Ukrainische Kinder in Heimen und Waisenhäusern dürfen nach Worten der Hilfsorganisation Save the Children nicht vergessen werden.
Berlin/Kiew – Ukrainische Kinder in Heimen und Waisenhäusern dürfen nach Worten der Hilfsorganisation Save the Children nicht vergessen werden. Rund 100.000 Mädchen und Jungen liefen Gefahr, dort zurückgelassen zu werden, warnten die Helfer am Montag. „Wir sind sehr besorgt um sie, vor allem um diejenigen mit Behinderung“, sagte die Osteuropa-Direktorin der Organisation, Irina Saghoyan. Wie in jedem Krieg seien Kinder ohne Betreuungspersonen einem erhöhten Risiko von Menschenhandel, Missbrauch und Ausbeutung ausgesetzt.
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Regierungen und Organisationen müssten sich für den Schutz dieser Kinder einsetzen, fordert Save the Children. So brauchten die unbetreuten Minderjährigen etwa Zugang zu Transportmitteln und Unterkünften, Gesundheitsversorgung sowie psychosoziale Unterstützung. Die zuständigen Behörden müssten einbezogen werden, auch um möglicherweise Angehörige zu finden.
Gemeinsam mit anderen richtet Save the Children derzeit nach eigenen Angaben ein Verfahren für die Suche nach Angehörigen, Kinderschutzsysteme und Meldemechanismen ein. So sollten Kinder wieder mit Verwandten und Freunden in der Ukraine oder in Nachbarländern zusammengeführt werden, wie es hieß. Die Organisation bittet Einzelperson ausdrücklich darum, sich nicht um private Adoptionen zu bemühen, da solche Dienste nicht reguliert seien.
Oberrabbiner aus Kiew sieht Kriegsverbrechen in der Ukraine
Der Oberrabbiner der Brodsky-Synagoge in der ukrainischen Hauptstadt Kiew, Moshe Reuven Azman, wirft dem russischen Präsidenten Wladimir Putin Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. „Dass schon friedliche Bewohner erschossen werden, auch Autos und Häuser beschossen werden, das sind meiner Meinung nach auch schon Kriegsverbrechen“, sagte Azman am Sonntag im Interview der Deutschen Welle. Er bat um weitere Proteste und Gebete.
Zuvor hatte der Oberrabbiner per Videobotschaft einen Friedensappell verbreitet. Er habe die Juden in Russland und die Russen daran erinnern wollen, „dass sie nicht einfach vor dem Fernseher sitzen und grinsen können, dass sie Verantwortung dafür tragen werden, was mit ihrer stillschweigenden oder nicht stillschweigenden Zustimmung passiert“. Ihn hätten danach Menschen angerufen, um ihm zu sagen, dass er ihnen die Augen geöffnet habe. Andere hätten ihm gesagt, sie wüssten längst, was vorgehe, hätten aber Angst, darüber zu sprechen. Jeder müsse für sich entscheiden, „ob er mit dem Guten oder dem Bösen ist, ob er sich an Verbrechen beteiligt“, sagte Azman. „Wenn sich in Russland alle klar positioniert hätten, dann hätte man die ganze Junta schon längst weggefegt.“
Auch Holocaust-Überlebende betroffen
Das erklärte Ziel Putins, eine „Entnazifizierung“ der Ukraine anzustreben, bezeichnete der Oberrabbiner als „Spinnereien“. Es gebe in der Ukraine keinen Nazismus, „nicht einmal nationalistische Parteien sind ins Parlament eingezogen“. Diesen „Blödsinn“ könne nur jemand glauben, „der der Gehirnwäsche des Fernsehens glaubt, welches allerlei Unsinn verbreitet“. Moskau brauche lediglich einen Vorwand, „um seine imperialen Ambitionen zu befriedigen“.
Die jüdische Gemeinde in der Ukraine unterstütze hilfsbedürftige Menschen derzeit telefonisch, sagte Azman. Auch seien Busse organisiert worden, um Menschen an sichere Orte zu bringen, etwa nach Israel oder Europa. Viele Ältere könnten sich nicht mehr alleine bewegen oder seien bettlägerig, berichtete der Geistliche. „Unter ihnen sind Menschen, die während des Zweiten Weltkriegs wie durch ein Wunder dem Holocaust entkommen waren, und die jetzt gezwungen waren, aus Luhansk und anderen Städten im Donbass zu fliehen. Das ist für sie schon das dritte und sogar vierte Mal im Leben.“
Erneut Demos für die Ukraine – Ruf nach Schutz für Geflüchtete
Die Hilfsbereitschaft gegenüber ukrainischen Geflüchteten dauert weiter an. Dieses „großartige Engagement“ zeige, „dass die Willkommenskultur weiterlebt“, sagte der Geschäftsführer der UNO-Flüchtlingshilfe, Peter Ruhenstroth-Bauer, am Sonntag in Bonn. Die Anstrengungen dürften „nicht nachlassen, weil der Hilfsbedarf riesig ist und täglich wächst“.
Bei Demonstrationen in mehreren Städten gingen 125.000 Menschen für den Frieden auf die Straße, wie die Veranstalter mitteilten. Aufgerufen hatte dazu das Bündnis „Stoppt den Krieg“, zu dem Menschenrechtsorganisationen ebenso gehören wie die Kirchen und Gewerkschaften. Ziel seien Friedensverhandlungen, die in einem atomwaffenfreien Europa, gemeinsamer Sicherheit, in Frieden und Abrüstung mündeten, wie es hieß.
Politiker warnen vor organisierter Kriminalität
Unterdessen warnen Politiker vor organisierter Kriminalität, der Schutzsuchende zum Opfer fallen könnten. „Es ist an Abartigkeit kaum zu überbieten, wenn das Elend schutzsuchender Frauen und Kinder, die dem Krieg in der Ukraineentkommen sind, durch skrupellose Menschenhändler zur sexuellen Ausbeutung genutzt wird“, sagte der Menschenrechtsbeauftragte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Michael Brand. Die Bundesregierung müsse rasch Maßnahmen zu ihrem Schutz ergreifen.
So müssten ankommende Frauen und Kinder aktiv gewarnt werden. Polizei und Hilfsorganisationen müssten sie gezielt ansprechen, sagte Brand. Außerdem sei eine Registrierung dringend zu empfehlen, damit die Behörden über den Aufenthaltsort informiert seien. Pässe und Mobiltelefone sollten die Ankommenden stets bei sich behalten.
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CSU-Chef Markus Söder forderte eine organisierte Unterbringung der Menschen. Dafür brauche es einen Koordinierungsrat von Bund und Ländern sowie eine Ministerpräsidentenkonferenz, sagte er der „Bild am Sonntag“. „Wir müssen mit großem Herzen helfen und gleichzeitig mit klarem Kopf organisieren“, so der bayerische Ministerpräsident. Derzeit drohe eine Überlastung einiger Städte und Länder.
Die UNO-Flüchtlingshilfe mahnte zugleich, dass andere Krisen nicht in Vergessenheit geraten dürften. Auch in anderen Teilen der Welt würden Menschen zur Flucht gezwungen. „Diese Krisen stehen nur selten in den Schlagzeilen – gerade deshalb brauchen die Menschen auch dort unsere ganze Unterstützung.“ Als Beispiele nannte Ruhenstroth-Bauer die Konflikte in Syrien, dem Jemen, Venezuela und der äthiopischen Provinz Tigray.
Elfter Jahrestag des Kriegsbeginns in Syrien
Am Dienstag ist der elfte Jahrestag des Kriegsbeginns in Syrien. 5,7 Millionen Geflüchtete seien bereits registriert; laut dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen WFP können 12,4 Millionen Menschen im Land nicht ausreichend mit Lebensmitteln versorgt werden. Am kommenden Samstag (26. März) jährt sich der Beginn des Konflikts im Jemen zum siebten Mal. Dort sind 20,7 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen, vier Millionen innerhalb des Landes auf der Flucht, wie es hieß.
rwm/kna