf, dass die große Mehrheit gegen Populismus und Diskriminierung ist. Dafür habe ich viel Zuspruch, aber auch Morddrohungen erhalten.
Wie entscheiden Sie sich für ein Thema und was ist dafür ausschlaggebend?
Das Wort zum Sonntag hat den Anspruch aktuell zu sein. Daher habe ich in der Regel Themen aufgegriffen, die gerade durch die Nachrichten gingen. Manchmal waren es aber auch Herzensthemen. Also Dinge, die mich persönlich berühren und beschäftigen.
Was nehmen Sie für sich selbst Lehrreiches mit aus diesem Format?
„Fasse dich kurz und komm auf den Punkt.“ Das fällt mir als Erstes ein. Aber auch den Blick hinter die Kulissen des Mediums Fernsehen fand ich spannend. Seitdem verstehe ich viel besser, warum etwas ankommt und anderes nicht. Und: Wir müssen unsere binnenkirchlichen Sprachspiele überwinden, diesen etwas betulichen und wenig konkreten Kirchenjargon. Denn damit kann kaum noch jemand etwas anfangen.
Mit der Ice-Bucket-Challenge in einem Wort zum Sonntag haben Sie 2014 ganz schön für Aufsehen gesorgt. Warum haben solche Aktionen ihren Platz in einem eher traditionellen Format wie diesem?
Die meisten Menschen haben es gleich verstanden: Hier macht Kirche einfach mal mit und tritt dem Rest der Gesellschaft nicht wieder mit bitterernster Miene gegenüber. Die Ice-Bucket-Challenge war damals ein Riesen-Hype, an dem sich fast jeder beteiligt hat – noch dazu mit einem urchristlichen Hintergrund: „Hilf deinem Nächsten, wenn er in Not ist.“ Da hab ich halt augenzwinkernd mitgemacht.
Viele Menschen kennen Sie auch aus dem Wort zum Sonntag des Eurovision-Songcontests. Wie haben Sie diese Live-Auftritte wahrgenommen?
Der ESC ist für jeden Sprecher und jede Sprecherin etwas Besonderes. Denn an diesem Abend wird das Wort zum Sonntag nicht im Fernsehstudio aufgezeichnet, sondern in die quotenstarke Live-Übertragung eingebettet. Statt der üblichen 1,5 schauen dann bis zu 6 Millionen Menschen zu. Ich habe dieses ESC-Wort vier Mal gesprochen. Ein schöner Nebeneffekt: Man begegnet dem einen oder anderen Promi und ist zur After-Show-Party eingeladen.
Das Wort zum Sonntag ist eines der ältesten Formate im deutschen Fernsehen. Wie lange wird es Ihrer Meinung nach in dieser Form zukunftsfähig sein? Muss es sich verändern?
67 Jahre ist die Sendung mittlerweile alt, und so oft, wie sie schon tot gesagt wurde, wird es sie wohl auch noch eine ganze Zeit geben. Dabei ist das Thema „Veränderung“ überhaupt kein Aktuelles. Das Wort zum Sonntag hat sich stets verändert. Und so wird es sich natürlich auch weiter verändern müssen.
Worum wird es bei Ihrem letzten Wort zum Sonntag gehen und sind Sie trotzdem auch in Zukunft noch im Fernsehen zu sehen?
Vorausgesetzt, es passiert nicht wieder etwas Schlimmes, werde ich wohl darüber sprechen, warum ich bleibe. Nicht beim Wort zum Sonntag, sondern in der Kirche. Denn das ist in diesen Tagen ja alles andere als selbstverständlich. Und was die Zukunft betrifft, gibt es ja noch andere Fernsehformate: Gottesdienstübertragungen, Interviews, Talkshows. Das alles werde ich nicht aufgeben. Denn dazu macht mir die Fernseharbeit viel zu viel Spaß.
Gereon Alter wurde 1967 in Gelsenkirchen geboren, hat in Bochum, Innsbruck und Rom studiert und leitet seit 2011 die Essener Großpfarrei St. Josef Ruhrhalbinsel mit mehr als 20.000 Katholiken. Privat liebt er das Kochen, den Fußballverein Schalke 04 und das Reisen mit dem Fahrrad.