Von Norbert Demuth (KNA)
Trier (KNA) Lange hat die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs im Bistum Trier (UAK) nach einem nicht-kirchlichen Veranstaltungsort gesucht. In Trier gar nicht so einfach. Schließlich wählte man das Gebäude der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) in der Römerstadt, um am Donnerstag den ersten Zwischenbericht der seit Juni 2021 tätigen Kommission vorzustellen.
Der 19-seitige Bericht hat es in sich, auch weil neue Zahlen zu Missbrauch vorgelegt wurden. Demnach konnten bisher für den Zeitraum von 1946 bis 2021 insgesamt 513 Betroffene von Missbrauch im Verantwortungsbereich des Bistums „namentlich oder anonym identifiziert werden“. Von den 513 Betroffenen seien 162 weiblich und 311 männlich. Für 40 Betroffene fehlten Angaben zum Geschlecht. Als Beschuldigte beziehungsweise überführte Täter des sexuellen Missbrauchs seien inzwischen 195 Personen erfasst. Es sei zu erwarten, dass sich die Zahlen künftig aufgrund tieferen Aktenstudiums noch „erweitern“ würden, so die UAK.
Die Kommission kritisierte zugleich „den Umstand, dass und wie vermeintliche oder überführte Täter innerhalb und außerhalb des Bistums versetzt wurden und dass es am neuen Ort erneut zu Missbrauchstaten an Jugendlichen und Kindern kam“. Weiter hieß es: „Zumindest in einer großen Reihe von Fällen wurden seitens des Bistums aus Sicht der UAK keine Maßnahmen zum Schutz potenziell Betroffener vor sexuellem Missbrauch vorgenommen.“
Die Kommission unter Vorsitz des früheren rheinland-pfälzischen Justizministers Gerhard Robbers (SPD) kündigte an, bis Mitte Oktober eine erste Studie zum Missbrauchsgeschehen in der Ära des früheren Trierer Bischofs Bernhard Stein (1904-1993) vorzulegen. Ihm wird vorgeworfen, in seiner Amtszeit von 1967 bis 1980 von sexuellem Missbrauch durch Kleriker an Kindern gewusst und Täter gedeckt zu haben.
Der Zwischenbericht enthält auch zwei gravierende historische Fallbeispiele von katholischen Geistlichen aus den 1950er Jahren („Fall Paul Krischer“) sowie aus den 1960er und 1970er Jahren („Fall Franz Engelhardt“). Diese Fälle dokumentieren laut UAK die damalige „Praxis der Bistumsleitungen, Fälle sexuellen Missbrauches intern zu regeln und vor der Öffentlichkeit, ja sogar vor dem Zugriff der staatlichen Strafverfolgungsbehörden zu verbergen“. Der in letzter Zeit viel diskutierte Fall „Karin Weißenfels“ wird im Zwischenbericht nicht eigens aufgeführt.
Die Kommission stellte jedoch mehrere aktuelle Forderungen an das Bistum: Zum einen sei es „unabdingbar“, dass man die bisherige Praxis zur Gewährung von Akteneinsicht für Betroffene „deutlich verbessert“. Bislang gleiche das eher einem „Gnadenakt“, ist aus Kreisen der Kommission zu hören. Nötig sei stattdessen ein „transparenteres und wenig aufwändiges Verfahren“.
Gefordert wird zudem, dass das Bistum Betroffene „regelmäßig“ und „intensiver“ über den Fortgang des kircheninternen Verfahrens unterrichtet, das in Verfolgung des jeweiligen Missbrauchs initiiert worden sei. „Klar erkennbar ist, dass die Situation der Betroffenen in der kircheninternen Bearbeitung der Fälle viel zu wenig beachtet wurde“, heißt es in dem Bericht wörtlich.
Außerdem sei das Verfahren zur Anerkennung des Leids „sehr formell organisiert“. Betroffene beklagten, dass die Bearbeitung der Verfahren sehr lange dauere. Es scheine unumgänglich, für die Betroffenen über dieses Verfahren hinaus eine langfristige Beratungs- und Anlaufstelle zu schaffen – „entweder in Form einer besonderen Seelsorge oder durch eine unabhängige Ombudsstelle“.
Der seit 2009 amtierende Trierer Bischof Stephan Ackermann erklärte postwendend und offenbar bestrebt, den Ball flach zu halten, die Kommission spreche „erste Handlungsempfehlungen an das Bistum“ aus, um deren Umsetzung er sich bemühen wolle. Der Bericht gebe „einige Anregungen zu einer stärkeren Betroffenenorientierung – ich verstehe sie auch als Aufforderung zu einer weiteren Professionalisierung in der gesamten Thematik“.
Eine Äußerung Ackermanns, die auch auf Kritik stößt. Immerhin ist er seit 2010 Missbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz – ein Amt, das er voraussichtlich nur noch bis September 2022 ausübt. Eigentlich müsste er da doch „Profi“ in Sachen Missbrauchsaufarbeitung sein, heißt es da schon mal. Und auch die jüngsten Veröffentlichungen zu verurteilten Missbrauchstätern, die weiter in der Klinikseelsorge eingesetzt wurden, tragen nicht dazu bei, die Kritik verstummen zu lassen.