Der Papst besucht ein gespaltenes Land und trifft auf geteilte Erwartungen. Die griechische Seite reklamiert ihn als Anwalt im Zypernkonflikt. Er selbst tritt als Anwalt Entrechteter auf und wird am Ende sehr persönlich.
Nikosia – Der Checkpoint an der Ledras-Straße in Nikosia ist hell erleuchtet. Noch am späten Abend kommen einzelne Fußgänger von der türkisch-zyprischen Seite und gehen hinüber in den griechischen Teil der geteilten Insel. Leerstehende Häuser und lange verlassene, verbarrikadierte Geschäfte. Dazwischen bilden Blockaden aus Ölfässern, Ziegelmauern und Stacheldraht die Grenze zwischen dem seit 47 Jahren türkisch besetzten Teil der Insel und der Republik Zypern.
An einer Stelle der geisterhaften Gasse grüßt kurz ein griechisch-zyprischer Wachposten. Über dem Paphos-Tor stehen UN-Soldaten Wache. Es sind ein paar mehr in dieser Nacht, denn gegenüber quartiert hoher Besuch. Für zwei Tage ist Papst Franziskus am Donnerstag nach Zypern gekommen. Sein Quartier, die Nuntiatur, liegt im Niemandsland der Pufferzone. Mauer und Stacheldraht hat er buchstäblich vor Augen. „Wir werden einige Wunden berühren“, sagte er zum Auftakt der Reise. Wenige Stunden später, vor der versammelten Regierung der Republik Zypern, Diplomaten und Vertretern der Zivilgesellschaft, spricht er eine von ihnen an.
„Die Wunde, die dieses Land am meisten schmerzt“, sei ein „schrecklicher Riss, unter dem es in den vergangenen Jahrzehnten leidet“. Menschen, die 1974 bei der Besetzung des Nordteils durch türkische Truppen ihre Häuser, ihr Land und Verwandte verlassen mussten. Kirchen, Klöster und Moscheen, die zerstört wurden oder verfielen. Den aktuellen Streit um Erdgasfelder rund um Zypern und andere Streitpunkte nennt er nicht, aber viele im Präsidentenpalast assoziieren sie dazu.
Der Weg zum Frieden, der Konflikte heilt, sei die „geduldige und sanfte Kraft“ des Dialogs, mahnt Franziskus. Nicht leicht, dafür „lang und kurvenreich“, aber es gebe keine Alternative, um Versöhnung zu erreichen. Um Geduld – und Mut – hatte der Pontifex kurz zuvor schon die Katholiken des Landes gebeten, auch in ihrer Sorge um die vielen Migranten, die in den vergangenen Jahren ins Land kommen.
Staatspräsident Nikos Anastasiadis lobt den „Papst der Armen“ in den höchsten Tönen als Vermittler, Friedensstifter, Anwalt von Migranten und anderen Entrechteten. Er nutzt die internationale Aufmerksamkeit, um für seine Sicht des Zypernkonflikts zu werben. Franziskus verfolgt das Loblied und den kaum verdeckten Versuch der Vereinnahmung mit aufmerksam-kritischem Blick.
Am Freitagmorgen, beim ökumenischen Treffen in der nagelneuen orthodoxen Kathedrale, teilt Zyperns Erzbischof Chrysostomos II. deutlich aus gegen die türkische Seite. Die orthodoxe Kirche erlebe die bisher schwerste Zeit in ihrer 2.000 Jahre alten Geschichte. „In unserem heiligen und gerechten Kampf“ bittet er den Gast aus Rom um „aktive Unterstützung“.
Chrysostomos II. erinnert dabei an den Besuch von Benedikt XVI. im Jahr 2010. Dieser vermittelte damals über die deutsche Regierung die Rückgabe von 500 christlichen Artefakten aus dem von der Türkei besetzten Nordzypern. Wie schon beim Unabhängigkeitskampf der Griechen im 19. Jahrhundert spielt die orthodoxe Kirche auch für christliche Zyprer eine wichtige Rolle.
Franziskus seinerseits warnt vor der Verabsolutierung bestimmter Sitten und Gebräuche, „die nicht wesentlich sind“ für den Glauben und fordert von Katholiken wie Orthodoxen, sich „zu öffnen und mutige Zeichen zu setzen“: „Geben wir uns nicht jener Unversöhnlichkeit der Unterschiede hin, die sich nicht im Evangelium widerspiegelt!“
Wie wenig nationalistisch die katholische Messe mit knapp 10.000 Gläubigen in Nikosias Fußballstadion ist, zeigen die Fahnen aus dem Libanon, Griechenland, Israel und den Philippinen auf der Tribüne. Noch internationaler zeigt sich die Kirche, von der Franziskus träumt, beim ökumenischen Gebet mit Migranten am Freitagnachmittag. Rund 300 Gläubige versammeln sich vor und in der lateinischen Kirche an der Grenzmauer.
Bewegt und nach Formulierungen suchend, kritisiert der Papst über das Redemanuskript hinaus, die „schwere Krankheit“ des Westens, sich an Fluchttragödien zu gewöhnen. Vor Vertretern mehrerer christlicher Kirchen entschuldigt er sich für seine deutlichen Worte: „Es ist meine Verantwortung, Augen zu öffnen“. Und: „Es reicht mit dem Stacheldraht, es reicht mit den Lagern.“
Was Franziskus über politische Lösungen hinaus vermitteln möchte, bringt eine Frau aus Sri Lanka zum Ausdruck. Immer wieder müsse sie ankreuzen: „Ausländer“, „Opfer“, „Asylbewerber“, „Flüchtling“, „Migrant“ … „Was ich aber schreien möchte, ist: Person, Schwester, Freundin, Gläubige, Nachbarin.“ – „Ihr seid nicht Fremde, sondern Mitbürger“, antwortet ihr das katholische Kirchenoberhaupt. Dies sei „die Prophezeiung der Kirche: eine Gemeinschaft, die – bei allen menschlichen Grenzen – Gottes Traum verkörpert.“