Armenische Kirche fordert Schutz vor Aserbaidschans Angriffen

Die armenisch-apostolische Kirche hat die internationale Gemeinschaft aufgerufen, das Kaukasusland vor aserbaidschanischen Angriffen zu schützen.
Die armenisch-apostolische Kirche hat die internationale Gemeinschaft aufgerufen, das Kaukasusland vor aserbaidschanischen Angriffen zu schützen.

Katholikos Karekin II. –Foto: Tzolag Hovsepian/CC BY-SA 4.0

Die armenisch-apostolische Kirche hat die internationale Gemeinschaft aufgerufen, das Kaukasusland vor aserbaidschanischen Angriffen zu schützen. Ihr Oberhaupt Katholikos Karekin II. appellierte am Dienstag angesichts von Gefechten mit Dutzenden Toten vor allem an befreundete Staaten, „wirksame Schritte zu unternehmen, um Aserbaidschans erneute Aggression zu stoppen“. Er bat alle Schwesterkirchen, „für die Sicherheit des ersten christlichen Staates, seiner gläubigen Menschen zu beten“ und zur Herstellung eines wirklichen Friedens in der Region beizutragen.

Nach Angaben der Regierung in Eriwan beschoss Aserbaidschan in der Nacht zu Dienstag mehrere armenische Orte. Mindestens 49 Menschen seien ums Leben gekommen. Das aserbaidschanische Außenministerium warf Armenien „groß angelegte Provokationen“ in der Grenzregion vor. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Baku berichtete von Verlusten auf aserbaidschanischer Seite, ohne nähere Angaben zu machen.

Das armenische Kirchenoberhaupt verfolgt nach eigenen Worten die Berichte von den Kämpfen, die Aserbaidschan nachts entlang der Grenze entfesselt habe, mit Schmerz und Besorgnis. Baku sei auch wegen einer nicht angemessenen internationalen Reaktion auf sein „brutales Vorgehen“ im aserbaidschanisch-armenischen Krieg 2020 zu weiteren Militäroperationen ermuntert worden.

Karekin II. rief das armenische Volk zur Einheit, zu Loyalität zum Vaterland und zur Unterstützung der Armee auf. „Lassen Sie jeden von uns mit vollem Einsatz in seinem Verantwortungsbereich das tun, was er kann, um der Standhaftigkeit einer unabhängigen Staatlichkeit willen, um des Fortbestehens unserer Nation willen“, so der 71-Jährige.

Zwischen den ehemaligen Sowjetrepubliken Aserbaidschan und Armenien kam es seit den 1990er Jahren immer wieder zu Gefechten um das mehrheitlich von christlichen Armeniern bewohnte Berg-Karabach, das auf aserbaidschanischem Staatsgebiet liegt. Der Konflikt war Ende September 2020 wieder aufgeflammt. Bei den sechs Wochen andauernden Kämpfen erzielte Aserbaidschan militärische Erfolge, bis die Kriegsparteien gemeinsam unter Vermittlung Russlands einen Waffenstillstand beschlossen. Mehr als 6.000 Menschen starben, 100.000 mussten fliehen oder wurden vertrieben.

Mit mehr als 1.700 Jahren Tradition als Staatsreligion ist Armenien die erste christliche Nation in der Geschichte. Zur armenisch-apostolischen Kirche bekennen sich mehr als 90 Prozent der Bevölkerung. Die Kirche ist wie die Kopten und die syrische Kirche altorientalisch. Sie ist damit sowohl von Rom als auch von den orthodoxen Kirchen getrennt.

Armeniens dramatische jüngere Geschichte – eine Chronologie: Zwischen Völkermord und Sowjetherrschaft

Mit dem Völkermord im Osmanischen Reich erlebten die christlichen Armenier im Ersten Weltkrieg das schlimmste Trauma ihrer Geschichte. Und es sollten noch viele weitere schlechte Jahrzehnte folgen. Stationen der unruhigen armenischen Geschichte im 20. und 21. Jahrhundert:

1877/78: Russisch-osmanischer Krieg auf dem Gebiet Armeniens. Der Berliner Kongress im Juni 1878 bringt Sicherheitsgarantien und Reformversprechen für die von Ostarmeniern bewohnten türkischen Provinzen. Das christliche Armenien ist faktisch zwischen Russland und dem Osmanischen Reich aufgeteilt – mit Billigung des Westens. Die Politik gegenüber den Armeniern unter Sultan Abdul Hamid II. (1876-1909) wird repressiver.

1894-1897: erste Massaker an Armeniern im Osmanischen Reich

ab 1905: Erstarken der Jungtürken

1911: Nach dem Sturz Abdul Hamids II. 1909 beschließen die Jungtürken ein Türkisierungsprogramm.

1914: Geheimvertrag der Osmanen mit Deutschland, Generalmobilmachung und Kriegseintritt der Türkei

1915/18: Im Osmanischen Reich werden zwischen 300.000 und 1,5 Millionen christliche Armenier, Pontos-Griechen, Assyrer und Aramäer ermordet. Historiker sprechen vom „ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts“.

März 1918: Russland tritt im Frieden von Brest-Litowsk Gebiete an das Osmanische Reich ab. Türkische Truppen fallen in den Kaukasus ein und werden von armenischen Truppen gestoppt.

28. Mai 1918: Unabhängigkeitserklärung der Republik Armenien (1918-1920).

1920: Der Friedensvertrag von Sevres sieht einen unabhängigen armenischen, auch von der Türkei anerkannten Staat vor. Doch dazu kommt es nicht. Die Rote Armee besetzt die Republik Armenien, Machtübernahme der Sowjets.

1923: Der Friedensvertrag von Lausanne revidiert den Vertrag von Sevres zugunsten der Türkei. Ende Oktober wird die Türkische Republik ausgerufen, die sich große Teile des armenischen Stammlands einverleibt. Armenien ist faktisch wieder aufgeteilt, diesmal zwischen der Türkei und Sowjetrussland.

1936: Armenien wird auch förmlich Sowjetrepublik (bis 1991).

Dezember 1988: Im Erdbeben von Spitak werden mindestens 20.000 Menschen getötet und rund eine Million obdachlos.

September 1991: Unabhängigkeitserklärungen der zweiten Republik Armenien und der mehrheitlich von Armeniern bewohnten „Republik Berg-Karabach“. Letztere gehört jedoch völkerrechtlich zum benachbarten Aserbaidschan.

1992-1994: Krieg mit Aserbaidschan um die Region Berg-Karabach

2017: Die „Republik Berg-Karabach“, die bislang international von keinem UN-Mitgliedstaat anerkannt ist, nennt sich fortan „Republik Arzach“.

April 2018: Sturz der langjährigen autoritären Regierung von Sersch Sargsjan durch eine „samtene Revolution“.

September 2020 und September 2022: Wiederaufflammen der Gefechte um Berg-Karabach

kna