Woelki: „Ich agiere nicht wie ein absolutistischer Herrscher“

Auch nach seiner Auszeit steht Kardinal Rainer Maria Woelki in der Kritik. Im Interview  äußert er sich zu seiner persönlichen Situation nach dem Rücktrittsgesuch, die PR-Strategie bei der Missbrauchsaufarbeitung und zu dem Aufbau einer kirchlichen Hochschule in Köln.
Auch nach seiner Auszeit steht Kardinal Rainer Maria Woelki in der Kritik. Im Interview  äußert er sich zu seiner persönlichen Situation nach dem Rücktrittsgesuch, die PR-Strategie bei der Missbrauchsaufarbeitung und zu dem Aufbau einer kirchlichen Hochschule in Köln.

Kardinal Woelki –Foto: rwm

Auch nach seiner Auszeit steht Kardinal Rainer Maria Woelki in der Kritik. Im Interview  äußert er sich zu seiner persönlichen Situation nach dem Rücktrittsgesuch, die PR-Strategie bei der Missbrauchsaufarbeitung und zu dem Aufbau einer kirchlichen Hochschule in Köln.

Herr Kardinal, Papst Franziskus hat Ihr Rücktrittsgesuch – wie er selbst sagt – „in der Hand“. Sie waren ein paar Tage in Rom. Haben Sie mit ihm gesprochen und hat er Ihnen eine Entscheidung mitgeteilt?

Woelki: Wir haben beim Konsistorium in sehr netter, freundschaftlicher Atmosphäre miteinander gesprochen. Aber der Heilige Vater hat mir keine Entscheidung mitgeteilt und diese Thematik gar nicht angeschnitten.

Da geht die Hängepartie weiter. Wie geht es Ihnen damit?

Woelki: Was heißt Hängepartie? Das Erzbistum hat einen Bischof und ich tue meinen Dienst. Dazu habe ich den Auftrag des Papstes.

Fühlen Sie sich durch Franziskus fair behandelt?

Woelki: Der Heilige Vater hat eine wirklich hohe Verantwortung als oberster Hirte der Universalkirche – und dabei unterstütze ich ihn. Er wird seine guten Gründe haben, in der gegenwärtigen Situation nicht zu entscheiden. Ich erlebe ihn als einen sehr geistlichen Menschen, der mit dieser Frage sehr verantwortlich umgeht.

Nach Ihrer Auszeit haben Sie um eine zweite Chance gebeten. Aber die Kritik an Ihnen will nicht abebben – im Gegenteil. Wie wollen Sie im Erzbistum wieder ein Bein auf den Boden bekommen?

Woelki: Es gibt die Kritiker. Aber es gibt auch Unterstützer, die sich zu meiner Person und meinem Dienst positiv äußern. Zu Emotionen hat aber sicher auch die jüngste Berichterstattung über die Öffentlichkeitsarbeit in Zusammenhang mit der Missbrauchsaufarbeitung geführt. Die Berichte habe ich als nicht sachgerecht empfunden. Es ist schade, dass in der Kirche eine Atmosphäre eingezogen ist, wie wir sie aus dem gesellschaftlichen und politischen Bereich kennen. In der Öffentlichkeit übereinander zu reden, ist immer schlecht. Wir brauchen einen Kommunikationsstil, in dem wir miteinander reden und aufeinander hören.

Sie bekommen Druck von unten – von Mitarbeitern, Führungskräften der Erzdiözese und den katholischen Laienvertretern. Und mit dem vom Papst verlangten Rücktrittsgesuch hat sich auch noch Druck von oben auf Sie gelegt. Wie leben Sie mit dieser Spannung?

Woelki: Noch einmal: Sehr viele Mitarbeiter unterstützen mich. Dennoch lebe ich nicht in einer Blase der Ja-Sager. Ich bin mir bewusst, dass es Menschen gibt, die sich mit mir schwer tun, die meine theologischen Positionen nicht teilen oder die Art der Aufarbeitung hinterfragen. Das ist nicht immer leicht durchzustehen – und ich versuche, diese Situation im Gebet vor Gott zu tragen.

Was hält, was motiviert Sie in Ihrem Amt?

Woelki: Ich will die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs und eine gute Prävention weiter vorantreiben. Mich motiviert, das Evangelium unter die Menschen zu bringen und die neuen pastoralen Einheiten gemeinsam mit den Pfarreien und Seelsorgebereichen zu finden und zu gestalten. Wir sind dabei, Teams von Laien zu bilden, die die Gemeindearbeit vor Ort verantworten und beim Leitungsdienst der Pfarrer mitwirken. Und dann geht es mir um die Neuaufstellung der Bistumsverwaltung, um strukturelle Defizite anzugehen.

Die katholische Kirche ringt derzeit im Dialogprozess Synodaler Weg um Reformen. Sie haben sich stets kritisch dazu geäußert. Wollen Sie auch deshalb Erzbischof bleiben, damit ein Gegengewicht nicht verloren geht?

Woelki: Ich bin doch nicht da, um gegen etwas zu sein. Die Kirche ist eine Institution, die sich immer wieder neu reformieren muss – und sich dabei an Jesus ausrichten muss. Aber die Themen des Synodalen Wegs – etwa die Zulassung zu den Weiheämtern – gibt es schon seit Jahrzehnten. Ich plädiere dafür, diese Fragen gemeinsam mit der Universalkirche anzugehen. Daher bin ich froh, dass der Papst eine Weltsynode einberufen hat.

Zuletzt hat sich große Empörung an den Ratschlägen Ihrer PR-Strategen entzündet, für die Nichtveröffentlichung des ersten Missbrauchsgutachtens vor zwei Jahren den Betroffenenbeirat auf Linie zu bringen und so ihr Überleben im Amt zu sichern. Was sagen Sie dem früheren Sprecher des Gremiums, Patrick Bauer, der sich wie ein durch die Manege geführter „dressierter Schimpanse“ fühlt?

Woelki: Was ich dem guten Patrick Bauer sagen möchte, sage ich ihm unter vier Augen und nicht über die Medien. Meine Tür steht für ihn immer offen.

Nach der Rückkehr aus Ihrer Auszeit haben Sie den Eindruck vermittelt, dem Papst von sich aus Ihren Rücktritt angeboten zu haben. Später machte Franziskus öffentlich, dass er Sie um das Rücktrittsgesuch gebeten hatte. Können Sie verstehen, dass solche Halbwahrheiten Ihre Glaubwürdigkeit ankratzen?

Woelki: Wollen Sie mir unterstellen, dass ich den Rücktritt nicht aus eigener Freiheit angeboten habe?

Nein. Aber es fehlte die Info, dass der Papst Sie darum gebeten hat.

Woelki: Ich habe dem Papst meinen Rücktritt angeboten – und der Papst wird sich dazu verhalten.

Nicht zuletzt ihr Umgang mit Geld wirkt auf viele verstörend. Über eine Million Euro für einen verschuldeten Priester und davon rund die Hälfte für Steuernachzahlungen – oder fast eine Million Euro für die eben angesprochenen PR-Berater. Sie erwecken bei vielen den Eindruck, Millionenausgaben leichtfertig zu tätigen.

Woelki: Ich verwahre mich gegen diese Unterstellung. Alle Ausgaben sind von den entsprechenden Gremien genehmigt. Der Priester war in einer außerordentlich angeschlagenen gesundheitlichen Lebenssituation und hat deshalb falsche Dinge gemacht. Wir haben ihm geholfen und können dankbar sein, dass er das überlebt hat. Und wir haben den betroffenen Kirchengemeinden geholfen, indem wir ihnen Geld zurückgegeben haben. Leider wurde nicht beachtet, dass Lohnsteuern zu zahlen sind, da man fälschlicherweise die Zahlungen als Darlehen eingeordnet hatte. Heute würde sich ein solcher Fall nicht wiederholen.

Und die Ausgaben für die Kommunikationsagentur waren in der Ausnahmesituation, in der nach der Nichtveröffentlichung des ersten Gutachtens aus Missbrauchsakten zitiert, ein Fall nach dem anderen öffentlich wurde, einfach erforderlich. Uns war es ja nicht möglich, uns auch mit Aktenkenntnissen zu wehren – das durften wir nicht zum Schutz der Betroffenen. So war es wirklich schwierig. Wir haben tolle Mitarbeiter in der Presseabteilung, aber diese speziellen Anforderungen bedurfte einer Unterstützung, die dann noch weitaus länger gedauert hat als erwartet.

Auch die Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT) verschlingt Millionen Euro. Kritiker halten sie für überflüssig, weil es mit der Katholisch-Theologischen Fakultät in Bonn ein ausreichendes Studienangebot gibt, das überdies staatlich finanziert ist. Warum wollen Sie diese von den Steyler Missionaren übernommene Hochschule überhaupt?

Woelki: Das ist eine Hochschule mit einem ganz spezifischen Profil: interkulturell, interreligiös und interdisziplinär. Sie ist 100 Jahre alt und bildet seit 90 Jahren Priester und Volltheologen aus. Die im deutschem Bereich einzigartige Hochschule wird von Studierenden nachgefragt. Als Kirche fahren wir immer gut damit, in die Bildung junger Menschen zu investieren. Das machen wir auch mit unserem neuen Bildungscampus in Köln-Kalk für Schüler aus sozial schwächeren Verhältnissen. Als Kirche müssen wir aber auch damit rechnen, dass die Zahl der Christen stetig abnimmt und die Privilegien an den deutschen, staatlich finanzierten theologischen Fakultäten mit 12 bis 15 Lehrstühlen verloren gehen. Perspektivisch ist die KHKT eine Investition in die Unabhängigkeit der Kirche.

Den Kirchensteuer- und Wirtschaftsrat haben Sie 2019 für das Projekt mit der Zusage gewonnen, dass für die Hochschule keine Kirchensteuermittel verwendet und Drittmittel eingeworben werden sollen. Bleibt es dabei?

Woelki: Diese Aussage galt nur für die Anfangsphase der Hochschule, wie ich den Protokollen der damit befassten Gremien entnehme. Aber es spricht doch auch nichts dagegen, eine gute Theologie aus Kirchensteuermitteln zu finanzieren.

Wie erklären Sie den Gemeinden vor Ort, dass sich das Erzbistum aus der Finanzierung ihrer Büchereien oder anderer Dinge zurückzieht, für die Hochschule aber genug Geld da ist?

Woelki: Zum Thema Bibliotheken: Die Entscheidung habe ich nicht selbst, sondern die Fachabteilung getroffen. Aber ich finde es nicht gut, an dieser Stelle eine Neiddebatte zu entfachen. Wenn wir nicht jetzt die KHKT neu aufstellen, wird man uns später einmal vorwerfen, warum wir so blauäugig waren und nichts für die Ausbildung des theologischen Personals gemacht haben.

Die KHKT-Pläne stoßen auch aus rechtlichen Gründen auf Widerstand. Nicht nur die Bonner Uni pocht darauf, dass die angehenden Kölner Priester entsprechend dem Vertrag zwischen Staat und Kirche an ihrer Fakultät ausgebildet werden. Auch Rechtsexperten und die NRW-Landesregierung stoßen ins gleiche Horn. Wollen Sie wirklich das Konkordat aufreißen?

Woelki: Wer bin ich, dass ich das Konkordat antasten würde. Diese Sommerloch-Debatte hat mich überrascht. Wenn eine theologische Fakultät an einer staatlichen Exzellenzuniversität so gut ausgestattet ist und sich in der Villa Sorgenfrei bewegen kann, braucht sie sich um die Zukunft doch keine Sorgen zu machen. Denn junge Menschen suchen für sich das Beste und stimmen mit den Füßen ab. Das ist eine unverhältnismäßige Diskussion.

Inwiefern?

Woelki: Mit Blick auf die Bischofswahl wird auch über eine Beteiligung der Laien gesprochen. Das betrifft auch das Konkordat, aber hier spricht niemand davon, dass es zur Disposition gestellt wird. Und der Essener Bischof hat es geschafft, die Theologie an der Universität Bochum zu erhalten, ohne dass dort Priester ausgebildet werden. Auch das wurde nicht als Verstoß gegen das Konkordat bewertet. Da wird mit zweierlei Maß gemessen. Aber ich versichere: Die Priesteramtskandidaten des Erzbistum Köln beginnen ihr Studium zum Wintersemester in Bonn – und was dann werden wird, werden wir alle sehen.

Der Papst setzt auf Synodalität. Welches Gewicht haben die kritischen Einwände etwa des Diözesanrates oder der Stadtdechanten von Bonn, Köln, Düsseldorf und Wuppertal gegen die KHKT?

Woelki: Die Entscheidung, die KHKT von Steyler Missionaren zu übernehmen, habe ich nicht allein getroffen. Sie wurde in zahlreichen Gremien behandelt – auch bei den Stadt- und Kreisdechanten. Dort fand die Idee Zustimmung, mit einer eigenen Hochschule verstärkt in den akademischen Dialog mit der Zivilgesellschaft einzutreten. Ich wehre mich gegen den Eindruck, einsame Entscheidungen zu treffen. Ich agiere nicht wie ein absolutistischer Herrscher.

Von Andreas Otto (KNA)