ZdK-Präsidentin Stetter-Karp irritiert über Kardinal Marx

Als „überraschend unkonkret“ bewertet die Präsidentin des ZdK, Irme Stetter-Karp, die Reaktion des Münchner Kardinals Reinhard Marx auf das Münchener Missbrauchsgutachten.
Als „überraschend unkonkret“ bewertet die Präsidentin des ZdK, Irme Stetter-Karp, die Reaktion des Münchner Kardinals Reinhard Marx.

ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp. –Foto: ZdK/Harald Oppitz

Als „überraschend unkonkret“ bewertet die Präsidentin des ZdK, Irme Stetter-Karp, die Reaktion des Münchner Kardinals Reinhard Marx auf das Münchener Missbrauchsgutachten. „Es gab kein Beispiel dafür, wie nun genau die Unterstützung von Pfarrgemeinden aussieht, in denen Missbrauchstäter ihr Unwesen trieben“, sagte Stetter-Karp. So fehlten konkrete Beispiele für Veränderungen. „Dass der Kardinal nach eigenen Worten in einem Jahr vor die Öffentlichkeit treten möchte, um zu erklären, was sich verändert hat, finde ich spät“, sagte Stetter-Karp.

Enttäuscht sei sie darüber, dass er auch eine Woche nach der Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens kein klares Wort zum emeritierten Papst Benedikt XVI. finde. „Noch immer stellt er sich vor den emeritierten Papst“, sagte sie. Marx habe erklärt, wer jetzt noch systemische Ursachen leugne, habe die Herausforderung nicht verstanden. Jedoch wende er diesen Satz nicht auf einen Verantwortungsträger wie Joseph Ratzinger an. Dieser habe auf die Frage nach seiner damaligen Rolle als Erzbischof von München und Freisling noch im Dezember 2021 die Unwahrheit gesagt. „Ein Zeichen der Transparenz und Kritik wäre hier angebracht gewesen“, erklärt Stetter-Karp.

„Perspektive der Opfer des Missbrauchs nach hinten gerückt“

Kardinal Marx habe sich auf Nachfragen mehrfach als Kirchenmann geäußert, der danach frage, „was der Kirche nützt“, wie sie  Glaubwürdigkeit zurückgewinnen könne. „Bei Betroffenen von sexueller Gewalt in der Kirche wird es einen schalen Nachgeschmack hinterlassen, dass Kardinal Marx sich um ein Bayern ohne Christentum sorgt“, sagte Irme Stetter-Karp. „Wenn der Kardinal sagt, die Kirche könne ihren Platz nicht räumen, weil Bayern christlich bleiben müsse, ist die Perspektive der Opfer des Missbrauchs nach hinten gerückt.“

Zugleich würdigte Stetter-Karp in ihrer Stellungnahme, dass in der Erzdiözese München und Freising im letzten Jahr ein Betroffenenbeirat und eine Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung des Missbrauchsskandals eingerichtet wurden. Ebenso sei es gut, dass eine Anlaufstelle für Betroffenen von sexuellem Missbrauch existiere.

Damit sei die Verantwortungsübernahme aber nicht zu Ende. Das habe auch Kardinal Marx ins Wort gebracht. Sie hoffe, bei der anstehenden Synodalversammlung Anfang Februar in Frankfurt einen Kardinal Marx zu erleben, „der die Reform der Kirche, die er für notwendig hält, mit Unterstützung der Beschlussvorlagen befördert und dass er bereit ist, die notwendigen Mehrheiten mit persönlichem Einsatz mit zu organisieren“, sagte Stetter-Karp.

Lob und Kritik für Marx – Forderungen an Ex-Papst

Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, zeigte sich beeindruckt vom Schuldeingeständnis des Erzbischofs. Eine solche persönliche Verantwortungsübernahme wünsche er sich auch von anderen Bischöfen, sagte Rörig der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Berlin.

Für ihn sei es sehr positiv, dass Marx sich sehr differenziert mit dem Thema umfassenden Versagens auseinander gesetzt und auch den Wandel seiner Einstellungen nachvollziehbar dargestellt habe, besonders, was seine Empathie gegenüber den Betroffenen angehe. Er begrüßte es auch, dass Marx sich durchaus offen für Reformen bei den bislang gezahlten Anerkennungsleistungen gezeigt habe und dort noch „Entwicklungsbedarf“ sehe.

Kritik äußerte unter anderem Betroffenenvertreter Matthias Katsch. „Ich bezweifle, dass Bischöfe, die wie Kardinal Marx mitverantwortlich sind für das System des Missbrauchs in der Kirche, den Aufbruch und die notwendige Veränderung wirklich organisieren können“, sagte der Sprecher der Initiative Eckiger Tisch der KNA.

Die innerkirchliche Reformdebatte sei wichtig. Die Frage des Augenblicks müsse aber sein, wie den Betroffenen „endlich die lange versprochene Unterstützung und Hilfe“ organisiert werden könne. Möglichst schnell müsse eine bundesweit erreichbare Beratungsstelle geschaffen werden, die nach einem betroffenenkontrollierten Ansatz arbeite. Auch die Laien seien jetzt gefordert.

Schüller: Marx habe „den Ernst der Lage“ nicht erkannt

Mit Blick auf Marx sagte Katsch: „Vor einer Woche ist das Schiff auf Grund gelaufen, und heute erklärt der Kapitän, dass er unbedingt an Deck bleiben muss.“ Marx sei offenbar der Meinung, dass es ohne die Bischöfe nicht gehe. Es sei die Frage, ob „das die Katholiken auch so sehen“.

Der Kinderschutz-Experte Hans Zollner sagte im BR, er erwarte noch ausführliche Erläuterungen des emeritierten Papstes. Die Erklärungen von Benedikt XVI. aus den vergangenen Tagen reichten nicht aus, sie machten vielmehr die Lage noch schlimmer, sagte der Priester und Leiter des internationalen Safeguarding-Intituts in Rom.

Zum Münchner obersten Kirchenrichter Lorenz Wolf sagte Zollner, er könne sich nicht vorstellen, dass keine personellen Konsequenzen für ihn folgten. Wolf zählt zu den einflussreichsten Kirchenmännern in Bayern. Er lässt vorläufig alle seine Ämter und Aufgaben ruhen. Die Hauptkritik der Münchner Gutachter lautet, Wolf habe im Umgang mit Missbrauch die Interessen der Beschuldigten vor die der mutmaßlichen Opfer gestellt. Wolfs Anwälte weisen dies zurück.

Castellucci für unabhängige Aufarbeitungskommissio

Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller sagte im BR, er habe nicht den Eindruck, dass Marx „den Ernst der Lage“ erkannt habe. In der Kirche müsse ab sofort radikal aus der Betroffenenperspektive heraus geschaut werden.

Der Religionsbeauftragte der SPD, Lars Castellucci, forderte eine stärkere staatliche Begleitung der Aufarbeitung. „Es ist gut, dass das Erzbistum in Person von Kardinal Marx die Verantwortung bei sich sieht und klar benennt“, sagte Castellucci der KNA. Allerdings könne sich keiner selbst aufklären, „dafür gibt es unseren Rechtsstaat“.

Notwendig sei ein verbindlicher gemeinsamer und überprüfbarer Rahmen für die Aufarbeitung in ganz Deutschland. Vor allem die unabhängige Aufarbeitungskommission müsse in die Lage versetzt werden, ihren Auftrag zu erfüllen. Dazu müsse sie aufgewertet und finanziell besser ausgestattet werden. Das Thema betreffe allerdings auch die evangelische Kirche sowie andere gesellschaftliche Bereiche, etwa den Sport oder Bildungseinrichtungen.

rwm/kna