Menschen groß und frei machen

Für die Erfurter Theologieprofessorin Julia Knop wird die Kirche der Zukunft keine katholische oder evangelische, sondern eine christliche sein.
Für die Erfurter Theologieprofessorin Julia Knop wird die Kirche der Zukunft keine katholische oder evangelische, sondern eine christliche sein. 

Theologin Julia Knop bei ihrem Vortrag; BILD: THOMAS EMOS

Mülheim – Die aus Herne stammende Julia Knop lehrt als katholische Theologieprofessorin Dogmatik an der Universität Erfurt. Das überrascht, wenn man am 17. März ihren erstaunlich undogmatischen Vortrag in der katholischen Akademie gehört hat.
Moderiert von Jens Oboth, diskutierte sie mit 100 interessierten katholischen und evangelischen Christen im Auditorium der Wolfsburg über die Frage „Was bedeutet heute Glauben?“ Ihre These: In einer sich weiter säkularisierende Gesellschaft wird der Glauben individueller gelebt.
„Ich war der einzige Christ an unserer Schule“, zitiert sie einen ihrer Studierenden, der in der thüringischen Diaspora katholischer Priester werden will. „Wir haben dort einige junge, sehr entschiedene und sehr sprachfähige junge Leute, die es gewohnt sind, offensiv für ihren Glauben einzutreten“, sagt Knop. Damit skizziert sie ihre Zukunftsvision, für eine Gesellschaft, in der die katholische Kirche, ja die christliche Kirche und ihr Glaubens- und Gemeindeleben, kein Mainstream mehr sein wird.
Die Zahlen, die Knop nennt, sprechen für sich. In Thüringen gehören weniger als 30 Prozent einer christlichen Kirche an. Einer von ihnen ist der linke Ministerpräsident Bodo Ramelow. Gerade mal acht Prozent der Thüringer sind katholisch. Auch bundesweit würden nur noch fünf Prozent der katholischen Christen regelmäßig einen Gottesdienst besuchen. „Nur im Eichsfeld gibt es noch ein katholisches Milieu, wie man es vielleicht im Paderborn der 1950er-Jahre gehabt hat“, sagt die Mitautorin des Buches „Gottesdienst und Macht – Klerikalismus in der Liturgie“. Die Theologin, die im Rahmen des synodalen Dialogprozesses im Forum „Macht“ mitarbeitet, empfiehlt ihren Glaubensgeschwistern, die Bibellektüre wiederzuentdecken und sich „mit den Erzählungen auseinanderzusetzen und sich in die biblischen Figuren hineinzudenken, die sie in ihrer aktuellen Lebenssituation ansprechen.“

Religiöse Sozialisation nicht der Regelfall

Die Bibel bezeichnete die Theologin „als ein Buch, in dem während des 4. Jahrhunderts Erzählungen aus 1.500 Jahren zusammengefasst worden sind und die Lebenserfahrungen reflektieren.“ Dass „fast alle Gemeindemitglieder generationsübergreifend in Hauskreisen unterwegs sind“, hat die westdeutsche Professorin in der ostdeutschen Diaspora tief beeindruckt. Allerdings könne die ostdeutsche Diaspora vom katholischen Westen lernen, wenn es darum gehe, etwa in der Liturgie „experimentierfreudiger zu und sich auf neue Formen einzulassen, die überlebenswichtig sind, um die Inhalte des christlichen Glaubens zeitgemäß zu übersetzen und ihnen so gesellschaftliche und individuelle Akzeptanz zu verschaffen“. „Hier im Ruhrbistum weiß jeder, wer Jesus, Maria und Josef waren. Und jeder kennt zumindest das Vater-unser. Aber in den ostdeutschen Bundesländern ist das nicht so“, machte Knop ihrem Publikum deutlich, dass man im Deutschland der Gegenwart und der Zukunft „nicht mehr vom Regelfall einer religiösen Sozialisation ausgehen kann“.
Furchtbar? Nicht unbedingt, wenn man Professorin Knop folgt. Die Kirche der Zukunft wird nach ihrer Ansicht keine katholische oder evangelische, sondern eine christliche sein, „die den Mut hat, sich von großen Gewissheiten zu verabschieden und sich auf verschiedene individuelle Glaubensverständnisse einzulassen.“ Voraussetzung dafür sei eine Kirche, in der der geweihte Mann nicht mehr das alleinige Maß der Dinge sei und die Kirche „ein Ort der Verkündigung wird, in der Menschen keine Angst gemacht wird, sondern sie frei und groß macht, weil sie auch religiöse Indifferenz nicht mit Areligiosität verwechselt“. „Auch Menschen, die sich mit dem christlichen Glauben schwertun, aber hoffen und wünschen, dass es einen liebenden und gnädigen Gott gibt, sind in meinen Augen gläubige Christen“, sagte Knop.

Forderung nach einer Demokratisierung der Katholischen Kirche

Kontrovers diskutiert wurde ihr These, dass Karl Rahners Diktum falsch sei, der Mensch sei von Natur aus religiös. Zuspruch fand dagegen ihre Forderung nach einer Demokratisierung der Katholischen Kirche. Knop nannte es anachronistisch, „dass der Heilige Stuhl bis heute die Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen nicht unterschrieben habe. Ein Ehepaar erinnerte sich in diesem Zusammenhang an einen charismatischen Jesuiten, der vor 15 Jahren als Gemeindepfarrer abberufen worden sei, nachdem er öffentlich bekannt hatte, selbstverständlich auch die homosexuelle Lebenspartnerschaften segne. Eine ehemalige Jugendpflegerin des Bistums machte angesichts der kirchlichen Reaktion auf die priesterlichen Missbrauchsfälle aus ihrer tiefsitzenden Frustration keinen Hehl. „Die katholische Kirche ist so verstaubt. Wir waren in den 1960er- und 1970er-Jahren mit dem II. Vatikanischen Konzil und der Würzburger Synode doch schon mal viel weiter. Ich habe einfach keine Lust mehr, mir etwas vorsetzen zu lassen.“ Ein anderer Zuhörer und Mit-Diskutant warnte angesichts der berechtigten Kritik an der Kirche davor „das Kind mit dem Bade auszuschütten“. Er wies auf die vielen sozial und emotional begabten und engagierten Menschen in der Kirche, „mit denen wir ein neues Haus der Kirche bauen müssen.
Thomas Emons