Münchner Missbrauchsgutachten findet auch in den USA Beachtung – Internationale Presseschau

Die Rolle von Benedikt XVI./Joseph Ratzinger in den Münchner Missbrauchsskandalen sind am Freitag auch international ein Thema gewesen.
Die Rolle von Benedikt XVI./Joseph Ratzinger in den Münchner Missbrauchsskandalen sind am Freitag auch international ein Thema gewesen.

–Symbolbild: Pixabay

Mehrere US-Medien haben prominent über das Münchner Missbrauchsgutachten und die darin enthaltenen Vorwürfe gegen Benedikt XVI. berichtet. Einordnungen in Form von Kommentaren gab es allerdings bislang kaum. Die Washington Post kommt zu dem Schluss, dass das Erbe von Benedikt XVI. durch sein Verhalten beschädigt worden sei. Zwar habe er das Thema Missbrauch energischer angepackt als sein Vorgänger Johannes Paul II., sei aber gegen „die systematische Natur der Verbrechen des Klerus und seiner Vertuschung“ lange zu zögerlich vorgegangen.

Bild eines „übermäßig unengagierten Managers“

Ähnlich sieht es das Wallstreet Journal. „Die Anschuldigungen drohen einen Schatten auf die Bilanz des ehemaligen Papstes zu werfen, der vor seiner Wahl mehr als zwei Jahrzehnte lang die kirchliche Disziplinierung von klerikalen Missbrauchstätern überwachte“, schreibt das Blatt. Seine mutmaßlichen Fehler in München verstärkten das Bild „eines übermäßig unengagierten Managers, dessen Amtszeit inmitten von Korruptionsvorwürfen und Inkompetenz unter Vatikanbeamten endete“.

Fürsprecher Benedikts XVI. argumentierten laut der Zeitung hingegen, er habe ein größeres Bewusstsein für das Missbrauchsproblem gezeigt, als er München verließ, „um der Anti-Missbrauchs-Zar des Vatikan zu werden“. Ratzinger habe auch Johannes Paul II. überzeugt, „das Kirchenrecht zur Disziplinierung von Missbrauchstätern zu verschärfen“.

Sanktion unwahrscheinlich

In der katholischen Presse zitiert der National Catholic Reporter den Kirchenrechtsexperten, Nicholas Cafardi. Er halte es für höchst unwahrscheinlich, dass Papst Franziskus seinen Vorgänger Benedikt XVI. in irgendeiner Form sanktioniere. „Bei betagten Prälaten, die kein Amt mehr bekleiden, war die häufigste kanonische Strafe für diese Art von Vergehen ein Leben des Gebets und der Buße“, so Cafardi. „Aber Benedikt führt bereits ein Leben im Gebet.“

Der National Catholic Register gibt die Äußerungen des Privatsekretärs von Benedikt XVI., Erzbischof Georg Gänswein, wieder, der mitteilt, dass der 94-jährige emeritierte Papst für die Opfer des Missbrauchsskandals bete. Die katholische Bischofskonferenz der USA äußerte sich bislang nicht zu dem Gutachten. Umso deutlicher meldet sich das Netzwerk Missbrauchsbetroffener SNAP zu Wort. In einer Erklärung heißt es, Benedikt XVI. solle angesichts der Vorwürfe den Titel „Papst-Emeritus“ verzichten. Dies könne einen „Akt der Buße“ einleiten.

„Mangel an Empathie (und Menschlichkeit?)“

Aus Sicht der französischen Zeitung Liberation erlaubt der Bericht den Deutschen, „den Mangel an Empathie (und Menschlichkeit?) ‚ihres‘ Papstes zu sehen“. Obwohl die Autoren des Gutachtens den Ausdruck „Lüge“ vermieden hätten, zeige doch eine Analyse des Textes deutlich, dass „Benedikt XVI. tatsächlich versucht hat, die Ermittler zu belügen“, urteilt das linksgerichtete Blatt. „Der Bericht über den Missbrauch im Erzbistum München ähnelt letztlich allen anderen: Verantwortliche, die die Täter von sexuellem Missbrauch lieber decken und schützen, statt den Opfern zu helfen.“

Die niederländische Zeitung De Volkskrant hält fest: „Kindesmissbrauch zieht sich wie ein Roter Faden durch Benedikts Karriere. Als Papst wurde ihm immer wieder vorgeworfen, zu halbherzig gegen die vielen Täter in seiner Institution vorgegangen zu sein. Während der Missbrauchsskandal unter seiner Herrschaft zur schlimmsten Krise der katholischen Kirche seit der Reformation werden sollte, kam Benedikt nicht viel weiter, als seiner Wut und tiefen Scham darüber Ausdruck zu verleihen.“  In der Zwischenzeit, so das Blatt weiter, „blieben Bestrafungen weitgehend aus, Täter wurden abgeschoben und Opfer zum Schweigen aufgefordert“. Auch jetzt weise Benedikt XVI., der „seit seiner Abdankung 2013 in einem ockergelben Kloster auf einem Hügel im Vatikan lebt, jede Verantwortung von sich“.

Benedikt hat die Gelegenheit zu Demut versäumt

Der Irish Examiner nennt es „schockierend, aber kaum überraschend“, dass die Untersuchung ergab, dass Ratzinger versäumt habe, vier Geistliche zu stoppen, die des sexuellen Kindesmissbrauchs in München beschuldigt wurden. Wenn Franziskus das kirchliche Strafrecht bei Missbrauch verschärft habe „und Bischöfe demnach Maßnahmen ergreifen müssen, wenn Anzeige erstattet wird, würde es „die Opfer entehren“, wenn Benedikt XVI. den Titel Papst emeritus behalten dürfte.

Der Tagesanzeiger aus Zürich kommentiert: „Päpste und ehemalige Päpste müssen damit leben, dass sie an strengsten moralischen Maßstäben gemessen werden; immerhin sehen sie sich als Vertreter Jesu Christi auf Erden. Das gilt auch für den Umgang mit eigenen Fehlern.“ Gerade Benedikt XVI. könnte sich dabei Größe leisten, meint das Blatt; er habe das Amt längst hinter sich. „Doch die Gelegenheit, Demut zu zeigen, hat der frühere Papst versäumt.“ In seiner Stellungnahme zum Gutachten klinge er „wie der Chef eines Autokonzerns, der von der jüngsten Abgasaffäre nichts gewusst haben will“.

Verlust jeder Empathie

Ein Ex-Papst, der sich „mutmaßlich mit einer Unwahrheit seiner Verantwortung entziehen“ wolle, sei für die „seit Jahren von Skandalen gebeutelte Kirche ein neuer Tiefpunkt“, so der Kommentator. „Denkt man daran, wie Christus im Evangelium die Kinder wertschätzt und beschützt, so wird klar, wie weit sich die Kirche von ihren Werten entfernt hat.“ Sie sei „zu einem Apparat erstarrt, der sich lange unter dem Verlust jeder Empathie nur noch dem Selbsterhalt widmete.“

Die „Neue Zürcher Zeitung“ kommentiert, vorbildlich habe sich keiner der Oberhirten verhalten, „auch nicht der amtierende Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx“. Auch Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI., lege das Gutachten unangemessenes Verhalten und eine konkrete Falschaussage zur Last. Der Kommentator verweist auf einen Satz aus der 82 Seiten umfassenden Stellungnahme Benedikts: Dieser sei „froh, dass sich bis zum heutigen Tag ein tiefgreifender Gesinnungswandel im Hinblick auf die Aufmerksamkeit, Einordnung und den Umgang mit sexuellem Missbrauch ergeben hat“.

Schock im Vatkan

Italiens und vatikanische Medien berichten am Freitag relativ breit über das Missbrauchsgutachten der Erzdiözese München-Freising. Hervorgehoben werden dabei insbesondere die Aussagen zum früheren Erzbischof Joseph Ratzinger sowie zum amtierenden Erzbischof Kardinal Reinhard Marx in dem am Donnerstag veröffentlichten Bericht. „Missbräuche – Ratzinger reagierte in vier Fällen nicht, Schock im Vatikan“ titelt etwa der Corriere della Sera seinen Anreißer auf Seite 1 und setzt seine Berichte auf zwei Seiten fort. „Pädophile Priester in München: Ratzinger deckte vier Fälle“, so die eher linke Repubblica.

Die Turiner Tageszeitung La Stampa hingegen platziert auf der Titelseite prominent ein Bild von Benedikt XVI. unter der Überschrift „Benedikts Sünde“. Im Inneren bringt sie neben dem Bericht über das Münchner Gutachten einen Beitrag des „Vatileaks“-Journalisten Gianluigi Nuzzi unter dem Titel „Die Päpste und die verschwiegenen Skandale“.

Zorn des Papstes

Auch das rechtsliberale Blatt Libero berichtet, allerdings mit der Aussage, der frühere Papst solle „torpediert“ werden. Im Vatikan habe man Benedikt XVI. nun „allein gelassen wie den Nazarener auf Golgatha“. Ähnlich die rechtskonservative „La Verita“: Neben einem kniend betenden Benedikt XVI. titelt das Blatt: „Pädophilie, aus Deutschland Angriffe gegen den emeritierten Papst und der Vatikan verteidigt ihn nicht“. Die Berlusconi-nahe Zeitung Il Giornale schreibt über den „Skandal im Bistum München“: „Ratzinger deckte Fälle von Pädophilie, Italiens Bischofskonferenz untersucht nicht, der Zorn des Papstes“.

Daneben nennen Zeitungen und Internetportale die wichtigsten Zahlen zu untersuchten Fällen, zu Geschädigten und Verantwortlichen. Die Vatikanzeitung Osservatore Romano berichtet nüchtern mit einem Dreispalter. Den gleichen oder ähnlichen Text veröffentlichte das Portal Vatican News bereits am Donnerstagnachmittag. Die deutschsprachige Seite des Portals hingegen widmet dem Bericht mehr Raum. Das Gutachten bescheinigt dem früheren Papst Benedikt XVI./Joseph Ratzinger Führungsversagen im Umgang mit Missbrauchstätern sowie fehlende Sorge für die Geschädigten in seiner Zeit als Münchner Erzbischof (1977-1982).

kna