Bistumsarchivar: Informationen zu Missbrauch oft versteckt
Frankfurt –Laut dem Archivdirektor des katholischen Bistums Hildesheim, Thomas Scharf-Wrede, gelingt beim Studium kirchlicher Akten die Aufdeckung früheren sexuellen Missbrauchs oft nur durch den Blick auf „vermeintlich Nebensächliches“. Es sei auffällig, dass sich bei der Recherche in Archiven gerade „jenseits der klassischen Ablage-Schiene Informationen finden, also nicht an der erwartbaren Stelle“, sagte Scharf-Wrede am Freitag bei einer Online-Tagung der Goethe-Universität Frankfurt zum Thema Missbrauch.
Das berufliche Wirken früherer Pfarrer spiegele sich etwa in der beim Bistum liegenden Personalakte nicht zwangsläufig wider. Zwingend notwendig sei es deshalb, Überlieferungsbestände in den Kirchengemeinden in den Blick zu nehmen. „Pfarrarchive dröseln die Geschichte der jeweiligen Pfarrei sehr gut und konkret auf.“ Sie könnten beim Thema Missbrauch durchaus Informationen enthalten oder andeuten, auch zu Tatverdächtigen und Missbrauchsbetroffenen, betonte Scharf-Wrede.
Es gelte, „solche Informationsspeicher anzuzapfen“, gerade wenn es nicht um die Aufarbeitung eines Missbrauchs durch eine namentlich bekannte Person gehe, sondern allgemein um die Aufdeckung und Aufarbeitung von Missbrauch in einem Bistum, einer Ordensgemeinschaft oder einem Verband. Sicherlich sei man hierbei auch klug beraten, Protokolle wichtiger Gremien anzusehen, etwa des Bischöflichen Rates sowie der Personal- und Abteilungskonferenzen im Bistum. „Gremien mit Einbindung des Bischofs, Generalvikars und Personalchefs sowie des Regens und des Offizials sind dabei sicherlich von besonderer Bedeutung“, sagte der Archivar.
Im Auftrag des Bistums Hildesheim hatte eine unabhängige Expertengruppe etwa die Amtszeit des früheren Hildesheimer Bischofs Heinrich Maria Janssen näher untersucht, die von 1957 bis 1982 dauerte. Das jüngst veröffentlichte Gutachten wirft Janssen vor, während seiner Amtszeit sexuellen Missbrauch wissentlich geduldet zu haben.
Unterdessen hofft die ehemalige Vorsitzende der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs, Sabine Andresen, auf eine politische Aufwertung ihrer Kommission. Der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung verweise an zwei Stellen auf das Gremium und auf unabhängige Aufarbeitung. „Das lässt hoffen, dass es vielleicht auch zu einem stärkeren Mandat kommt. Noch nie war zuvor Aufarbeitung und auch die Kommission in einem Koalitionsvertrag überhaupt benannt“, sagte Andresen. Die Professorin für Sozialpädagogik und Familienforschung an der Goethe-Universität war von 2016 bis September 2021 Vorsitzende des Gremiums.
Anders als bei Aufarbeitungs-Kommissionen in Ländern wie Australien, England oder Irland sei man „in Deutschland nicht zu einer starken, auch gesetzlich fundierten Ausgestaltung“ der 2016 eingerichteten Unabhängigen Kommission bereit gewesen, kritisierte Andresen. „Die Kommission hat bis heute kein Akteneinsichtsrecht, kann keine Zeugen vorladen und hat nur begrenzte finanzielle Spielräume für wissenschaftliche Studien.“
Andresen und Scharf-Wrede äußerten sich auf einer vom Fachbereich Katholische Theologie der Universität Frankfurt veranstalteten Online-Tagung.