Prozess um die Ermordung des Priesters Jacques Hamel beginnt

An diesem Montag (14. Februar) beginnt vor einem Pariser Schwurgericht der Prozess gegen vier Angeklagte im Mordfall des Priesters Jacques Hamel vom Sommer 2016.
An diesem Montag (14. Februar) beginnt vor einem Pariser Schwurgericht der Prozess gegen vier Angeklagte im Mordfall des Priesters Jacques Hamel vom Sommer 2016.

Bild von Sang Hyun Cho auf Pixabay

An diesem Montag (14. Februar) beginnt vor einem Pariser Schwurgericht der Prozess gegen vier Angeklagte im Mordfall des Priesters Jacques Hamel vom Sommer 2016. Ihnen allen drohen bis zu je 20 Jahre Haft. Dreien wird die Bildung einer kriminellen terroristischen Vereinigung vorgeworfen, dem vierten – Rachid Kassim, der für tot gehalten wird – Beihilfe zum Mord. Die beiden jungen Attentäter selbst wurden nach ihrer Tat in Saint-Etienne-du-Rouvray in der Normandie durch die eintreffende Polizei erschossen.

Rouens Erzbischof Dominique Lebrun erwartet von dem Prozess, der bis 11. März angesetzt ist, „Gerechtigkeit“, wie er im Vorfeld sagte. Die Angeklagten hätten „das Recht, die Reaktion der Gesellschaft“ auf die Bluttat von 2016 zu erfahren. Der Erzbischof ist Zivilkläger in dem Prozess, ebenso Mitglieder der Familien von Hamel und Guy Coponet, einem Gemeindemitglied, das damals schwer verletzt wurde. Die Ordensfrauen, die damals die Werktagsmesse besuchten, bleiben dagegen fern. „Das ist nicht unser Platz“, erklärten sie.

Der junge Islamist Adel Kermiche aus dem Arbeiterort Saint-Etienne bei Rouen hatte seine Tat wie selbstverständlich in den Sozialen Netzwerken angekündigt. „Du nimmst ein Messer, gehst in eine Kirche, du schlachtest jemanden ab, trennst zwei oder drei Köpfe ab – fertig!“ Zwar war er einschlägig polizeibekannt und trug eine elektronische Fußfessel. Und doch konnte er völlig ungehindert am Morgen des 26. Juli 2016 in die Pfarrkirche des Ortes spazieren und den 85 Jahre alten Geistlichen Hamel am Altar niederstechen und töten. Mit einem Küchenmesser, wie man es zum Gemüseschälen benutzt.

Abdel Malik Petitjean hatte er erst vier Tage zuvor kennengelernt. Die beiden hatten sich über das Internet radikalisiert; die Moschee besuchten sie eher selten. Die Zeitschrift „La Vie“ berichtete 2021, die Mutter eines der Täter habe die Polizei noch warnen wollen – doch man habe sie nicht ernstgenommen. Die Chat-Protokolle der Täter mit dem 2017 wohl getöteten französischstämmigen Dschihadisten Rachid Kassim belegten zudem, dass sich die jungen Männer nicht selbst radikalisiert hätten; das Attentat sei gezielt von Syrien aus geplant worden. Demnach diskutierten die Täter mit Kassim das Ziel des Anschlags; auch eine Synagoge oder einen Nachtclub habe man erwogen. Am Ende entschied man sich für eine Kirche.

Die Bluttat war komplett improvisiert, offenbar mit einem bloßen Blick auf den Gottesdienstplan des Ortes. Einer der nur fünf Messbesucher, Guy Coponet, hatte an dem Tag Geburtstag, wurde 87. Zusammen mit seiner Frau Janine träumte er davon, 2018 gemeinsam den 65. Hochzeitstag zu feiern. Die Attentäter zwangen ihn, mit einer Handkamera zu filmen, was nun folgte: Die beiden Muslime reißen alles herunter, was auf dem Altar steht, halten eine Art Kampfpredigt. Der Priester, Jacques Hamel, will sie beruhigen – doch er weigert sich niederzuknien. Mit zwei Messerstichen beenden sie sein Leben. Dann ist der zweite Mann an der Reihe, Guy. Sie stechen ihn in Arm, Hals und Rücken. Stark blutend sackt er zusammen, vor den Augen seiner entsetzten Ehefrau.

Todgeweiht, überlebt er doch, ist heute 93 – auch weil einer Ordensfrau die Flucht gelingt und sie ein Einsatzkommando verständigt. Unterdessen beginnt einer der Islamisten mit den traumatisierten Frauen ein gespenstisches Gespräch über Gott und ihren Glauben. Als die Polizei eintrifft, gehen die Täter hinaus. Sie rufen „Allahu akbar“ und werden erschossen.

Die Tat sorgte international für Aufsehen. Seither leben die Katholiken und die Bevölkerung von Saint-Etienne mit der Erinnerung an die Tragödie. Die Eröffnung des Prozesses sorgt nun für neuerliche Unruhe: Kameras, Journalisten, Fragen. „Die neue Aktualität erneuert auch die Traumata unserer Gemeinschaft“, sagt Pfarrer Jacques Simon. Viel Solidarität kommt von der muslimischen Gemeinschaft in dem 28.000-Einwohner-Arbeiterort. Die interreligiösen Kontakte waren stets gut.

Das Küsterehepaar Sebastien und Maria Velardita, seit 2002 im Dienst der Gemeinde, sagte dem Magazin „Le Pelerin“, sie hätten mit Hamel mehr als einen Freund verloren: „Er war unser Bruder – und unser Vater.“ In dem kleinen Presbyterium neben dem Gemeindehaus ist seit dem 26. Juli 2016 alles so geblieben, wie es war, als Jacques Hamel hinüber zur Kirche ging, um die Messe zu feiern – ohne zu wissen, dass er eine Verabredung mit dem Tod hatte.

Sein ganzes Leben verbrachte der einfache Gemeindepriester als Diener der einfachen Leute an den Rändern von Rouen. Er trug abgestoßene, einfache Kleidung, mokierte sich schon in den 60er Jahren über seinen Bischof, der mit einem zu dicken Wagen vorfuhr. Ein Franziskus-Mann. Der Papst bezeichnete Hamel als „Märtyrer“ des 21. Jahrhunderts und gab vorzeitig Grünes Licht für sein Seligsprechungsverfahren. Seit Anfang 2019 ist der Prozess auf Bistumsebene abgeschlossen; in Rom erstellt in einer zweiten Stufe die zuständige Vatikanbehörde einen Bericht für den Papst, der am Ende entscheiden wird.

Ein Prozess ganz anderer Art läuft nun ab Montag in Paris ab. Guy Coponet, damals schwer verletzt, sagte dem „Pelerin“, vergeben habe er den Tätern schon lange – „sonst hätte der Hass gesiegt“. Catherine Fabre, Anwältin des Zivilklägers Erzbischof Lebrun, meint: „Die vier Angeklagten werden je nach ihrem Kenntnisstand über den Mordplan beurteilt werden.“ Und Lebrun selbst sagt: „Wir alle bereiten uns darauf vor, diese schmerzhaften Ereignisse nun noch einmal zu erleben.“ Er wolle diesen Prozess wirklich – „aber ich gehe nur ungern dorthin“.

Von Alexander Brüggemann (KNA)