Neue schwere Vorwürfe gegen Kardinal Woelki – und das von einer früheren Mitarbeiterin. Hat er gelogen? Oder hat er die Wahrheit gesagt, aber damit gezeigt, dass ihn die Aufarbeitung von Missbrauch nicht interessiert?
Köln – Die Kritik am Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki reißt nicht ab. Jetzt kommt erneut ein Einwurf: Und zwar aus dem internen Kreis der Bistumsverwaltung. Eine ehemalige Assistentin des Personalchefs wagt sich mit brisanten Aussagen über den Erzbischof in die Öffentlichkeit.
Eine ungewöhnliche Vorgehensweise, zumal die nach wie vor im Erzbistum Beschäftigte mögliche arbeitsrechtliche Konsequenzen riskiert. Indes: Es ist nicht der erste Vorgang dieser Art. „Ich habe es nicht mehr ausgehalten“, sagt Hildegard Dahm im Interview des Kölner Stadt-Anzeiger.
Inhaltlich geht es um die Frage: Wann wusste Woelki was über die Missbrauchsvorwürfe gegen den 2019 verstorbenen langjährigen Sternsinger“-Präsidenten Winfried Pilz? Und hat der Kardinal vielleicht einen Meineid geleistet? Das Erzbistum Köln meldete die lange bekannten Anschuldigungen gegen den Priester erst in der zweiten Juni-Hälfte 2022 an das Bistum Dresden-Meißen, wo der Priester jahrelang seinen Ruhestand verbracht hatte und in der Gemeindeseelsorge tätig war.
Kritiker sehen hier eine Dienstpflichtverletzung durch Woelki, was dieser zurückweist. In einer eidesstattlichen Versicherung in einem presserechtlichen Verfahren gegen die „Bild“-Zeitung betonte der Erzbischof, er sei persönlich erst ab der vierten Juni-Woche 2022 mit dem Fall des prominenten Geistlichen befasst gewesen.
An dieser Darstellung rüttelt Dahm. Es sei „nicht wahr“, dass Woelki erst jetzt mit dem Fall befasst gewesen sei. Bereits 2015 habe sie eine Liste mit den Namen von 14 Priestern erstellt, denen Missbrauch angelastet wird. Darunter sei auch der Name Pilz gewesen. Ihr Vorgesetzter habe diese Liste zu einem Termin mit Woelki mitgenommen.
Allerdings ist damit immer noch nicht klar, ob der Erzbischof damals wirklich Kenntnis von dem Fall bekam. Denn nach der Sitzung habe sie von ihrem damaligen Chef wissen wollen, wie Woelki auf die Liste reagiert habe. „Das hat den Kardinal überhaupt nicht interessiert“, habe ihr Vorgesetzter geantwortet. Gleichwohl legt die Ex-Mitarbeiterin Wert auf die Festellung: „Mag sein, dass er sich das Blatt mit Pilz und den anderen 13 Namen nicht angeschaut hat. Aber befasst habe ich ihn damit. Ganz eindeutig.“
Die Aussagen der Mitarbeiterin bleiben auch bei der Staatsanwaltschaft nicht ungehört. Nachdem drei Priester Zweifel an Woelkis Darstellung in der Causa Pilz bekundet und ihn wegen möglichen Meineids angezeigt hatten, prüfte die Behörde, ob sie Ermittlungen gegen den Erzbischof aufnimmt. Ende September lehnte sie dann wegen fehlender hinreichender Anhaltspunkte Ermittlungen ab. Nun, nach dem Interview der Mitarbeiterin, erklärte sie erst, sie wolle den Fall erneut prüfen. Und schon wenige Stunden später kam der Hinweis, die Behörde nehme tatsächlich Ermittlungen auf.
Das Erzbistum wies am Mittwochabend die Vorwürfe Dahms als unbegründet zurück und bekräftigte, dass Woelki erst im Juni vom Fall Pilz erfahren habe. Auch Dahm selbst wisse ja gar nicht, „ob der Kardinal diese, eine andere oder gar keine Liste gesehen hat, behauptet dieses aber einfach ins Blaue hinein“. Ihr werden nun arbeitsrechtliche Schritte angedroht. Woelkis Sprecher Jürgen Kleikamp äußerte die Vermutung, vor dem Besuch der deutschen Bischöfe kommende Woche in Rom solle Woelki „an den Pranger gestellt“ werden.
Neben der rechtlichen Dimension steht – wieder einmal – die Frage in Raum, ob der Erzbischof moralisch-ethisch korrekt gehandelt hat. Oder anders formuliert: Ist er wirklich der große Vorreiter in Sachen Aufklärung und Aufarbeitung von Missbrauch, als der er sich gerne darstellt?
Warum hat er sich etwa 2015, wenige Monate nach seinem Amtsantritt in Köln, trotz der Hinweise aus seiner Mitarbeiterschaft nicht näher mit dem Fall Pilz beschäftigt? Ein Jahr zuvor hatte Woelkis Vorgänger, Kardinal Joachim Meisner, dem prominenten Geistlichen wegen Missbrauchs eines schutzbedürftigen Erwachsenen eine Geldstrafe auferlegt und ihm den Kontakt zu Minderjährigen ohne Anwesenheit weiterer Erwachsener verboten.
Der Vorsitzende der Unabhängigen Aufarbeitungskommission für den sexuellen Missbrauch im Erzbistum Köln, der Kölner Verfassungsrechtler Stephan Rixen, findet deutliche Worte. Alle bisher bekannten Indizien und vor allem die Angaben der Mitarbeiterin sprächen dafür, „dass es in der Führungsspitze des Erzbistums mindestens eklatante Versäumnisse, wenn nicht ein bewusstes Wegschauen und Vertuschen gegeben hat“, so der Verfassungsrechtler im KSTA.
Ähnliche Fragen stellen sich im Fall eines 2017 beförderten Priesters. Ebenfalls in einer eidesstattlichen Versicherung räumte Woelki zwar ein, damals von einem Jahrzehnte zurückliegenden Kontakt des Pfarrers mit einem Prostituierten und sonst nur von Gerüchten über weitere Beschuldigungen gehört zu haben. Angesichts dessen finden es Beobachter jedoch wenig realistisch oder grob fahrlässig, dass der Erzbischof, wie er beteuert, nicht in die Personalakte schaute und stattdessen den Aussagen anderer vertraute, an den Gerüchten sei nichts dran.
Unterdessen kämpft Woelki auch an anderer Stelle weiter um seine Glaubwürdigkeit und wirbt bei den Verantwortlichen in der Erzdiözese um Mitarbeit. 53 von 75 Mitgliedern seines obersten Beratungsgremiums, des Diözesanpastoralrats, blieben Anfang September aus Protest einer Sitzung fern. An diesem Wochenende steht das nächste Treffen an. Im Vorfeld schrieb Woelki einen Brief an die Mitglieder. In dem der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) vorliegenden Schreiben stellt er sich als Opfer einer „permanenten Skandalisierung“ dar. Der Kardinal: „Ich habe keine Meineide abgegeben. Ich vertusche das Missbrauchsgeschehen in unserem Erzbistum nicht.“