Der Strafprozess rund um den vatikanischen Finanzskandal und den angeklagten Kardinal Giovanni Angelo Becciu beginnt nun tatsächlich. Ab Donnerstag werden im Hauptverfahren die Angeklagten befragt.
Vatikanstadt – Der Strafprozess rund um den vatikanischen Finanzskandal und den angeklagten Kardinal Giovanni Angelo Becciu beginnt nun tatsächlich. Ab Donnerstag werden im Hauptverfahren die Angeklagten befragt. Am ersten richtigen Verhandlungstag nach siebenmonatiger Debatte um Formfragen muss Becciu Rede und Antwort stehen. Der Kardinal zeigte sich Anfang März nach der Gerichtsentscheidung zum Fortgang „heiter und zuversichtlich“. Er sei froh, endlich selbst reden zu dürfen. So könne die Wahrheit ans Licht kommen.
Bis dato ging es in dem Prozess wenig um Wahrheitsfindung und viel um Widerspruch. Seit Juli müssen sich die zehn Angeklagten vor Gericht verantworten. Nur Kardinal Becciu und sein ehemaliger Sekretär Mauro Carlino waren meist persönlich anwesend. Die italienischen Finanzmakler Enrico Crasso und Gianluigi Torzi, die Sicherheitsberaterin Cecilia Marogna sowie die Ex-Verantwortlichen der vatikanischen Finanzaufsicht (AIF), Tommaso di Ruzza und Rene Brülhart, lassen sich von ihren redefreudigen Anwälten vertreten.
Auch für den angeklagten Fondsmanager Raffaele Mincione, den Mailänder Rechtsanwalt Nicola Squillace und Finanzmanager Fabrizio Tirabassi sind nur die streitlustigen Verteidiger präsent. Bei den Dreien und bei Carlino lag die Anklageschrift zeitweise auf Eis; auf Wunsch der Strafverfolgung wurde sie überarbeitet. Seit Ende Januar sitzen alle Zehn wieder auf der Anklagebank.
In dem vielbeachteten Prozess geht es vorrangig um verlustreiche Investitionen des vatikanischen Staatssekretariats in eine Londoner Luxusimmobilie. Auch der Peterspfennig soll betroffen sein. Das Bürogebäude ist mittlerweile verkauft, im Frühsommer soll der Deal abgeschlossen sein. Der finanzielle Schaden für das vatikanische Staatssekretariat beläuft sich laut Strafverfolgung auf rund 217 Millionen Euro.
Das Staatssekretariat, die vatikanische Güterverwaltung APSA, die sogenannte Vatikanbank IOR sowie die vatikanischen Finanzaufsicht AIF, heute ASIF, sind zugelassene Zivilkläger. Die Vorwürfe gegen die Angeklagten reichen von Amtsmissbrauch, über Veruntreuung, Geldwäsche, Betrug, Erpressung und Urkundenfälschung. Auch Anstiftung zur Falschaussage findet sich in der mehr als 450 Seiten umfassenden Anklageschrift. Für die Vergehen sieht das vatikanische Strafrecht teils mehrere Jahre Freiheitsentzug vor. Nur die Haftzellen fehlen.
Über die Londoner Investition hinaus geht es in dem Prozess um fragwürdige, von Becciu autorisierte Zahlungen. Diese sollen in sechsstelliger Höhe an eine von seinem Bruder geleitete Sozialorganisation in ihrer sardischen Heimatdiözese geflossen sein. Dann sind da noch Zahlungen von mehr als einer halben Million an die selbst ernannte Sicherheitsberaterin Marogna. Das Gericht will Becciu zu allen drei Komplexen gesondert befragen. Beginnen will man mit den Überweisungen in seine Heimatdiözese.
Die Verteidiger hatten seit Juli versucht, den Prozess als „Spezialprozess“ vor einem „Spezialgericht“ für null und nichtig zu erklären. Viel kreisten die Verhandlungstage dabei um die Rechte und Möglichkeiten von Strafverfolger Alessandro Diddi. Im Fokus stand der Hauptzeuge Alberto Perlasca und die Dokumentation seiner Befragungen. Erst nach Zögern hatte die Strafverfolgung Einsicht in Audio- und Videoaufnahmen sowie schriftliche Protokolle der Vernehmungen gewährt. Aus ihrer Sicht der Strafverfolgung waren alle für den Prozess relevanten Details enthalten. Aus Sicht der Verteidiger waren die Beweise bis zuletzt unvollständig.
Doch das Gericht schlug sich auf die Seite der Strafverfolgung. Und das obwohl der Vorsitzende Richter Giuseppe Pignatone und Diddi sich nicht grün sind. In einem 40 Seiten langen Beschluss wiesen die Richter alle Einwände der Verteidigung zurück. Der Prozess sei im Einklang mit allen internationalen Vorgaben für ein „faires Verfahren“. Und ja, Diddi habe im Vergleich zur italienischen Justiz gewisse Freiheit bei Befragungen. Aber, so Pignatone, die Beweise seien einsichtig und könnten angefordert werden. Das Interesse daran war laut Diddi bislang gleich Null.
Vielleicht ändert sich das nach der Befragung Beccius. Für Ende März und Anfang April sind weitere Verhandlungstage geplant. Zumindest nach deutschem Strafrecht müssten alle Angeklagten dann im Regelfall in Erscheinung treten. Aber auch hier bestätigen bekanntlich Ausnahmen die Regeln.