Frankreichs Kirche in der Dauerdefensive

Die brennende Kathedrale Notre-Dame war wie ein riesiges Symbol. Die „Affäre Barbarin“, islamistische Attentate, Missbrauchsstudie, nun der Pariser Erzbischof. Kirche scheint kaum mehr ein Bein an die Erde zu bekommen.
Frankreichs Kirche in der Dauerdefensive Die brennende Kathedrale Notre-Dame war wie ein riesiges Symbol. Die „Affäre Barbarin“, islamistische Attentate, Missbrauchsstudie, nun der Pariser Erzbischof. Kirche scheint kaum mehr ein Bein an die Erde zu bekommen.

Symbolfoto: Mehmet A./Pixabay

Was denn noch alles, mögen sich die Katholiken in Frankreich fragen. Am Freitag sorgte der angebotene Amtsverzicht des Pariser Erzbischofs Michel Aupetit für eine neue Schockwelle in einem Land, das sich einst stolz als „älteste Tochter der Kirche bezeichnete“ und ihr Monarch als „Allerchristlichster König“. Inzwischen scheint die katholische Kirche kaum mehr ein Bein an die Erde zu bekommen. Die Trennung von Staat und Kirche und die allgemeine Säkularisierung haben den Sinkflug eingeleitet. Eine nicht enden wollende Reihe von Skandalen und Empörungen machen den Katholizismus seither moralisch und politisch zunehmend sprachlos.

Die brennende Kathedrale Notre-Dame war im Frühjahr 2019 wie ein riesiges Symbolbild. Die „Affäre Barbarin“ um den kirchlichen Umgang mit dem Missbrauchspriester Bernard Preynat kosteten den Lyoner Kardinal und französischen Primas Philippe Barbarin 2020 das Amt. Islamistische Attentate als Fanale, im Oktober eine Missbrauchsstudie mit verheerenden Hochrechnungen von Opferzahlen – und nun der Pariser Erzbischof.

Worum geht es? Schon länger brodelt es im Hauptstadterzbistum. Aupetit (70), ein langjähriger Arzt und kirchlicher Quereinsteiger, regiere unbarmherzig durch, so hieß es in den vergangenen Monaten in verschiedenen Medien. Die Schließung des bekannten Pastoralzentrums von Saint-Merry und die Entlassung des Leiters der Traditionsschule Saint-Jean de Passy sorgten in bestimmten Kirchenkreisen für böses Blut. Andere sagten, als Leiter der Kirche von Paris müsse man eben „ein Chef“ sein.

Als Wendepunkt machen Beobachter den Weggang der beiden Pariser Generalvikare aus: Alexis Leproux im Dezember 2020 und Benoist de Sinety im März. Die Generalvikare als Verwaltungschefs ergänzen die Bistumsleitung mit dem Erzbischof an der Spitze und den drei Weihbischöfen Denis Jachiet (59), Thibault Verny (56) und Philippe Marsset (64). Leproux und de Sinety, so berichtet die Zeitung „La Croix“ unter Berufung auf Bistumskreise, hätten viel Leben in die Diözese gebracht.

Zu Wochenbeginn trug das Magazin „Le Point“ die Vorgänge im Stil einer „Spiegel“-Reportage zusammen. Und fügte unter dem Titel „Aupetits Geheimnisse“ eine neue Komponente hinzu. Der Erzbischof habe offenbar in seiner Zeit als Generalvikar 2012 eine „unangemessene Beziehung“ zu einer erwachsenen Frau unterhalten und sich durch eine fehlgeleitete E-Mail verraten. Damit wuchs der Druck auf Aupetit. Der rechtfertigte sich. Die Frau sei ihm bei verschiedenen Anlässen zu nahe gekommen; und er habe „Distanz schaffen“ müssen. Dies habe er auch getan, eine Beziehung habe es nicht gegeben. Doch die öffentlich gewordene Kommunikation könne als „mehrdeutiges Verhalten“ verstanden werden.

Gleichwohl bot er dem Papst in einem Brief seinen Amtsverzicht an – um Schaden vom Bistum fernzuhalten. Der muss nun entscheiden. Eine „Online-Hinrichtung“ sei das, zitiert „La Croix“ (Samstag) eine dem Erzbischof nahestehende Quelle. Doch wer profitiert von einem solchen Showdown? Die Interpretationen gingen nach dem ersten Schock quer durch die kirchenpolitischen Linien. Ein Pariser Priester machte eine „Koalition reaktionärer Kräfte aus allen Gesellschaftsschichten“ aus: von „Traditionalisten, den Enttäuschten von Saint-Jean-de-Passy und auf der anderen Seite die von Saint-Merry“ – die nun das Fell des Erzbischofs wollten.

Indiskretionen aus dem Pariser Priesterrat, der in dieser Woche im Krisenmodus tagte, verrieten durchaus Gegensätzliches: Aupetit sei vorgeladen worden, um sich zu rechtfertigen. Ein anderer Priester erklärte dagegen, der Erzbischof werde „sehr geliebt“, und man habe ihn verteidigt. Bei vielen Stimmen dominiert Wut über eine „mediale Kampagne“. Auch ein Erzbischof habe ein Recht auf Privatleben. Was ihm vorgeworfen werde, sei weder erwiesen noch strafbar.

Ein engagierter Laie aus dem Bistum wird zitiert, man könne Aupetit „Leichtfertigkeit vorwerfen“. Er habe ihn aber als „einen gläubigen Mann erlebt, der nah am Menschen ist und viel delegiert“. Und selbst wenn die Fakten wahr wären: „Angesichts der Missbräuche, die an anderer Stelle in der Kirche aufgedeckt wurden“, sei es doch „fast beruhigend“, dass sich um eine zustimmende Erwachsene handele.

Die katholische Zeitung, die beste Kontakte in den Pariser Klerus hat, sprach aber auch mit Priestern, die den Erzbischof als „starr“ bezeichneten, als „nicht sehr diplomatisch“ und „auf niemanden hörend“. Es sei auch die Härte, mit der er Fehler anderer bestrafe, die sich nun gegen ihn richte. Ein Pfarrer berichtete auch über eine „relative Trägheit“ Aupetits nach dem landesweit krachenden Bericht der Missbrauchsuntersuchungskommission Ciase.

Die Zweifel an seinem Privatleben jedenfalls haben in den vergangenen Tagen die Frage aufgeworfen, ob er das Pariser Erzbistum weiter leiten kann. Egal wie Papst Franziskus entscheidet: Für eine energische und überzeugende Amtsführung ist der Erzbischof klar angezählt.

Von Alexander Brüggemann (KNA)