Gottesdienste in der vierten Welle: Wie sieht Verantwortung aus?

Eine Debatte um verpflichtende 3G- oder 2G- Gottesdienste ist entbrannt. Angesichts rasant steigender Inzidenzen stehen die Bischöfe in der Verantwortung. Nicht allerorts scheint man jedoch den Ernst der Lage erkannt zu haben.

Die meisten Bundesländer verzichten bislang in ihren Corona-Verordnungen noch auf 2G- oder 3G-Vorschriften für Religionsgemeinschaften. Die Politik scheut sich das Grundrecht auf freie Religionsausübung anzutasten. Das ist auch eine der Lehren aus zwei Jahren Pandemie-Erfahrungen. Doch angesichts exponentiell wachsender Inzidenzen sind erste „Durchbrüche“ zu verzeichnen.

3G-Zugangsbeschränkungen auch für Gottesdienste

Die Landesregierungen von Sachsen, Rheinland-Pfalz, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern haben verschärfte Corona-Verordnungen erlassen, die nun 3G-Zugangsbeschränkungen auch für Gottesdienste vorschreiben. Der Impfstatus der Gottesdienstbesucher muss also überprüft werden. Die Kirchen haben darauf mit teils unverhohlenem Unmut reagiert. Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland erklärte: „Unsere bisherigen Versuche der Abwendung dieser Bestimmung sind zum Stand 25.11.2021 ohne Erfolg geblieben.“

Der Leiter des Katholischen Büros Mainz, Dieter Skala, erklärte, auch wenn die Einschränkung angesichts der aktuellen Lage auf den ersten Blick nachvollziehbar wirke, berge sie Probleme, da ein ungehinderter Zugang zu Gottesdiensten nicht mehr möglich sei: „Wir werden darüber weiter im Gespräch mit der Landesregierung sein.“ In Sachsen äußerten Vertreter der evangelischen Landeskirche dem Vernehmen nach im Gespräch mit Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) deutlichen Unmut über die Verschärfung.

Niedrigste Impfquote bundesweit

Aber auch bei Befürwortern der 3G-Regelung, darunter Bischof Heinrich Timmerevers in Dresden, muss man konstatieren: Die Bistümer und Landeskirchen haben diese erst eingeführt, als die Landesregierungen es ihnen vorgeschrieben haben. Warum nicht schon vorher? Es ist ein qualitativer Unterschied in der Wahrnehmung von Verantwortung, ob ein Bistum aus freien Stücken oder erst als Umsetzung einer staatlichen Vorgabe die Sicherheitsauflagen für Gottesdienste in einer offenkundig eskalierenden Pandemie-Situation verschärft.

Sachsen hat mit knapp 60 Prozent die niedrigste Impfquote bundesweit und mit rund 1.300 die höchste 7-Tage-Inzidenz, in manchen Landkreisen liegt sie bei 2.000. Die Intensivbetten sind alle belegt, täglich werden Patienten in andere Bundesländer verlegt. Timmerevers sagte im Interview der Dresdner Neuesten Nachrichten, ihm wäre „sogar lieber, wenn wir noch konsequenter wären und neben 2G in den kommenden Wochen für alle auf Testungen setzen, also das sogenannte 2G plus“. Für Gottesdienste in seinem Sprengel scheut er diese Konsequenz aber doch noch.

Notwendige Debatte über den Schutz der Religionsfreiheit

Den Sitz im Leben hat diese Scheu wohl in der zweifelsohne notwendigen Debatte über den Schutz der Religionsfreiheit. Zugleich muss man konstatieren, dass sich dabei aktuell ein Missverständnis eingeschlichen hat, das in der Diskussion nicht hilfreich ist: Bei höheren Sicherheitsregeln für Gottesdienste geht es nicht darum, Ungeimpften den Zugang zum Gottesdienst zu verweigern. Im Fokus stehen vielmehr ein verantwortungsvoller Umgang miteinander in der Pandemie und die Rechte derjenigen, die das Impfangebot längst angenommen haben, um sich und andere zu schützen.

Sie haben das getan, was die deutschen Bischöfe unlängst als nicht weniger als eine „moralische Pflicht“ deklariert haben. Aber auch Geimpfte und Genesene sind gefährdet, trotzdem zu erkranken. Ihrem verantwortungsvollen Handeln und auch Schutzbedürfnis tragen 2G-Gottesdienste Rechnung, wiewohl 2G+ hier noch konsequenter wäre, selbstverständlich beides mit Abstands- und Maskenpflicht. Gleichwohl darf natürlich zur Wahrung der Religionsfreiheit auch Ungeimpften der Zugang zu Gottesdiensten nicht völlig verwehrt werden. Die Frage ist allerdings, wie man hier eine Gewichtung vornimmt, was man zum Standard erklärt – und welches Vorzeichen man damit vor die Klammer setzt.

Erzbistum Berlin ist zum Vorreiter geworden

Das Erzbistum Berlin ist hier zum Vorreiter geworden, mit einer verantwortungsvollen und vorausschauenden Regelung: Alle Gottesdienste an den Adventswochenenden und Weihnachtstagen finden weitgehend unter 2G-Standard statt. In jeder Pfarrei muss es aber auch mindestens einen Gottesdienst unter 3G-Bedingung geben. Auch Ungeimpfte können damit in jeder Pfarrei in Gottesdienste. Dass sie dafür einen negativen Test vorlegen müssen, kann man auf dem Höhepunkt der vierten Welle ernsthaft wohl kaum als Beschränkung der Religionsfreiheit bezeichnen.

Wenn der Jesuit Klaus Mertes im Blog „Experten-Initiative Religionspolitik“ schreibt, die katholische Kirche schließe in Berlin und Brandenburg „die Türen zur Eucharistie“ und es fänden dadurch „die allermeisten Eucharistiefeiern unvermeidlich unter der Bedingung von Ausgrenzung statt“, dann ist das eine Polemik, die allenfalls Impfgegnern in die Hände spielt und gerade jene Spaltung zwischen Geimpften und Ungeimpften forciert, die er den Kirchen vorwirft.

Im Widerspruch zu den Ratschlägen des Robert-Koch-Instituts

Im Übrigen liegt auch nicht in jedem 2G/3G-Gottesdienst Heil: Die NRW-Bistümer Aachen, Essen, Köln, Münster und Paderborn verständigten sich für Weihnachten und Silvester darauf, dass Teilnehmende von 3G- oder 2G-Gottesdiensten keinen Abstand einhalten und am Sitzplatz nur beim Gesang einen Mund-Nase-Schutz tragen müssen. Ein krasser Widerspruch zu den Ratschlägen des Robert-Koch-Instituts: „Egal, ob bei 2G oder 3G: Das Verhalten der Anwesenden ist ein entscheidender Faktor, um Infektionen zu vermeiden. Die AHA + L Regeln sollten weiter eingehalten werden, auch von Geimpften.“

Dietrich Bonhoeffer hat einmal gesagt: „Es wird Weihnachten, ob mit uns oder ohne uns“. Mit wem die Weihnachtsgottesdienste in diesem Jahr stattfinden können, dafür tragen die Bischöfe bereits jetzt Verantwortung. Und die Pfarreien, denen die Einhaltung und Kontrolle der Sicherheitsregeln obliegt. Kein einfacher Job, ohne Zweifel, aber letztlich ebenso eine Pflicht aus christlicher Verantwortung wie die Impfung.

Von Karin Wollschläger (KNA)