Auch zum orthodoxen Osterfest beschießt Russland die Ukraine. Kiew meldet zivile Todesopfer. Großerzbischof Schewtschuk gibt trotzdem einen neuen „Siegesruf“ aus: „Christus ist auferstanden! Wir sind aus der Ukraine!“
Kiew/Moskau – Alle Aufrufe zu einer Feuerpause am orthodoxen Osterfest an diesem Sonntag fruchteten nicht. Russland setzte seine Angriffe gegen die Ukraine fort. „Zwei Kindern aus der Gemeinde Otscheretyne ist am Ostermorgen von den russischen Besatzern das Leben genommen worden“, so teilte der Gouverneur der Region (Oblast) Donezk, Pawlo Kyrylenko, in seinem Telegram-Kanal mit. Die Angreifer zerstörten demnach das Haus in dem ostukrainischen Ort, in dem die 14 und 5 Jahre alten Mädchen gelebt hätten. Für diese Verbrechen „wird es keine Vergebung geben – weder von Gott noch von den Menschen“, so Kyrylenko.
Russlands Armee feuerte in der Nacht zum Sonntag laut Moskaus Verteidigungsministerium auf 423 Ziele in der Ukraine. Raketen und Artillerie hätten 26 Kommandoposten sowie fast 400 militärische Stellungen sowie vier Waffen- und Munitionslager getroffen, sagte Ministeriumssprecher Igor Konaschenkow. Die Angaben beider Kriegsparteien konnten von unabhängiger Seite nicht überprüft werden.
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Die traditionell nächtlichen Ostermessen mussten wegen des Krieges fast in der ganzen Ukraine auf den Sonntagmorgen verschoben werden. Die Behörden bestanden auf der jede Nacht bis fünf Uhr dauernden Ausgangssperre. Rund 70 Prozent der Ukrainer gehören einer der beiden orthodoxen Kirchen oder der mit Rom verbundenen griechisch-katholischen Kirche an und feiern Ostern nach dem alten Julianischen Kalender. Die Kirchenoberhäupter verbreiteten in ihren Gottesdiensten in Kiew Zuversicht und Osterfreude – wie es dem höchsten Feiertag der Auferstehung Christi entspricht.
Das schlimme Leid des Kriegs sprachen Geistliche dennoch in vielen Ostermessen an. Metropolit Epiphanius von der eigenständigen (autokephalen) orthodoxen Kirche der Ukraine hatte schon im Vorfeld Parallelen zwischen dem Schicksal des Landes und der Kreuzigung Jesu gezogen. Russland bezeichnete er auf Twitter als „wirkliches Reich des Bösen“. Die Ostertage seien für Christen heilig; doch das russische Militär zerstöre weiter ukrainische Städte und Dörfer und töte unschuldige Menschen.
Durch einen russischen Raketenangriff auf die Schwarzmeermetropole Odessa seien am Samstag mehrere Zivilisten ums Leben gekommen oder verletzt worden, so Epiphanius. Seine Osterglückwünsche verband er mit den Worten: „Mögen Ihre Herzen mit festem Vertrauen auf den Sieg des Guten und Wahren, auf den Sieg der Ukraine erfüllt sein.“
Kiews griechisch-katholischer Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk sprach ähnlich: vom „Feiertag des Sieges des Lebens über den Tod, des Sieges der Wahrheit über die Unwahrheit, des Sieges des Guten über das Böse“. Der Krieg dauere nun schon genau zwei Monate. Es gebe einen „neuen Siegesruf“: „Wenn wir die Freude darüber teilen wollen, dass wir unseren Feind aufgehalten haben, sagen wir: „Guten Tag, wir sind aus der Ukraine!“ Heute wolle er der ganzen Welt sagen: „Christus ist auferstanden! Wir sind aus der Ukraine!“, so Schewtschuk. In seiner Kathedrale segnete er die Osterkörbe und die Gläubigen mit Weihwasser.
An dem Festtag wird in der Ukraine traditionell das süße Osterbrot Paska gegessen. Viele dieser Brote wurden an die Soldaten und Soldatinnen an der Front geschickt. Allein Epiphanius segnete am Donnerstag 8.000 Paskas für das Militär.
Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj bat in einer Videobotschaft zum Osterfest „Gott um große Gnade, damit unser großer Traum wahr wird; … der Tag, an dem großer Frieden in die Ukraine kommen wird. Und mit ihm ewige Harmonie und Wohlstand.“ An anderer Stelle sagte er: „Großer und einziger Gott, rette unsere Ukraine!“ Das Video wurde in der Kiewer Sophienkathedrale aufgezeichnet, der bedeutendsten Kirche der Stadt.
Wie nach Kiew wurde zum orthodoxen Osterfest das „Heilige Feuer“ aus der Jerusalemer Grabkapelle auch nach Moskau gebracht. Dort feierte der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill I. wie üblich mit Kreml-Chef Wladimir Putin mitten in der Nacht die Ostermesse in der Christ-Erlöser-Kathedrale. Der Präsident stand prominent gemeinsam mit Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin vor einem Gemälde, das die Gottesmutter Maria mit Jesus in ihren Armen zeigt. Er hielt eine rote Kerze in der Hand und bekreuzigte sich mehrmals. Am Ende des Gottesdienstes schenkte Putin Kyrill I. ein verziertes Osterei.
In seinen Osterglückwünschen an den Patriarchen schrieb der Kreml-Chef, der bedeutende Feiertag vereine alle Bürger Russlands, die die Auferstehung Christi begingen, und wecke „in den Menschen die hellsten Gefühle, den Glauben an den Sieg des Lebens, des Guten und der Gerechtigkeit“. Zugleich lobte Putin den Patriarchen. Es sei „erfreulich“, dass die Kirche unter Kyrill „eine fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Staat entwickelt und einen großen Beitrag zur Förderung traditioneller spiritueller, moralischer und familiärer Werte in der Gesellschaft“ geleistet habe.
Das russisch-orthodoxe Kirchenoberhaupt hatte den Krieg gegen die Ukraine in den vergangenen Wochen mehrfach gerechtfertigt, auch wenn er sich einen baldigen Frieden wünschte. In seiner Ostermesse sprach Kyrill I. den Krieg allerdings mit keinem Wort an. Putin kann sich jedenfalls weiter sicher sein, dass der Patriarch seinen Kurs unterstützt.