Der Sozialmediziner Gerhard Trabert warnt vor den Folgen der allgemeinen Preissteigerungen für die ärmere Bevölkerung.
München – Der Sozialmediziner Gerhard Trabert warnt vor den Folgen der allgemeinen Preissteigerungen für die ärmere Bevölkerung. „Die Menschen werden in diesem Winter kränker werden. Aufgrund der steigenden Kosten werden sich manche entscheiden müssen: Friere ich und esse genug? Oder friere ich nicht und verzichte auf Essen?“, sagte Trabert der Süddeutschen Zeitung. „Das geht an die Existenz der Menschen, auch an die psychische.“ Schon jetzt sei die Lebenserwartung armer Frauen etwa viereinhalb Jahre kürzer als bei reichen, diejenige armer Männer sogar etwa neun Jahre kürzer. „Diese Dimension ist noch immer nicht bei den Entscheidungsträgern angekommen. Und diese Ignoranz der Politik hat schon was Gewalttätiges.“
Dabei habe der deutsche Staat genug Geld zur Verfügung, um die Situation armer Menschen zu verbessern. „Wenn wir es trotzdem nicht tun, dann ist das auch eine Form von struktureller Gewalt. In unserer Gesellschaft gibt es nicht nur Rassismus und Sexismus, es herrscht auch eine Art Klassismus. Menschen aus den unteren Schichten werden systematisch benachteiligt“, so Trabert.
Die bisherigen Entlastungen durch die Bundesregierung reichten „bei Weitem nicht“, fügte er hinzu. Die 200 Euro, die Hartz-IV-Empfänger einmalig bekommen haben, glichen nicht einmal die Inflation aus. „Von den etwa fünf Euro, die der Hartz-IV-Satz für tägliche Lebensmittel enthält, kann sich niemand gesund ernähren. Ich bin fassungslos, dass die Politik noch nicht nachgebessert hat.“
Trabert will daher eine Anhebung des Hartz-IV-Satzes um 200 Euro monatlich. Er fordert Hilfen für Schulmaterial sowie finanzielle Unterstützung für Studierende. „Mieten müssen gedeckelt und die Menschen vor Räumungsklagen geschützt werden. Altersarmut muss verhindert werden.“
Äußerungen von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), der Staat könne solche Hilfen nicht bezahlen, hält Trabert für absurd. „Das ist Nonsens. Es ist genug Geld da“, betonte er. Zudem gebe es Instrumente wie die Übergewinn-, die Vermögens- und die Erbschaftssteuer. „Viele andere Länder nutzen sie. Wenn Herr Lindner stattdessen von Gratismentalität spricht, wie jetzt beim Neun-Euro-Ticket, dann diffamiert er Menschen mit weniger Geld.“
An der Hochschule Rhein-Main hat Trabert eine Professur für Sozialmedizin und Sozialpsychiatrie. Zweimal hat ihn Die Linke, bei der Trabert nicht Mitglied ist, als Kandidaten nominiert: für die Bundestagswahl 2021 und für die Wahl des Bundespräsidenten Anfang 2022.