Auch das katholische Bistum Essen untersagt seinen Mitarbeitenden im pastoralen Dienst die Mitwirkung und Mitgliedschaft in der geistlichen Gemeinschaft „Totus Tuus Neuevangelisierung“. Das geht aus dem aktuellen Amtsblatt des Ruhrbistums hervor.
Essen – Auch das katholische Bistum Essen untersagt seinen Mitarbeitenden im pastoralen Dienst die Mitwirkung und Mitgliedschaft in der geistlichen Gemeinschaft „Totus Tuus Neuevangelisierung“. Das geht aus dem aktuellen Amtsblatt des Ruhrbistums hervor. Der zuständige Münsteraner Bischof Felix Genn hatte in einem Dekret vom 4. November verfügt, dass „Totus Tuus“ kein nach dem Kirchenrecht anerkannter kirchlicher Verein mehr ist. Der Vereinigung wird geistlicher Missbrauch vorgeworfen. Das Dekret des Münsteraner Bischofs müsse auch in der Essener Diözese „ausdrücklich“ beachtet werden, erklärte Essens Generalvikar Klaus Pfeffer. Demnach dürfen auch keine Veranstaltungen und Aktivitäten des Vereins in Einrichtungen des Bistums stattfinden.
Bischof sieht schwerwiegende Mängel im geistlichen Umgang bei Totus Tuus
Das Bistum Münster hatte „Totus Tuus“ („Ganz Dein“) als weltweit einziges Bistum 2004 anerkannt. Seit 2017 ging die Diözese Vorwürfen ehemaliger Mitglieder nach, die Gemeinschaft pflege sektenartige Strukturen. Die Rede war unter anderem von blindem Gehorsam und beeinträchtigter Freiheit besonders im Bereich von Sexualität und Ehe. Daraufhin hatten ein Priester und eine Ordensfrau die Gemeinschaft in den Jahren 2017 und 2018 im Auftrag von Genn untersucht. Nach deren Visitation erfolgte ein Gesprächs- und Aufarbeitungsprozess, der im November 2020 mit einem Abschlussbericht endete. Laut Genn steht es nicht in seiner Macht, den zivilrechtlichen eingetragenen Verein aufzulösen. „Totus Tuus“ dürfe sich aber nicht länger als katholische Vereinigung bezeichnen. Den Einspruch der Gemeinschaft gegen das Dekret wies der Münsteraner Bischof ab.
Das Urteil des Bischofs von Münster wiegt schwer. Nach seiner Einschätzung, sagt Felix Genn, kam es in der Gemeinschaft Totus Tuus Neuevangelisierung „wiederholt zu Handlungen und Kommunikationsverhalten, die wir heute unter den Begriff geistlicher Missbrauch fassen. Die Gemeinschaft hat Strukturen und Verhaltensweisen entwickelt, die ein solches Handeln ermöglicht und gefördert haben“. Deswegen hat Genn am 4. November ein Dekret unterzeichnet, in dem er der geistlichen Gemeinschaft die kirchliche Anerkennung entzogen hat. Demnach darf sich die in mehreren Ländern verbreitete Gruppe nicht mehr katholisch nennen. Das Bistum Münster hatte Totus Tuus (Lat. Ganz Dein) 2007 anerkannt, was kirchenrechtlich einer allgemeinen Anerkennung gleichkam. Münster oblag die Aufsicht über die Gemeinschaft. Bereits seit vier Jahren ging das Bistum Münster Vorwürfen ehemaliger Mitglieder der Gemeinschaft nach, wonach Totus Tuus sektenartige Strukturen pflege.
Blinder Gehorsam und beeinträchtigte Freiheit
Die Rede war unter anderem von blindem Gehorsam und beeinträchtigter Freiheit besonders im Bereich von Sexualität und Ehe. Die Totus-Tuus-Verantwortlichen seien „nicht willens, bereit und in der Lage“, die in einem Untersuchungsbericht festgehaltenen schwerwiegenden Mängel im geistlichen Umgang mit Mitgliedern einzusehen und abzustellen, heißt es nun in Genns Dekret. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe hatten ein Priester und eine Ordensfrau die Gemeinschaft 2017 und 2018 im Auftrag von Genn untersucht. Nach deren Visitation erfolgte ein zweijähriger Gesprächs- und Aufarbeitungsprozess, der im November 2020 mit einem Abschlussbericht endete. In den vergangenen Monaten habe sich gezeigt, dass es in der Leitung von Totus Tuus an Einsicht in die Tragweite der Missstände fehle, so Genn. Hinweise auf Straftaten oder sonstiges rechtliches Fehlverhalten wurden laut Bistum bei Totus Tuus aber nicht gefunden.
Es sei ein Klima begünstigt worden, das Kritik zum Ausweis mangelnder geistlicher Reife erklärt und ein geschlossenes Elitedenken befördert habe. Im Bistum Münster gebe es bei spirituellem Machtmissbrauch „eine Haltung der Null-Toleranz“, betonte Genn. Genn untersagte mit dem Dekret zugleich Seelsorge-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern des Bistums eine Mitgliedschaft oder Mitwirkung in der Vereinigung. Zu solch einem deutlichen Signal an die eigenen Seelsorger sieht die Nachbardiözese, das Erzbistum Köln, offenbar keinen Anlass, obgleich zwei Düsseldorfer Pfarrvikare in der Gemeinschaft eine exponierte Rolle spielen: Sowohl die kirchenrechtliche Anerkennung der Gemeinschaft Totus Tuus als auch deren Entzug sei durch den Bischof von Münster erfolgt. Das Erzbistum Köln halte sich an diesen Beschluss, sagte ein Sprecher der Erzdiözese, dem Neuen Ruhrwort auf Anfrage im November.
Köln: Diözesanpriester angewiesen Wirken im Erzbistum strikt von Engagement für Totus Tuus zu trennen
Im Erzbistum Köln gebe es zwar „zwei Diözesanpriester, die ihre spirituelle Heimat in der Gemeinschaft Totus Tuus Neuevangelisierung haben“, erklärte der Sprecher. Aber: „Ihre spirituelle Heimat ist nicht von Belang für die Aufgaben in den Pfarreien, in denen sie eingesetzt sind, da sie schon seit längerem vom Erzbistum Köln die Auflage haben, ihr Wirken als Pfarrvikar im Erzbistum strikt von dem Engagement für Totus Tuus außerhalb des Erzbistums zu trennen.“ Die beiden Priester Thomas Müller und Joachim Federhen sind ausweislich des inzwischen offline geschalteten Internetauftritts bei Totus Tuus offizielle Ansprechpartner für den Förderkreis beziehungsweise den Freundeskreis der Gemeinschaft. Müller fungiert darüber hinaus als Vorstandsvorsitzender des eingetragenen Vereins. Ulrich Lota, Pressesprecher des Bistum Essen, sagte unterdessen auf Nachfrage seinerzeit, das Ruhrbistum werde mit der örtlichen Gruppe „das Gespräch suchen“.
Die Vereinigung hat derzeit weltweit nur noch 135 Mitglieder, wie das Bistum Münster unter Berufung auf die Organisation mitteilte. In der Diözese Münster gebe es nach Austritten inzwischen weniger als 20. Es müsse aber auch der Freundeskreis der Gemeinschaft im Blick behalten werden. So organisiere Totus Tuus jedes Jahr ein Treffen im westfälischen Wallfahrtsort Telgte, an dem rund 200 Menschen teilnähmen.
Auf ihrer Homepage bot die Vereinigung zudem Glaubenskurse für Firmlinge, Camps und Gebetstreffen für Jugendliche, Gemeindemissionen und Wallfahrten nach Medjugorje in Bosnien-Herzegowina an. Mit dem kirchlich offiziell nicht anerkannten Marienwallfahrtsort in dem Balkanland ist Totus Tuus eng verbunden. Ausgehend von einer Jugendwallfahrt dorthin gründete das Ehepaar Leon und Birgit Dolenec die Vereinigung in den 1990er-Jahren.
„Unsere Gemeinschaft ist in verschiedene Formen der Zugehörigkeit gegliedert. Die Mitglieder des Evangelisationsteams und des Familienkreises bilden den Kern der Gemeinschaft. Weitere Zweige sind der Freundeskreis, die Kandidaten und die TT-Jugend“, beschreibt die Gemeinschaft ihren Aufbau. Verantwortlicher Ansprechpartner des Familienkreises und damit auch Teil des Leitungszirkels bei Totus Tuus ist der Mülheimer Diakon Martin Bader. Im Namen von Totus Tuus möchte er derzeit nicht offiziell sprechen, sagte er nach Bekanntwerden des Verbots durch Bischof Genn und verwies auf das offizielle Statement der Gemeinschaft. Nur soviel: „Wir sind noch in der Klärungsphase.“ Persönlich äußerte er über die Entscheidung indes Betroffenheit. Für ihn selbst sei „wichtig, dass der spirituelle Weg weitergeht“.
BDKJ betont Bedeutung der Prävention
Das Bistum Essen hatte unmittelbar veranlasst, dass die Darstellung von Totus Tuus von der Internetseite der Pfarrei Sankt Mariä Himmelfahrt entfernt wird. „Wir sind da ganz gehorsam“, versicherte Bader. Auch trenne er klar zwischen dienstlichen Verpflichtungen für das Bistum und seinem Engagement für die geistliche Vereinigung. Nach seiner Darstellung war die Vereinigung im Bistum Essen zuletzt nicht mehr aktiv gewesen. Wiederholt war Bader in den zurückliegenden Jahren mit der sogenannten „Totus Tuus Tankstelle“ in der Gemeinde St. Barbara in Gelsenkirchen-Erle zu Gast. Die Ruhrgebietsstadt war damit einer von bundesweit elf Orten, an denen diese eintägigen Evangelisierungsveranstaltungen angeboten wurden. „Als vor einigen Jahren die ersten sehr kritischen Einschätzungen aufkamen“ sei ihm auf Nachfrage „versichert worden, dass Totus Tuus nicht mehr da sei“, sagte Propst Markus Pottbäcker, Pfarrer von St. Urbanus, dem Neuen Ruhrwort und betonte: „Meinerseits ist Totus Tuus nicht in der Pfarrei erwünscht.“
In Mülheim gab es laut örtlichen KjG-Vertretern offenbar gemeinsame Anbetungen und Gebete mit der Evangelisierungsbewegung Jugend 2000. Diese ebenfalls umstrittene Gruppierung bietet ausweislich ihrer Internetseite wöchentliche Gebetstreffen in der Stadt an. Der Ort der Veranstaltung wird allerdings nur nach vorheriger Anmeldung via E-Mail bekanntgeben. Der Essener BDKJ-Diözesanverband erklärte auf Anfrage, in der Vergangenheit keinen Kontakt zu Gruppen von Totus Tuus gehabt zu haben. „Grundsätzlich ist für uns aber die Prävention und Aufarbeitungen von allen Formen von Missbrauch eine zentrale Aufgabe, vor der die Kirche steht, vor allem auch in der kirchlichen Jugendarbeit.“ Der BDKJ sei der Überzeugung, „das Jugendarbeit nur dann gelingen kann, wenn sie Kinder und Jugendliche ernst nimmt, sie stärkt und alles tut, um für ihre Rechte einzustehen. Die Berichte legen Nahe, dass dies in der Leitung von Totus Tuus nicht die Priorität hat, die es haben müsste, von daher halten wir den Schritt den Bischofs von Münster für konsequent und richtig.“