Der Jesuit Klaus Mertes sieht seine Kirche „vor dem Scherbenhaufen von 30 oder mehr Jahren verfehlter Personalpolitik“.
Der Jesuit glaubt nicht, dass Rücktritte von Bischöfen, „die durch öffentlichen Druck oder päpstlichen Befehl erzwungen werden“, zur Erneuerung beitrügen. „Denn was soll nach den Rücktritten kommen? Mein Vertrauen auf die möglichen Nachfolger, die jetzt noch in der zweiten Reihe stehen, ist nicht sehr ausgeprägt.“Wirkung könnten Rücktritte nur entfalten, wenn sie aus dem eigenen Willen der zurücktretenden Personen kämen, so Mertes. „Aber dazu wäre ein Schritt über die Grenzen des Systems notwendig, nämlich der, nicht den Papst um die Annahme eines Rücktrittsgesuchs zu bitten, sondern selbst definitiv zurückzutreten. Vielleicht täte man ja dadurch Franziskus einen Dienst, wenn man diese Grenze einmal überschreitet.“
Pater Mertes: Ehemalige Täter „nicht aus der Kirche rausreißen“
Der Jesuit Klaus Mertes plädiert für einen angemessenen Umgang mit ehemaligen Missbrauchstätern. Sie „aus der Kirche rauszureißen, um wieder sauber zu sein“, sei eine „institutions-narzisstische Perspektive, die auch nicht weiterführt“, sagte Mertes am Donnerstag im Podcast „Mit Herz und Haltung“ der katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen.
Grundsätzlich müsse zwar klar sein, dass kirchliche Missbrauchstäter nicht mehr seelsorglich arbeiten dürften und dass sie „der weltlichen Gerichtsbarkeit zugeführt“ würden. Er plädiere aber dafür, sie nicht aus den eigenen Reihen – etwa im Ordensleben – zu entfernen, sondern weiter mit ihnen zusammenzuleben. „Auch wenn dies ganz, ganz schwer ist“, so Mertes. Mertes hatte 2010 als Rektor des Berliner Jesuitengymnasiums Canisius-Kolleg zahlreiche Missbrauchsfälle öffentlich gemacht und damit eine Welle von Enthüllungen in der katholischen Kirche in Deutschland ausgelöst.
Weiter plädierte der Geistliche für eine klare sprachliche Trennung zwischen „Grenzüberschreitung, Übergriff und Missbrauch“. Eines der Probleme sei, dass „wir alles unter Missbrauch summieren“. Man könne aber nicht sagen, dass jeder ein Missbrauchstäter sei, der eine Grenze verletze, also etwa sich im Ton vergreife oder eine schlüpfrige Bemerkung mache. Bei Missbrauch gehe es um systematischen Missbrauch von Kindern über Jahre hinweg, mit sehr vielen Betroffenen wie etwa beim Canisius-Kolleg und mit Vertuschungsabsicht, so Mertes. Es sei Unrecht, alle über einen Kamm zu scheren.
Er habe auch Fälle erlebt, dass Personalvorgesetzte bis hin zu Bischöfen, aus Angst davor, „als zu weich zu gelten“, Priester, die übergriffig geworden waren, als Missbrauchstäter „ins Fenster gestellt haben und damit sozial vernichtet haben. Einfach nur um selbst dazustehen als toller Aufklärer. So geht es auch nicht. Es gibt da auch etwas wie rechtsstaatliche Kriterien, die zu beachten sind“, sagte Mertes.