Wie sich die Kirchenkrise auf katholische Hilfswerke auswirkt

Missbrauchsskandal, Streit um die Aufarbeitung, Rekorde bei den Austritten, Kritik am Umgang mit Frauen und Homosexuellen – die katholische Kirche steht mit dem Rücken zur Wand. Was heißt das für die Arbeit der Hilfswerke?
Bonn – Pirmin Spiegel bringt es in aller Kürze auf den Punkt: "Die Vertrauenskrise schmerzt, beschäftigt und besorgt uns", berichtet der Hauptgeschäftsführer des weltgrößten katholischen Entwicklungshilfswerks Misereor in einer Umfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Mitgehangen, mitgefangen sozusagen, denn die katholischen Hilfswerke sind Teil der Kirche - in guten wie in schlechten Tagen.

(Foto: Misererior)

Pirmin Spiegel bringt es in aller Kürze auf den Punkt: „Die Vertrauenskrise schmerzt, beschäftigt und besorgt uns“, berichtet der Hauptgeschäftsführer des weltgrößten katholischen Entwicklungshilfswerks Misereor in einer Umfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Mitgehangen, mitgefangen sozusagen, denn die katholischen Hilfswerke sind Teil der Kirche – in guten wie in schlechten Tagen.

„Ohne Caritas keine Kirche“, sagt zum Beispiel Oliver Müller, der Leiter von Caritas international. Zugleich betont Bischof Georg Bätzing, der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Caritas als „Streiterin für die Anliegen von Menschen in Sorgen und Nöten“ und Kirche seien untrennbar verbunden. Das lässt sich so oder ähnlich sicher auf alle Hilfswerke übertragen. „Als Teil der katholischen Kirche in Deutschland spüren wir als langfristigen und schleichenden Prozess die Vertrauenskrise – die sich keineswegs auf Deutschland beschränkt“, ergänzt Pater Martin Maier, Hauptgeschäftsführer des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat.

Momentan betonen alle Organisationen, sie spürten weiterhin großes Vertrauen bei ihren Spendern und anderen Unterstützern. Thomas Schwartz zum Beispiel, der Leiter des Osteuropa-Hilfswerks Renovabis, beobachtet „keine ablehnende Haltung gegen die Tätigkeit als solidarisch handelndes Hilfswerk“. Den meisten seien vor allem „die Menschen wichtig, denen sie mit Hilfe von Renovabis Unterstützung zukommen lassen wollen“. Auch Wolfgang Huber, Präsident von missio München, erzählt von viel positiver Resonanz für das „lebendige Engagement der weltweiten Kirche“, um die Lebensumstände insbesondere der Menschen an den Rändern zu verbessern. Oft werde ausdrücklich gelobt, „dass wir glaubwürdig diesen Auftrag als Teil der Kirche verwirklichen“.

Adveniat-Chef Maier beobachtet ebenfalls, dass die Hilfsorganisationen bisher „vorwiegend in unserer Rolle als weltkirchlicher Arm der Kirche sozusagen als die ‚gute Seite‘ wahrgenommen“ würden. Die Solidarität mit den Armen weltweit werde „ungebrochen als wichtige Aufgabe der Kirche angesehen“. Auch Misereor-Chef Spiegel muss bisher „nur vereinzelt“ feststellen, „dass Menschen uns nicht mehr unterstützen wollen, weil wir Teil der katholischen Kirche sind“. Die große Mehrheit unterscheide genau „zwischen Missständen innerhalb der Kirche und der wichtigen Arbeit von Misereor in derzeit 87 Ländern der Welt“.

Insgesamt werden die Sorgenfalten aber größer beim Blick auf die mittel- und langfristigen Perspektiven. Hier kommt es nicht nur aus Sicht von Dirk Bingener, Präsident von missio Aachen und vom Kindermissionswerk „Die Sternsinger“, insbesondere auf vier Punkte an: Wie arbeitet die katholische Kirche in Deutschland den Missbrauch durch Kleriker auf? Welche Ergebnisse bringt der Reformprozess Synodaler Weg? Wie gelingt es, Frauen stärker an Leitung zu beteiligen? Und ermöglichen die Strukturreformen der Gemeinden weiter die persönliche Begegnung und das Erleben von Gemeinschaft?

„Wenn es hier weiter zu Frustrationen und Entfremdungen kommt, wird dies die weltkirchliche Arbeit schmerzlich treffen“, prophezeit Bingener. Und auch Wolfgang Huber erlebt, dass es schwieriger wird, angesichts einer großen Unzufriedenheit mit der Kirche Menschen zu finden, die sich hier engagieren. Was alle Werke auch schon jetzt spüren, ist der – durch Corona zusätzlich beschleunigte – Rückgang beim Gottesdienstbesuch. Der führt zwangsläufig zu Spendenrückgängen bei den Kollekten, die immer noch zu den wichtigsten Einnahmequellen gehören. Alle Organisationen sind daher schon länger aktiv, um diese Lücke auszugleichen durch Online-Aktionen, Einzelspenden, Nachlässe, Fundraising und andere Alternativen.

Die Bereitschaft zu spenden und sich zu engagieren erlebt Oliver Müller von Caritas international insgesamt weiterhin als sehr hoch – insbesondere bei der akuten Nothilfe, etwa für Betroffene des Hochwassers und Corona-Opfer: „Seit Ausbruch der Pandemie organisieren wir die größte weltweite Hilfsaktion in der Geschichte der Caritas. Nie zuvor mussten wir als Hilfswerk so viele Menschen an so vielen Orten der Welt zeitgleich aufgrund der gleichen Notlage unterstützen.“

Allerdings wächst auch die Konkurrenz: Wer engagiert sich wo? Machen junge Menschen bei den Sternsingern mit, bei der Feuerwehr oder bei Fridays for Future? Hier machen sich alle Werke Gedanken angesichts der zunehmenden Überalterung in den Gemeinden und der wegbrechenden religiösen Sozialisation. Messdiener, Jugendarbeit und dann vielleicht ein Freiwilligendienst bei einer katholischen Organisation? Diese klassische „Karriere“, die in aller Regel auch zu weiterem Engagement in Eine-Welt-Kreisen oder anderen Gruppen führt, ist nur noch selten anzutreffen und schon gar keine Selbstverständlichkeit. Hier ist sehr viel mehr Werbe- und Überzeugungsarbeit nötig, glaubt nicht nur Misereor-Chef Spiegel, um „weiter in genügender Menge Unterstützung zu finden, wenn das Gemeindeleben Erosionsprozessen ausgesetzt ist“.

Wobei auch hier deutlich wird, wie eng die Hilfswerke und „die Kirche“ miteinander verwoben sind: Wenn sie es schaffen, weiterhin als „gute Seite“ der Kirche wahrgenommen zu werden, können sie dieser insgesamt wieder zu mehr Glaubwürdigkeit verhelfen, hoffen die Leiter der Werke. Umgekehrt wissen sie aber auch, dass sie alleine bei allem Engagement das Ruder nicht herumreißen können. Pirmin Spiegel sieht hier vor allem anderen die Frage nach dem Umgang mit den Betroffenen von Missbrauch als entscheidende Bewährungsprobe. Und nicht nur für ihn ist klar, „dass die hohe Leistungsfähigkeit der Werke gefährdet ist, wenn unsere Kirche, deren Teil wir sind, keine Wege der Umkehr mit den Betroffenen geht“.

Von Gottfried Bohl (KNA)