Betroffene von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche sind am Freitagnachmittag vor den Essener Dom gezogen. Sie wollten damit ein stilles Zeichen setzen und auf die Verantwortung des Bistums hinweisen.
Betroffene von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche sind am Freitagnachmittag vor den Essener Dom gezogen. Sie wollten damit ein stilles Zeichen setzen und auf die Verantwortung des Bistums hinweisen. Seit 16 Uhr standen die Betroffenen und ihre Unterstützer für rund zwei Stunden ruhig vor dem Dom. Mit Beginn der Dämmerung zündeten sie Kerzen an. Im Gedenken an alle Menschen, die von Geistlichen missbraucht wurden. Initiiert wurde die Aktion von dem Bottroper Markus Elstner. Er wurde als Kind von dem Geistlichen Peter H. missbraucht. Das am Donnerstag in München veröffentlichte Missbrauchsgutachten beschäftigt sich auch mit einem Priester aus dem Bistum Essen. Er verging sich im Ruhrbistum und in Oberbayern über Jahre an mindestens vier Orten an Minderjährigen. Dennoch wurde er immer wieder in der Seelsorge eingesetzt.
An der Solidaritätsaktion nahmen knapp 100 Menschen teil. „Wir sind hier, wir sind laut – Gerechtigkeit Amen“, skandierten sie. Bischof Franz-Josef Overbeck begrüßte zusammen mit Generalvikar Klaus Pfeffer, Dompropst Thomas Zander und Dorothee Möllenberg, der Präventionsnbeauftragten des Bistums Essen, die Teilnehmer der Kundgebung vor dem Bischofshaus. Es gehe ihm darum „ein Zeichen des Miteinander-auf-dem-Weg-sein-Wollens zu setzen“, sagte er. Die Erkenntnisse der München Missbrauchsgutachtens „haben uns sehr erschüttert“, erklärte Overbeck. Die Missbrauchstaten in der Kirche hätten „viel mit Vertuschung, viel mit Lüge und viel mit Gewalt zu tun gehabt“, sagte der Bischof. Sie hätten nicht nur die Würde von Menschen mit Füßen getreten, sondern dabei auch die Kirche in eine Krise gestürzt, „von der ich nie gedacht habe, dass sie in einer solchen existenziellen Krise jemals sein würde“, sagte der Bischof.
Einsatz für mehr Entschädigung
Die Katholische Kirche dürfe nicht nur von den Strukturen sprechen, sondern müsse „die Frage des Umgangs mit der Macht in der Kirche und die Frage der Verantwortung dafür“ reflektieren. Es hoffe darauf, die Erneuerung der Kirche „Schritt für Schritt auf den Weg zu bringen“. Overbeck führte auch die bundesweiten Diskussionen etwa um die Fragen von Macht und Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche an, um die – als eine Konsequenz aus dem Missbrauchsskandal – derzeit im Reformdialog Synodaler Weg gerungen werde. Dabei gehe es nicht nur um Strukturen, sondern vor allem um Inhalte, betonte der Bischof: „Uns bindet der Glaube an den lebendigen Gott!“ Overbeck dankte den Besucherinnen und Besuchern aus Pfarrgemeinden aus Essen und den umliegenden Städten für ihr tatkräftiges und kritisches Engagement: „Mir ist wichtig, dass wir solidarisch zusammenstehen.“
Der Ruhrbischof bekräftigte seine Bereitschaft, mit den Betroffenen einen gemeinsamen Weg der Begleitung und Unterstützung zu gehen. Dabei verwies er auf die erfolgreiche Gründung eines Betroffenenbeirats, der gerade seine Arbeit aufgenommenen hat. In den weiteren Gesprächen verwies Overbeck auf die intensive Präventionsarbeit in den Pfarreien und katholischen Einrichtungen des Ruhrbistums sowie auf die Interventionsarbeit in der Aufarbeitung konkreter Missbrauchsfälle.
Overbeck betonte, er setzte sich angesichts des Missbrauchs in der katholischen Kirche für mehr Entschädigungen für die Opfer ein. „Diese Schmerzen, dieses Leid sind nicht in Geld aufzuwiegen“, sagte er am Freitagabend. Eine Geldleistung sei aber „das Richtige und auch das Angemessene“. „Da ist sicherlich noch Luft nach oben“, betonte der Bischof. Das Essener Bistum setze sich dafür ein – sowohl innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz als auch im eigenen Bereich. Als keine weiteren Fragen mehr kamen, betete er mit ihnen gemeinsam ein Vaterunser.
Overbeck erinnert an Bischofsmotto Benedikt XVI.
Im Fall des Missbrauchstäters Peter H. sei er sich „sehr bewusst, dass wir als Bistum sehr viel Verantwortung tragen“. Overbeck, der seit Ende 2009 im Amt ist, sagte, er trage als Bischof immer die Verantwortung: in der Gegenwart, aber auch für die Vergangenheit das Bistums. „Es bewegt und mich beschäftigt sehr, drauf zu warten und zu hoffen, dass es eine Reaktion aus Rom dazu gibt“, sagte Overbeck auf Nachfrage zu seiner Haltung zu Benedikt XVI. Damit einher gehe eine Bewertung der „Bedeutung des Amtes“. Es sei ein „große Herausforderung“ Stellung zu beziehen, so Overbeck, der zugleich aufs Benedikts Bischofsmotto verwies: „Cooperatores Veritatis“, also: Mitarbeiter der Wahrheit.
„Auch die Gesellschaft trägt ihre Mitschuld an den Skandalen: Wo etwas gehört wurde, wurde geschwiegen. Wo etwas gesehen wurde, wurde weggeguckt. Die Betroffenen wurden viel zu lange alleine gelassen“, sagte Altfrid Norpoth von der Initiative Maria 2.0. „Ich habe mir vorgenommen, nicht wegzuschauen, nicht zu schweigen, sondern die Betroffenen bei ihrem Sich-Öffnen und bei der Aufklärung zu unterstützen mit den Möglichkeiten, die ich habe“. Der seit Jahrzehnten engagierte Katholik und jahrelange Essener Katholikenratsvorsitzende sagte, er sei Anfang letzten Jahres durch die Vertuschungen ins Grübeln über einen möglichen Kirchenaustritt gekommen. Er habe sich aber dafür entscheiden, aktiv etwas zu tun. Die schonungslose Aufklärung der Missbrauchstaten sei Maria 2.0 ein großes Anliegen, weshalb die Initiative Markus Elstner bei seinen Aktionen unterstützen möchte.
Betroffene üben Kritik auch an Bischof Overbeck
Initiator Markus Elstner zog am Freitagabend im Gespräch mit Neues Ruhrwort ein überwiegend positives Fazit von der Veranstaltung vor dem Essener Bischofshaus. So zeigte er sich sehr erfreut über die große Resonanz, die sein Aufruf gefunden habe. „Wir haben dort auch stellvertretend für diejenigen gestanden, die den Missbrauch nicht darüber sprechen können und die den Missbrauch teilweise auch nicht überlebt haben.“ Er selbst habe durch eine 2013 gegründete Selbsthilfegruppe für sich einen Weg der Aufarbeitung erschlossen und damit den Mut dazu gefunden, als Betroffener Gesicht zu zeigen. „Es ist gut, dass wir wahrgenommen werden und uns zugehört wird“, sagte er auch im Hinblick auf eine große Medienresonanz, mit allein fünf TV-Kamerateams. Von diesem Medienrummel sei er zugleich „auch etwas erschöpft“.
Andererseits haderte Elstner mit dem Auftreten des Essener Bischofs Franz-Josef Overbeck. Zwar sei dieser aus einer Sitzung heraus vors Bischofshaus gekommen und habe eine kurze Ansprache gehalten. Er hätte sich aber gewünscht, dass Overbeck das persönliche Gespräch mit ihm als Initiator gesucht hätte, sagte Elstner. „Dazu ist es aber leider nicht gekommen.“ Auch Wilfried Fesselmann, der 1979 von Peter H. missbraucht wurde, und dessen Fall letztlich den Ausschlag dafür gab, dass der Priester vom Bistum Essen nach München geschickt wurde, äußerte sich in diesem Sinne. „Bischof Overbeck kennt uns und hat uns während seiner Ansprache auch angesehen, aber er ist nicht zu uns gekommen. Ich glaube, das konnten wir von ihm erwarten”, sagte Fesselmann. Das Overbeck nicht kam, habe ihn befremdet.
Gebet fehl am Platz
Deutliche Kritik übte Elstner auch daran, dass Overbeck ein gemeinsames Vaterunser gesprochen habe. „Das passte einfach nicht zu unserer Veranstaltung“, sagte Elstner, der nach eigenen Worten, „mit der Kirche abgeschlossen“ hat. „Ich habe den Glauben an Gott verloren“, sagte der ehemalige Messdiener. „Ich akzeptiere jeden, der noch an Gott glaubt, aber das hatte da wirklich nichts zu suchen. Es wurde viel zu lange nur geredet und gebetet.“ Ein Gebet ist für ihn und andere Betroffene kein Zeichen der Verbundenheit.
Elstner und Fesselmann wollen sich mit weiteren Aktionen künftig für die Belange von Missbrauchsbetroffenen einsetzen – auch mit Forderungen an die Politik. Elstner plädiert für eine Strafrechtsverschärfung. Alle Täter müssten zur Rechenschaft gezogen werden: „Die Verjährungsfristen müssten abgeschafft werden“, sagt er.