Erzbischof Heße sagt im Missbrauchsprozess gegen Pfarrer U. aus

Zum ersten Mal in Deutschland sagt ein katholischer Bischof in einem Missbrauchsprozess gegen einen Priester vor Gericht aus. Vor rund elf Jahren beschäftigte sich Hamburgs Erzbischof Stefan Heße mit Missbrauchsvorwürfen gegen einen Priester im Erzbistum Köln. Damals war er Personalchef – und unterzeichnete eine brenzlige Notiz.
Vor rund elf Jahren beschäftigte sich Hamburgs Erzbischof Stefan Heße mit Missbrauchsvorwürfen gegen einen Priester im Erzbistum Köln. Damals war er Personalchef - und unterzeichnete eine brenzlige Notiz.  Köln – Zum ersten Mal in Deutschland sagt ein katholischer Bischof in einem Missbrauchsprozess gegen einen Priester vor Gericht aus. Der Hamburger Erzbischof Stefan Heße (55) wird am Dienstag in dem Verfahren gegen den 70-jährigen früheren Pfarrer U. vom Landgericht Köln als Zeuge vernommen. Der Fall ist für Heße heikel, weil ihm in dieser Sache zumindest ein Mitwirken an Vertuschung vorgeworfen wird.

Hamburgs Erzbischof Dr. Stefan Heße (Foto: © Deutsche Bischofskonferenz/Jörn Neumann)

Vor rund elf Jahren beschäftigte sich Hamburgs Erzbischof Stefan Heße mit Missbrauchsvorwürfen gegen einen Priester im Erzbistum Köln. Damals war er Personalchef – und unterzeichnete eine brenzlige Notiz.

Zum ersten Mal in Deutschland sagt ein katholischer Bischof in einem Missbrauchsprozess gegen einen Priester vor Gericht aus. Der Hamburger Erzbischof Stefan Heße (55) wird am Dienstag in dem Verfahren gegen den 70-jährigen früheren Pfarrer U. vom Landgericht Köln als Zeuge vernommen. Der Fall ist für Heße heikel, weil ihm in dieser Sache zumindest ein Mitwirken an Vertuschung vorgeworfen wird.

Laut Anklageschrift soll U. sich zwischen 1993 und 1999 in 31 Fällen in Gummersbach an seinen drei minderjährigen Nichten vergangen haben – davon in drei Fällen schwer. Zudem soll er 2011 in Wuppertal zwei Mal ein elfjähriges Mädchen missbraucht haben.

Heße hatte in den Jahren 2010 und 2011 als Personalchef im Erzbistum Köln mit U. zu tun, nachdem dieser erstmals von einer Nichte angezeigt wurde. Das Erzbistum beurlaubte den Geistlichen zunächst. Dann zog die Nichte ihre Anzeige jedoch zurück, die Staatsanwaltschaft stellte ihr Verfahren ein, U. durfte wieder als Krankenhauspfarrer arbeiten. Das Erzbistum verzichtete auf eine Meldung nach Rom sowie auf weitere kirchenrechtliche Schritte.

Ein Aufarbeitungsgutachten, das Juristen um den Strafrechtler Björn Gercke im März 2021 vorstellten, nimmt unter anderem Heßes Rolle im Fall U. in den Blick. Die Gutachter kommen zu dem Ergebnis, der Personalchef habe ein Verhör des Geistlichen durch Bistumsverantwortliche pflichtwidrig nicht protokollieren lassen. Sie bestätigen zwar nicht den Vorwurf der Vertuschung, halten Heße aber dennoch Fehler in der Sache vor.

In den Akten des Erzbistums fanden sie eine brenzlige Notiz vom November 2010. Erstellt hat sie Heßes damalige Sekretärin. U. habe im Generalvikariat “alles erzählt”, steht darin – und weiter: “Es wird von uns auch kein Protokoll hierüber gefertigt, da dieses beschlagnahmefähig wäre.” Die Notiz trägt Heßes Kürzel.

Er habe das Dokument damals wohl zur Kenntnis genommen, aber nicht “einverstanden” daran geschrieben, hatte Heße den Gutachtern erklärt. Zu jener Zeit sei wohl viel zu tun gewesen. U. habe die Vorwürfe im Generalvikariat jedenfalls bestritten. Insgesamt habe Heße entspannt auf den Fall geblickt, da ja die Staatsanwaltschaft Ermittlungen geführt habe, was selten vorkomme. Für ihn sei damit klar gewesen, dass sich auf dieser profunden Grundlage ein kirchenrechtliches Verfahren anschließen werde.

Doch es kam anders. Die Staatsanwaltschaft stellte ihre Ermittlungen ein, daraufhin unternahm auch Erzbistum nichts mehr. Dabei hätte es laut Gercke durchaus eine Meldung an den Vatikan geben müssen.

Diese Einschätzung teilt auch der frühere Interventionsbeauftragte des Erzbistums, Oliver Vogt. 2018 rollte er den Fall wieder auf und wandte sich an die Behörden, wie er vor Gericht erklärte. Kardinal Rainer Maria Woelki untersagte U. auch die Ausübung priesterlicher Dienste.

Im nun laufenden Prozess verlas Richter Christoph Kaufmann eine E-Mail, in der Vogt seine Vorgesetzten darüber informiert hatte, dass die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen gegen U. wieder aufgenommen hatte. Die Nachricht endet mit dem bitteren Satz: “Wir können nur hoffen, dass sich zwischen 2010 und 2019 keine weiteren Fälle ereignet haben.”

In der bisherigen Verhandlung zeichnet sich ab, dass genau das der Fall sein könnte. Überhaupt scheint es eine ganze Reihe weiterer möglicher Opfer zu geben. So haben laut Kaufmann wohl “reihenweise” Mädchen in U.s Haus in Gummersbach übernachtetet. Der Geistliche sei vermutlich mit Priester E. befreundet, dem ebenfalls sexueller Missbrauch vorgeworfen wird.

2010 und 2011 hatte auch der langjährige Leiter des Kölner Kirchengerichts Günter Assenmacher (69) mit der Frage zu tun, ob der Fall U. an den Vatikan gemeldet wird. Im Prozess betonte er, eine rein beratende Funktion gehabt zu haben. Wegen der zurückgezogenen Anzeige habe es zudem niemanden gegeben, der etwas ausgesagt hätte. In U.s Personalakte habe er nie Einblick genommen. Auf die Nachfragen Kaufmanns, warum er sich nicht mehr um Aufklärung bemühte, antwortete der ehemals oberste Kölner Kirchenrichter, dies sei nicht seine Aufgabe gewesen.

Kaufmann betonte, das Erzbistum hätte mit nur wenig Engagement viel über U. erfahren können. Assenmacher hatte dem wenig entgegenzusetzen. Nach der Vorstellung des Gercke-Gutachtens hatte Kardinal Woelki den Kirchenrechtler aus seinen Ämtern entlassen.

Von Anita Hirschbeck (KNA)