Die Vorstellung des mit Spannung erwarteten Gutachtens zum Umgang mit Missbrauchsfällen im Erzbistum München und Freising hat begonnen.
München –Die Vorstellung des mit Spannung erwarteten Gutachtens zum Umgang mit Missbrauchsfällen im Erzbistum München und Freising hat begonnen. Anwältin Marion Westpfahl rügte zu Beginn das Fernbleiben von Kardinal Reinhard Marx von der Vorstellung. „Wir hatten ihn ausdrücklich eingeladen“, sagte sie am Donnerstag vor Journalisten.
„Er hat sich entschieden, dieser Einladung nicht zu folgen. Wir bedauern sein Fernbleiben außerordentlich – weniger um unserer selbst als insbesondere im Hinblick auf das berechtigte, nachvollziehbare Interesse der vom Missbrauch Betroffenen, wahrgenommen zu werden. Aus unserer Sicht gehört hierzu auch die Bereitschaft der in der Erzdiözese leitend Verantwortlichen, sich unmittelbar und für die Öffentlichkeit wahrnehmbar mit den in monatelanger Arbeit gewonnenen Erkenntnissen und Feststellungen konfrontieren zu lassen“, sagte die Gutachterin
Westpfahls Kanzlei hatte bereits 2010 einen damals nicht veröffentlichten Untersuchungsbericht für die Erzdiözese erstellt. Die Anwältin sagte, man müsse heute von keiner der damals getroffenen Grundaussagen abrücken. Eine „Korrektur“ sei jedoch bei der Bewertung des Verhaltens von Joseph Ratzinger erforderlich, der von 1977 bis 1982 Münchner Erzbischof war. Die Untersuchung im Auftrag des Erzbistums München und Freising wird von der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl am Mittag im Internet vollständig veröffentlicht. Sie umfasst mehr als 1.600 Seiten. Benedikt XVI. hat dazu eine Stellungnahme von 82 Seiten abgegeben.
Die Gutachter werfen dem Münchner Kardinal Reinhard Marx vor, sich nicht ausreichend um die Behandlung der Fälle sexuellen Missbrauchs gekümmert zu haben. „Wann, wenn nicht im Fall des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger ist die Einordnung einer Thematik als Chefsache zutreffend“, sagte Anwalt Martin Pusch am Donnerstag. Dies gelte erst recht mit Blick auf die zentrale Rolle des Diözesanbischofs in den einschlägigen Regelwerken. „Dass Erzbischof Kardinal Marx diese wahrgenommen hätte, war für uns jedoch nicht feststellbar.“ Eine gewisse Änderung habe sich erst ab dem Jahr 2018 ergeben.
Ungeachtet der Vielzahl der seit 2010 eingegangenen Meldungen zu Missbrauch durch noch lebende Kleriker sei für Marx als Erzbischof in einer nur verhältnismäßig geringen Zahl eine unmittelbare Befassung feststellbar, kritisieren die Gutachter. Im wesentlichen habe er sich darauf beschränkt, die verwaltungsseitig vorgeschlagenen Maßnahmen, die ihm als Diözesanbischof oblägen, umzusetzen. Der Kardinal sehe die regelkonforme und sachgerechte Behandlung von Missbrauchsfällen in erster Linie bei Generalvikar und Ordinariat. Er selber sei primär für die Verkündigung des Wortes Gottes zuständig.
Diese Sichtweise teile man nicht uneingeschränkt. Sie greife angesichts der „zentralen, mit einer Vielzahl von erheblichen Risiken verbundenen Thematik“ zu kurz, so Pusch. Konkret fehlerhaftes Verhalten attestieren die Gutachter Marx in zwei Fällen. Dabei handele es sich vor allem um die Frage, ob eine Meldung an die Glaubenskongregation erfolgt sei.
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rwm/kna
Missbrauch: Gutachter sehen Fehlverhalten bei späterem Papst Benedikt XVI.