Mit Enttäuschung und Ärger haben Laien- und Betroffenenverbände auf das jüngste Schreiben des emeritierten Papstes Benedikt XVI. zu Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche reagiert.
Bonn – Mit Enttäuschung und Ärger haben Laien- und Betroffenenverbände auf das jüngste Schreiben des emeritierten Papstes Benedikt XVI. zu Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche reagiert. Der Sprecher des Münchner Betroffenenbeirats, Richard Kick, hat das aktuelle Statement des emeritierten Papstes Benedikt XVI. als „wirklich unsäglich“ bezeichnet. „Ich kann gar nicht mehr aggressiv darauf reagieren, ich bin nur noch bestürzt und betroffen“, sagte Kick der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) auf Anfrage am Dienstag in München. Hier kenne ein ehemaliger Papst nur seine eigene Sichtweise und flüchte sich zuletzt in den Glauben, dass der „endgültige Richter“ über ihn befinden werde.
Betroffene: „Ratzinger sieht sich selber immer noch als Opfer
Kick sagte, er hätte sich eine „reflektierte Sichtweise eines Menschen“ gewünscht. Herausgekommen sei aber eine „egomanische“ und nur auf die Kirche zentrierte Darstellung. Was dagegen völlig fehle, sei ein „wirklich empathisches Gegenübertreten“ jenen Hunderttausenden von Menschen, die in ihrer Kindheit weltweit in der Kirche sexuell missbraucht, geschlagen und gedemütigt worden seien. Dabei spreche er doch nicht nur als Joseph Ratzinger, sondern als emeritierter Papst, erinnerte Kick. Weiter verwies der Sprecher des Betroffenenbeirats darauf, dass Benedikt in seiner Stellungnahme den Ball auch noch weiterspiele an seinen Nachfolger. So habe sich Franziskus ihm gegenüber wohlwollend geäußert. Kick beklagte, dass es vom amtierenden Papst bisher aber kein Statement zum Münchner Missbrauchsgutachten gebe. Das zeige den „völlig desolaten Zustand“ der Kirche und die Hilflosigkeit ihrer Oberen.
„Ratzinger sieht sich selber immer noch als Opfer, das in übergroße Schuld hineingezogen wurde. Und er ist nicht bereit, zu der nichtdelegierbaren Gesamtverantwortung zu stehen, die ein Bischof hat“, sagte Christian Weisner von der Gruppe „Wir sind Kirche“. Die Betroffenenorganisation Eckiger Tisch sieht in der Erklärung des früheren Papstes einen weiteren Beleg für die „permanenten Relativierungen der Kirche in Sachen Missbrauch“. Statt selbst die Verantwortung zu übernehmen, werde diese den Opfern aufgehalst, „wenn sie diese Art von Betroffenheitsbekundungen nicht angemessen zu würdigen vermögen“. Die Organisation erneuerte zudem ihre Kritik daran, dass die Kirche die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen weiterhin nicht abgeben wolle.
Die Theologin Doris Reisinger kritisierte vor allem die von Benedikt im Brief gewählten Bezeichnungen für Jesus als „Freund“, „Bruder“ und „Anwalt“. In den Ohren Betroffener klinge das so, als stünde Jesus „nicht auf ihrer Seite, sondern auf der Seite derer, die sie all die Jahrzehnte gequält, ignoriert und verletzt haben“, so die Autorin über Twitter. Der Brief sei eine „bodenlose Verhöhnung der Betroffenen“, und ihr selbst werde „schlecht ob so viel Selbstgefälligkeit im Frommen Mäntelchen“.
Zollner: Erklärung Benedikts persönlich, aber zu allgemein
Die Stellungnahme von Benedikt XVI. zum Münchner Missbrauchsgutachten ist nach Ansicht des Kinderschutz-Experten Hans Zollner zwar sehr persönlich, aber zu allgemein gehalten. Zudem habe der emeritierte Papst die falsche Reihenfolge bei den Adressaten gewählt, sagte er der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Dienstag. Hätte Benedikt zuerst sein Bekenntnis gegenüber Betroffenen und dann erst den Dank an Freunde geäußert, käme sein Brief sicher besser an, so Zollner. Letztlich müssten aber Betroffene sagen, wie sie die Stellungnahme des früheren Papstes bewerten. Seiner Ansicht nach wäre es auch besser gewesen, wenn Benedikt statt einer theologischen Überhöhung in seinen Aussagen konkreter auf seine Zeit als Erzbischof von München-Freising eingegangen wäre.
Gleichzeitig verwies der Leiter des bisherigen Kinderschutzzentrums und neuen Safeguarding-Instituts in Rom auf die unterschiedliche Wahrnehmung der jüngsten Stellungnahme Benedikts XVI. In Deutschland werde sie vielfach als ungenügend beurteilt, während sie in Italien zumeist als beeindruckendes Schuldbekenntnis gelesen werde. In seinem zweieinhalbseitigen Brief äußerte er „tiefe Scham“ und eine „aufrichtige Bitte um Entschuldigung gegenüber allen Opfern sexuellen Missbrauchs“. Dies gelte für die Zeit, in der er in der katholischen Kirche große Verantwortung getragen habe. Gleichzeitig wehrt sich der frühere Papst gegen den Vorwurf, als Erzbischof von München-Freising (1977-1982) Missbrauchsfälle vertuscht zu haben.
Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller wiederum kritisiert Ratzinger. Benedikt spreche zwar von Fehlern und Vergehen, aber er rechne sie sich nicht selbst an. „So als hätten anonym bleibende Mächte und Gewalten im Erzbistum München-Freising diese Fehler gemacht, nicht aber er“, sagte Schüller. „Er zieht keine persönlichen Konsequenzen, außer sich der barmherzigen Liebe Gottes anzuempfehlen. Das wird die Überlebenden sexualisierter Gewalt erneut traumatisieren, denn ihnen widerfährt keine Gerechtigkeit.“
Katholikenkomitee ZdK kritisiert Aussagen von Benedikt XVI.
Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) hält die Bitte um Entschuldigung des früheren Papstes Benedikt XVI. für nicht ausreichend. Er bleibe „relativ allgemein“, sagte Irme Stetter-Karp am Dienstagabend den Zeitungen der Funke Mediengruppe: „Die Empathie gegenüber den Betroffenen fehlt.“
In seinem Schuldbekenntnis gehe „der Blick nicht zu den Brüdern und Schwestern und den Betroffenen“, fügte die Präsidentin des höchsten repräsentativen Gremiums des deutschen Laien-Katholizismus hinzu: „Deshalb: Die zweite Reaktion von Papst Benedikt überzeugt leider nicht.“
Gespräche mit Betroffenen noch niedrigschwelliger
Am Dienstag hatte Benedikt XVI. persönlich zu den Vorwürfen Stellung genommen und eine Mitschuld der kirchlichen Verantwortlichen eingeräumt. In einem zweieinhalbseitigen Brief äußerte er „tiefe Scham“ und eine „aufrichtige Bitte um Entschuldigung gegenüber allen Opfern sexuellen Missbrauchs“. Zugleich wehrt sich der frühere Papst gegen den Vorwurf, als Erzbischof von München (1977-1982) Missbrauchsfälle vertuscht zu haben. Auch habe er in seiner Einlassung zu dem Ende Januar veröffentlichten Gutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) weder getäuscht noch gelogen.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, begrüßte grundsätzlich die Stellungnahme des ehemaligen Papstes. Benedikt habe zugesagt, sich zu äußern, und das nun eingelöst, so der Limburger Bischof über Twitter. „Dafür bin ich dankbar und dafür gebührt ihm Respekt.“ Ähnlich äußerte sich auch der Münchner Kardinal Reinhard Marx. Er betonte aber zugleich, dass die Erzdiözese und er selbst das Gutachten, „in dem es besonders im Blick auf die Leitungsebene auch um persönliche und institutionelle Verantwortung geht, sehr ernst“ nähmen. Die Empfehlungen der Gutachter würden zusammen mit dem Betroffenenbeirat und der Unabhängigen Aufarbeitungskommission aufgegriffen.
Die Verantwortlichen im Erzbistum wollen zudem Foren schaffen und damit Gespräche mit Betroffenen noch niedrigschwelliger machen. „Wir wollen ihnen die Unterstützung anbieten, die sie brauchen“, sagte Generalvikar Christoph Klingan der „Münchner Kirchenzeitung“. Vor allem aber solle selbst aktiv auf Betroffene zugegangen werden, was in der Vergangenheit nicht in der Intensität geschehen sei. Dabei sei auch zu respektieren, dass es Betroffene gebe, die in keinen Dialog treten wollten, so Klingan.
rwm/kna
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