Unbestritten ist heutzutage, dass deutsche Truppen zu Kolonialzeiten in Südwestafrika einen Völkermord begangen haben. Ein Editionsprojekt eröffnet die Perspektive des Oberkommandierenden.
Bochum – Unbestritten ist heutzutage, dass deutsche Truppen zu Kolonialzeiten in Südwestafrika einen Völkermord begangen haben. Ein Editionsprojekt eröffnet die Perspektive des Oberkommandierenden. Lothar von Trotha hatte 1904 und 1905 das Kommando über die Kolonialtruppen in Deutsch-Südwestafrika, die gegen OvaHerero und Nama kämpften. Zu Recht gilt er als Hauptverantwortlicher des ersten Völkermords des 20. Jahrhunderts, des Genozids an den OvaHerero. Aus dieser Zeit existieren fünf Tagebücher Trothas, die Jahrzehnte für die Öffentlichkeit gar nicht und für die Forschung nur bedingt zugänglich waren, weil sie sich in Privatbesitz befanden. Die Historiker Dr. Andreas Eckl und Dr. Dr. Matthias Häussler von der Ruhr-Universität Bochum (RUB) arbeiten derzeit an einer Edition der Bücher, wie die Hochschule am Mittwoch mitteilte.
Zusammen mit einem Fotoalbum aus Trothas Zeit in Afrika werden sie die Tagebücher voraussichtlich Anfang 2023 veröffentlichen. Über die Arbeit der Bochumer Forscher im Rahmen des Projekts „Text- und Bildnarrativ eines Genozids“, das die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert, berichtet das Wissenschaftsmagazin Rubin der RUB.
Dünne Quellenlage zu Völkermörder
Die Quellen aus der Kolonialgeschichte in Deutsch-Südwestafrika sind rar, weil die Aktenbestände der Schutztruppen vernichtet wurden. „Für Historiker sind die Tagebücher ein Schatz, dessen Bedeutung gar nicht hoch genug einzuordnen ist“, sagt Matthias Häussler. Jahrelang stand er mit dem Familienverband von Trotha in Kontakt. „Es hat einige Geduld gekostet, die Erlaubnis zu bekommen, dass wir die Bücher editieren dürfen“, erinnert er sich, „auch wenn früh eine gewisse Aufgeschlossenheit zu verspüren war.“ Seit Anfang 2021 arbeitet er nun am RUB-Institut für Diaspora- und Genozidforschung zusammen mit Andreas Eckl an dieser Edition.
Tagebücher 800 Seiten – teils zu Pferde geschrieben
Von den 800 handgeschriebenen Seiten haben die Forscher mittlerweile 99,8 Prozent entziffert. Das war teils eine Herausforderung, denn Trotha verfasste seine Notizen nicht nur an festen Plätzen, sondern auch auf dem Marsch oder zu Pferde.
An der Tatsache, dass in Deutsch-Südwestafrika ein Völkermord verübt wurde, rütteln die Tagebücher nicht. „Daran gibt es sowieso keinen Zweifel“, sagt Andreas Eckl. „Es war Völkermord. Und dem widersprechen die Bücher auch nicht.“ Sie offenbaren aber neue Einblicke in die Gedankenwelt und den Alltag Lothar von Trothas, der – so zeigen die Notizen – sehr von sich eingenommen war und seine Privilegien genoss.
Während die Notizbücher stets das Besondere eines Tages dokumentieren, zeigt das Fotoalbum Lothar von Trothas Alltag in Afrika. Es enthält mehr als 200 größtenteils von Trotha selbstangefertigte Bilder, wobei sich nur drei der 35 Seiten dem Herero-Feldzug widmen. „Nach seiner Rückkehr aus Afrika hat Lothar von Trotha vier Exemplare des Fotoalbums angefertigt und sozusagen an die damaligen Influencer verschickt“, erzählt Andreas Eckl. Eines der Exemplare hat der Historiker vor langer Zeit privat erworben; seit mehr als 20 Jahren sammelt er Bücher und Fotos zur Kolonialgeschichte.
Keine Anzeichen für extremen Rassismus
Weder im Tagebuch noch im Fotoalbum fanden die Forscher Anzeichen für einen extremen Rassismus – obwohl Trotha landläufig als Rassenkrieger par excellence gilt. „Das heißt aber nicht, dass er nicht rassistisch gedacht hat“, betont Eckl. Tagebücher und Fotoalbum waren für den Oberkommandierenden nicht ausschließlich persönliche Erinnerungsstücke, sondern für die Öffentlichkeit gedacht, insbesondere das Fotoalbum. „Lothar von Trotha erzählt darin seine eigene Geschichte des Krieges“, so Eckl. Denn nach seiner Rückkehr aus Afrika war er kein gefeierter Held. Es gab durchaus Kritik an seiner Kriegsführung. Seine Schriften und mehr noch seine Bilder waren Trothas Versuch, dieser Kritik entgegenzuwirken.