Warum digitale Medien nicht immer die Kommunikation befördern

Viele Menschen pflegen Kontakte über das Internet oder entdecken neue Hobbys – zumal in Corona-Zeiten. Was gegen Einsamkeit hilft, kann in Extremfällen auch ungute Konsequenzen haben.

Viele Menschen pflegen Kontakte über das Internet oder entdecken neue Hobbys – zumal in Corona-Zeiten. Was gegen Einsamkeit hilft, kann in Extremfällen auch ungute Konsequenzen haben.

90 Prozent der Deutschen wollen nach einer Umfrage nicht mehr auf digitale Angebote verzichten. Angesichts steigender Corona-Zahlen und neuer Einschränkungen sind viele Menschen auch in diesem Winter froh, dass sie Videotelefonate mit lieben Menschen führen, an Tagungen oder Sportkursen zumindest digital teilnehmen können.

Zwei Drittel gaben in der Befragung der Initiative „Digital für alle“ aber auch an, dass sie die Gefahr einer „digitalen Spaltung“ sehen. 70 Prozent äußerten die Befürchtung, dass der Staat durch digitale Technologien alles über den Einzelnen wisse. Und 87 Prozent erklärten, dass nicht alles digitalisiert werden müsse.

Die Corona-Zeit hat eben auch Grenzen von Digitalisierung gezeigt. Die sogenannte soziale Präsenz lasse sich vorübergehend über Videotelefonie vermitteln, erklärt der Kommunikationswissenschaftler Markus Seifert. „Aber so ganz gelingt das eben nicht, weil viele Sinneswahrnehmungen fehlen. Kommunikation findet beispielsweise auch über körperliche Wärme statt, darüber, andere Menschen zu riechen, die Nähe zu spüren.“

Manches fehlt – und anderes verschiebt sich. Die verstärkte Mediennutzung, die in Corona-Zeiten vielfach alternativlos schien, führte teils zu Kontrollverlusten: Laut einer Studie nutzen 4,1 Prozent aller 10- bis 17-Jährigen inzwischen Computerspiele krankhaft, ein Anstieg um 52 Prozent im Vergleich zu 2019. Und nicht nur Nachbarschaftshilfen, sondern auch sogenannte Querdenker oder radikale Impfgegner vernetzen sich online.

Andreas Barthelmess, Start-Up-Unternehmer und Publizist, blickt mit Skepsis auf die Sozialen Medien. Sie legten eine Verbundenheit mit anderen nahe und lockten den Einzelnen dadurch in eine gewisse Zurückgezogenheit: „Aus dieser digitalen Komfortzone kommuniziere ich mit anderen Menschen. Das erscheint erstmal sehr bequem und angenehm – und führt dazu, dass Menschen sich mutiger und extrovertierter zeigen, bis hin zum Aggressiven.“ Um Konflikte jedoch sachlich und fair zu lösen, brauche es tatsächliche Begegnung und Interaktion. „Daher endet die Schein-Geborgenheit über die Sozialen Medien oft in Unzufriedenheit und Vereinsamung.“

Medienforscher Georg Materna betont dagegen die Chancen, die in digitaler Kommunikation liegen. Öffentliche Debatten seien „anstrengend und zunehmend irritierend“, räumt er ein. Aber das liege daran, dass sich immer mehr Menschen in diesen Debatten zu Wort melden – und die Sozialen Medien auch dafür Raum böten. Materna sieht Facebook, Twitter und Co. in erster Linie als „Sozialräume“. Bestimmte Konflikte würden erst dadurch wahrnehmbar, dass sie in diesen Räumen ausgetragen werden, sagt er.

Der Wissenschaftler vom JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis in München wirbt für mehr Gelassenheit. Das Problem seien nicht die Konflikte, die dadurch entstünden, dass mehr Menschen Gehör suchten und fänden. Die Frage sei vielmehr, wie die Gesellschaft mit dieser neuen Pluralität umgehe. „Ich halte das für historisch einmalig: die gesellschaftliche und mediale Pluralität kombiniert mit dem Anspruch, eine umfassende gleichwertige Teilhabe zu ermöglichen.“

Das sei eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, so Materna, zu deren Bewältigung auch digitale Medien beitragen könnten. Wünschenswert sei beispielsweise ein souveräner Umgang mit den Sozialen Medien, um die ihnen innewohnenden Chancen zu nutzen. So könne der sogenannte Online-Enthemmungseffekt, der vor allem im Zusammenhang mit negativen Konsequenzen wie Hassbotschaften diskutiert werde, eben auch dazu führen, dass jemand im Online-Vortrag seine Schüchternheit überwindet.

Andere Beobachter melden Bedenken an. 30 Jahre, nachdem das World Wide Web seinen Siegeszug angetreten habe, hätten viele Menschen das Gefühl eines gebrochenen Versprechens, schreibt der Politikwissenschaftler und Autor Martin Hecht in seinem Buch „Die Einsamkeit des modernen Menschen“. Wohl noch nie hätten die Menschen so hohe Erwartungen an ihr Leben gehabt wie heute – und dies werde durch das Internet befeuert: „Hier kursieren die Glücksbilder, hier sind sie auf Abruf verfügbar. Nur, der Download will nicht recht funktionieren.“

Wenn aus Frustration und Vereinsamung dann Protest erwachse, richte dieser sich oftmals gegen andere, warnt Hecht. Kundgebungen von Wutbürgern interpretiert er auch als ein Auflehnen „gegen die eigene Unsichtbarkeit“.

JFF-Experte Materna sieht in diesem Zusammenhang die klassischen Medien gefragt. „Die Medienlogik begünstigt, dass beispielsweise Tabubrüche, Grenzüberschreitungen und Katastrophen eine Öffentlichkeit bekommen. Das gilt für Anschläge, aber auch für politische Provokationen oder skurrile Äußerungen von Prominenten, die teilweise gezielt über Soziale Medien verbreitet werden. Wer solche Aussagen als Journalist aufgreift, macht sie bekannter und verändert auch damit den Diskurs.“ Wichtig wäre es, „sowohl Journalisten als auch Rezipienten zu befähigen, diese „neue mediale Gemengelage kritisch einzuordnen“, so der Forscher: „Der Bedarf danach hat während der Pandemie zugenommen.“

Von Paula Konersmann (KNA)