Der frühere Papst Benedikt XVI. sollte nach Ansicht des Kinderschutzexperten Hans Zollner angesichts des Münchner Missbrauchsgutachtens eine persönliche Erklärung abgeben.
Rom – Der frühere Papst Benedikt XVI. sollte nach Ansicht des Kinderschutzexperten Hans Zollner angesichts des Münchner Missbrauchsgutachtens eine persönliche Erklärung abgeben. Darin könne er etwa sagen, dass er sich nicht erinnere, an der betreffenden Sitzung teilgenommen zu haben. Falls doch, habe er einen Fehler gemacht und sollte um Entschuldigung bitten, sagte Zollner im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Freitag.
Selbst wenn der psychologische Erkenntnisstand damals ein anderer war, so der Psychologe und Leiter des Safeguarding-Instituts in Rom, hätte Ratzinger als Erzbischof der Sache mehr Aufmerksamkeit widmen sollen. Im Übrigen sei er erstaunt, dass die Einlassung des emeritierten Papstes sich auf juristische, aussagerechtliche und kirchenrechtliche Aspekte beschränke. Es fehle so gut wie jeder menschliche Aspekt.
Große Verwunderung im Vatikan, dass die Stellungnahme nicht mit anderen Stellen abgesprochen wurde
Zöllner wörtlich: „Es erstaunt mich, dass er sich nur auf juristische, aussagerechtliche und kirchenrechtliche Aspekte beschränkt. Es fehlt das Bewusstsein, dass es auch um die menschliche Seite und um die Außenwahrnehmung geht. Das sieht man an dem Beispiel mit dem masturbierenden Priester vor minderjährigen Mädchen. Es sei zu keiner Berührung gekommen und daher kein Missbrauch, steht in der Stellungnahme, die Benedikt unterschrieben hat. Im Übrigen höre ich aus dem Vatikan große Verwunderung, dass diese Stellungnahme nicht mit anderen Stellen abgesprochen wurde.“
Eine wahrnehmbare, verständliche persönliche Erklärung erwartet Zollner darüber hinaus von allen, die in dem Gutachten als verantwortliche Personen genannt werden. Im Erzbistum München und Freising seien zudem konkrete vertrauensbildende Maßnahmen nötig. Dazu zähle auch der Ausbau einer Ombudsstelle. „Man muss auf Gemeinden und Familien zugehen, wo es Irritationen und Spaltungen gab und gibt“, so Zollner, „ein Klima schaffen, in dem Wunden heilen können.“
Das von der Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) vorgelegte Gutachten ist laut Zollner „wertvoll“, weil es anders als etwa das veröffentlichte Kölner Gutachten umfassender ist. Es würden nicht nur rechtliche Aspekte behandelt. „Die Methodik stimmt: Man hat nicht nur Akten ausgewertet, sondern auch Betroffene einbezogen und Zeitzeugen befragt“, so Zollner. Auch belege es, dass eine von der Kirche in Auftrag gegebene Untersuchung „sehr wohl unabhängig sein kann“.
Pater Zollner, Sie waren von der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) vorab zu dem Gutachten befragt worden. Was genau war Ihr Beitrag?
Hans Zollner: Was ich kannte war jener Teil, in dem die Gutachter über die möglichen theologischen, kirchenrechtlichen und systemischen Konsequenzen schreiben. Ich habe keine einzige Akte gesehen, keine einzige Stellungnahme eines Zeitzeugen. Nur zu den theoretischen Folgerungen der Gutachter habe ich meine Einschätzung gegeben. Das habe ich im Übrigen auch beim WSW-Gutachten für Aachen und dem ersten für Köln gemacht.
Wie bewerten Sie das Endergebnis?
Zollner: Meine Anmerkungen sind aufgenommen worden. Was dieses jüngste Gutachten nach den Reaktionen von Betroffenen und anderen so wertvoll macht, ist sein umfassenderer Ansatz. Es behandelt eben nicht nur die rechtlichen Aspekte, sondern misst das Geschehene auch am kirchlichen Selbstverständnis. Was im Übrigen auch der Auftrag war. Es zeigt zudem, dass ein von der Kirche in Auftrag gegebenes und bezahltes Gutachten sehr wohl unabhängig sein kann. Die Dinge werden klar angesprochen, die Methodik stimmt: Man hat nicht nur Akten ausgewertet, sondern auch Betroffene einbezogen und Zeitzeugen befragt.
Wie genau sollte sich jetzt der ehemalige Münchner Erzbischof Joseph Ratzinger, der emeritierte Papst Benedikt XVI., verhalten?
Zollner: Er sollte eine einfache, persönliche Erklärung abgeben. Darin könnte er etwa sagen: Ich erinnere mich nicht, an der betreffenden Sitzung teilgenommen zu haben. Wenn ich dabei war, habe ich einen Fehler gemacht und entschuldige mich. Selbst wenn der psychologische Erkenntnisstand damals ein anderer war, hätte ich der Sache mehr Aufmerksamkeit widmen sollen. Das tut mir leid.
Wie bewerten Sie seine 82-seitige Einlassung?
Zollner: Es erstaunt mich, dass er sich nur auf juristische, aussagerechtliche und kirchenrechtliche Aspekte beschränkt. Es fehlt das Bewusstsein, dass es auch um die menschliche Seite und um die Außenwahrnehmung geht. Das sieht man an dem Beispiel mit dem masturbierenden Priester vor minderjährigen Mädchen. Es sei zu keiner Berührung gekommen und daher kein Missbrauch, steht in der Stellungnahme, die Benedikt unterschrieben hat. Im Übrigen höre ich aus dem Vatikan große Verwunderung, dass diese Stellungnahme nicht mit anderen Stellen abgesprochen wurde.
Besteht das Kirchenrecht nicht auf den Begriff „Verstoß gegen das sechste Gebot“, um damit möglichst viele Verhaltensweisen fassen zu können?
Zollner: Eben. Darin sieht man, wie fragwürdig die Begründung von Benedikt ist, denn sie kann je nach Belieben ausgelegt werden.
Was folgt aus dem jüngsten Gutachten?
Zollner: Aufklärung im Sinne von Aktenstudium und Zeitzeugenbefragung ist nur ein Element von Aufarbeitung. Jetzt muss das Vertrauen der Geschädigten langsam wiedergewonnen werden, etwa durch den Ausbau einer Ombudsstelle, die mehr ist als diözesaner Ansprechpartner. Man muss auf Gemeinden und Familien zugehen, wo es Irritationen und Spaltungen gab und gibt. Ein Klima schaffen, in dem Wunden heilen können.
Was erwarten Sie von den im Gutachten als verantwortlich Genannten?
Zollner: Sie sollen jeder einzeln, konkret, wahrnehmbar und verständlich Stellung beziehen und signalisieren, dass man verstanden hat. Die Anwältin Westpfahl hat etwas gesagt, was mir in meinen Vorträgen auch bei Theologinnen und Theologen aufgefallen ist: Kirchenvertreter erwecken den Anschein, als glaubten sie nicht an die Wirkkraft des Sakramentes der Versöhnung – die Beichte -, wenn es um die Sünden und das Versagen von Verantwortungsträgern geht. Gewissenserforschung – das wäre das Gutachten -, Bekenntnis, Reue und ein Akt der Wiedergutmachung – all das sind nach klassischer katholischer Lehre die Bedingung für Vergebung. Das gilt für Einzelne wie Diözesen und Bischofskonferenzen.