Im Interview spricht der Hamburger Erzbischof Stefan Heße (55) unter anderem darüber, wie er seither versucht, Vertrauen zurückzugewinnen.
Hamburg – Wegen seiner Fehler im Umgang mit Missbrauchsfällen bot der Hamburger Erzbischof Stefan Heße (55) vor knapp einem Jahr dem Papst seinen Rücktritt an und zog sich zurück. Als Franziskus im September überraschend ablehnte, nahm Heße seine Amtsgeschäfte wieder auf. Im Interview spricht er unter anderem darüber, wie er seither versucht, Vertrauen zurückzugewinnen.
Erzbischof Heße, ein Gutachten wirft Ihnen in Ihrer Zeit als Personalchef im Erzbistum Köln elf Pflichtverletzungen im Umgang mit Missbrauchsfällen vor. Können Sie noch glaubwürdig an der Spitze eines Erzbistums stehen?
Heße: Ich hoffe ja. Ich habe signalisiert, dass ich bereit bin, meinen Teil der Verantwortung für diese systemischen Fehler zu tragen und habe das ganz ernst gemeint. Ich habe meinen Rücktritt angeboten und wusste nicht, wie Papst Franziskus darüber entscheiden würde. Für mich war am Anfang meiner Auszeit ziemlich klar, dass für mich eine Veränderung ansteht. Doch der Papst hat entschieden, mich im Amt zu belassen. Ich habe es auch erst einen Tag vor der öffentlichen Bekanntgabe erfahren. Nun sehe ich meine Aufgabe darin, die offenen Baustellen in der Kirche weiter zu bearbeiten.
Es gibt Stimmen, die fordern, Sie hätten trotz der Entscheidung des Papstes aus eigenen Stücken zurücktreten sollen.
Heße: Das ist nicht mein Verständnis von Kirche. Ich bin vom Papst in mein Amt bestellt worden. Er hat seine Entscheidung getroffen, und ich blicke nach vorn. Dabei hätte ich mir auch einfachere Lösungen vorstellen können.
Kürzlich mussten Sie als Zeuge im Gerichtsprozess gegen den Priester U. aussagen, der wegen des Missbrauchs an neun Mädchen zu zwölf Jahren Haft verurteilt wurde. Als Personalchef des Erzbistums Köln hätten Sie ihn früher aus dem Verkehr ziehen und so möglicherweise weitere Verbrechen verhindern können. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie an die Betroffenen denken?
Heße: Es ist schrecklich, was da passiert ist – vor allem in dieser Massivität. Die Betroffenen, die sich jetzt geäußert haben, verdienen größten Respekt. Als ich 2010 mit dem Fall befasst war, waren sie dazu noch nicht in der Lage. Sie haben ihre Aussagen zurückgezogen und deshalb hat die Staatsanwaltschaft, die damals bereits ermittelt hatte, das Verfahren eingestellt. Das hat uns schockiert, denn der Staat ist ja die erste Ermittlungsinstanz, nicht die Kirche. Der damalige Kölner Erzbischof Meisner hat deshalb entschieden, den Pfarrer wieder einzusetzen. Heute, zwölf Jahre später, sind wir sehr viel schlauer.
Wegen des Umgangs mit dem Fall soll es Anzeigen gegen Sie und andere Verantwortliche im Erzbistum Köln geben. Kommen weitere Konsequenzen auf Sie zu?
Heße: Im Moment weiß ich nur aus den Medien davon. Ich stelle mich dem, was kommt.
Wie wollen Sie das Vertrauen der Menschen zurückgewinnen?
Heße: Ich kann das Vertrauen nicht machen und ich werde mich hüten, Menschen zu manipulieren. Ich kann nur um Vertrauen werben. Ich habe seit der Wiederaufnahme meines Amts viele Gespräche geführt. In einem Hirtenwort habe ich eine Reihe von Maßnahmen angekündigt. Zu Prävention, Intervention und Aufarbeitung von Missbrauch in unserem Bistum wird es künftig einen jährlichen Bericht geben. Ich möchte häufiger Arme und Obdachlose treffen. Wichtig ist mir auch das geistliche Element, zum Beispiel das Angebot zur stillen Anbetung im Mariendom. Und ich möchte neue Kommunikationsangebote machen.
Bei Ihrer ersten öffentlichen Messe nach Ihrer Auszeit im September haben Sie entgegen den Gepflogenheiten weder Mitra noch Bischofsstab getragen. Ein Signal?
Heße: Ja. Ich achte darauf, mit diesen Zeichen sehr bewusst und vorsichtig umzugehen. Ich benutze die Insignien noch, aber mit Maß und Ziel.
War das Ihre persönliche Überlegung oder ist das auch bei anderen deutschen Bischöfen ein Thema?
Heße: Ich habe bei einem Bischofstreffen mal davon gesprochen, dass ich darüber nachdenke, wie und wann ich Mitra und Bischofsstab einsetze. Mancher Mitbruder sagte mir dann, dass ihm diese Überlegungen nicht fremd seien.
Sie haben vor Kurzem den Posten des Generalvikars mit dem Pallottinerpater Sascha-Philipp Geißler neu besetzt. Warum fiel die Wahl auf ihn?
Heße: Unser Bistum ist recht klein und überschaubar. Deswegen ist die Wahl auf einen Ordenspriester gefallen, also jemand von außen. Pater Geißler ist erst seit 2020 in unserem Bistum, aber hat sich schon gut eingefunden und stößt auf gute Resonanz. Mir geht es darum, dass er einen Stil der Begegnung auf Augenhöhe findet.
Geißler hat keine Erfahrung in Personalführung und im Umgang mit Missbrauchsfällen. Spielte das bei der Entscheidung keine Rolle?
Heße: Jeder Seelsorger ist mittlerweile geschult und hat eine Sensibilität für das Thema Missbrauch. Pater Geißler hat in der Provinzleitung der Pallottiner mitgearbeitet, hat eine große Pfarrei geleitet und eine journalistische Zusatzausbildung gemacht. Ein Generalvikar muss Generalist sein und die Zusammenarbeit der Abteilungen stärken. Das sehe ich bei ihm erfüllt. Zudem steht dem neuen Generalvikar unser Verwaltungsdirektor zur Seite – eine Stelle, die wir vor zwei Jahren neu geschaffen haben.
Ein Betroffenenrat und eine Aufarbeitungskommission der Bistümer Hamburg, Osnabrück und Hildesheim sollten sich schon im vergangenen Jahr konstituieren, sind aber bislang immer noch nicht gestartet. Woran liegt das?
Heße: Zunächst mussten wir Bistümer uns über das Vorgehen abstimmen. Dann mussten Mitglieder für das unabhängige Auswahlgremium gefunden werden. Auch das hat länger gedauert als erwartet. Die Corona-Situation hat die Arbeitsabläufe ebenfalls behindert. Inzwischen sind die Gespräche mit den interessierten Betroffenen geführt worden. Der Betroffenenrat wird sich bald konstituieren. Er wird drei Mitglieder in die Aufarbeitungskommission entsenden. Weitere Vertreter entsenden die Nord-Bundesländer, deren Auswahl teilweise auch etwas länger gedauert hat.
Kann sich die Kirche selbst aufklären oder braucht es eine staatliche Aufarbeitung?
Heße: Die Kirche hat sich immer für eine staatliche Aufarbeitung offen gezeigt. Allerdings erkenne ich auf staatlicher Seite noch nicht den Willen dazu. Deswegen haben wir selbst mit der Aufarbeitung begonnen.
Wie bewerten Sie die Entscheidung des Papstes, Kardinal Rainer Maria Woelki vorerst wieder als Kölner Erzbischof einzusetzen?
Heße: Die bewerte ich gar nicht, weil ich nicht mehr darüber weiß, als die Medien berichten. Ich habe keinen Kontakt zu Erzbischof Woelki. In wenigen Tagen trifft sich die Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz. Vielleicht wird er uns dort etwas sagen. Die Situation im Erzbistum Köln ist schwierig. Ich nehme einen großen Druck wahr. Deswegen hoffe ich, dass es eine gute Lösung für ein gutes Miteinander gibt. Wie die aussehen kann, kann ich nicht sagen.
Sollte der Papst Woelkis Rücktrittsbitte annehmen?
Heße: Ich habe mich damit nicht weiter auseinandergesetzt. Ich schaue auf Hamburg. Das ist meine Aufgabe.