Wenn ein -ismus in Form einer Ideologie auftaucht, ist Vorsicht geboten – zum Beispiel beim Rechtspopulismus. Eine Tagung hat sich nun mit dem Phänomen in Verbindung mit Religionsfreiheit beschäftigt: Zur Gefahr rechtspopulistischer Vereinnahmung von Religionen.
Aachen/Berlin – Sie wollen das „christliche Abendland“ retten, sehen in Donald Trump den Verfechter einer göttlichen Botschaft oder interpretieren den Kölner Muezzinruf als Untergang des Christentums in Europa. Der „moderne Populist“ versuche sich die Religion nicht zum Feind, sondern zum „vorgeblichen Weggefährten“ zu machen. So formulierte es der katholische Theologe Gregor von Fürstenberg vom Hilfswerk missio Aachen zu Beginn einer hochkarätig besetzten Online-Konferenz zu Populismus und Religionsfreiheit.
Für den gefährlichen Schulterschluss zwischen Religionsvertretern und Rechtspopulisten müsse man gar nicht über den Atlantik – etwa in die USA oder nach Brasilien – schauen, ergänzte die Osteuropa-Expertin Regina Elsner: Es reiche der Blick auf Deutschland, die EU und Russland. Aktuell zeige insbesondere die Russisch-Orthodoxe Kirche, wie vermeintlich christliche Werte zum Vorwand für illiberale Politik werden könnten.
Als angebliche Verteidigerin des wahren Glaubens legitimiere die russische Orthodoxie den Krieg gegen die Ukraine. Russland komme dabei die Rolle des Erlösers in einem apokalyptischen Kampf zu. Vom Himmel gefallen sei diese Allianz nicht, fügte die Theologin hinzu: Schon zur Sowjetzeit sei die Verbindung zwischen Kirchenleitung und Regime eng gewesen. Und bis heute überdauere auf Leitungsebene die Inszenierung als verfolgte Kirche, die das wahre Christentum verteidige – ohne als Leitung selbst eine authentische Verfolgungserfahrung zu haben.
Hier zum Beispiel komme dann auch die Religionsfreiheit ins Spiel, die von Rechtspopulisten gerne als Vorwand für die eigene Agenda genutzt werde, betonte die Theologin Anja Middelbeck-Varwick. Sie hinterfragte in dem Zusammenhang, ob es etwa bei den Debatten um den Bau der Kölner Zentralmoschee und zuletzt um den Muezzinruf tatsächlich um Religionsfreiheit und somit um rechtliche Einwände ging und geht. In zahlreichen anderen deutschen Orten rufe der Muezzin schon länger, ohne dass es solche Streitigkeiten gebe.
Ihrer Ansicht nach dreht sich der öffentliche Diskurs – unabhängig von manch berechtigter Kritik am Moscheeverband Ditib und dessen Verhältnis zum türkischen Staat – häufig im Kern darum, „welche Rolle die Religion einer Minderheit in der Öffentlichkeit einnehmen darf“. Und der Islam habe in Deutschland insgesamt eine schwierige Position; Musliminnen und Muslime litten häufig unter Diskriminierungen im Alltag.
Menschenrechtsexperte Heiner Bielefeldt, der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit, erläuterte in dem Zusammenhang, dass es beim in den Menschenrechten verankerten Recht auf Religionsfreiheit nicht – wie oft missverstanden – in erster Linie um den Schutz der Religion gehe. Im Zentrum stehe nicht die Glaubensgemeinschaft, sondern der einzelne Mensch – und damit auch der Schutz der Minderheit, der vulnerablen Gruppen und ihrer freien Religionsausübung.
In der Praxis aber, so die Fachleute weiter, werde Religionsfreiheit häufig von Rechtspopulisten vorgeschoben, wenn sie helfe, die eigene Vormacht zu stützen. Das für die eigene Gemeinschaft beanspruchte Recht werde dabei anderen nicht in gleicher Weise zugesprochen. Der Rechtspopulismus, der im Gegensatz zum Rechtsextremismus weniger eine geschlossene Ideologie bezeichnet, vertrete als politische Strategie autoritäre Vorstellungen und konstruiere eine Gruppe, die sich klar von anderen abgrenzt – auch durch religiöse Merkmale.
So forderte denn auch der Beauftragte der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Frank Schwabe (SPD), die Entlarvung solcher Populismen. Sonst werde Religion am Ende „wirklich weltweit in ganz unterschiedlichen Systemen der Treiber für Unfreiheit“. Vermenge man – auch religiös begründete – ideologische Abgrenzungen und einfache Wahrheiten mit rechtspopulistischen Ansichten, entstehe „eine ganz, ganz gefährliche Melange, die am Ende dazu geeignet ist, Demokratien in Diktaturen zu verwandeln“.
Über die Tagung hinaus, die von missio Aachen und der Deutschen Kommission Justitia et Pax organisiert wurde, stellen sich in diesem Zusammenhang allerdings noch weitere Fragen: Zum einen in Richtung Auswärtiges Amt. Wenn den Religionen ein so hoher Stellenwert im Kampf gegen Rechtspopulismus zukommt – warum wurden dann im Außenministerium die Verträge mit Beratern aus den Religionen nicht verlängert? Und warum kann auch die große internationale Religionskonferenz in Lindau wegen mangelnder Unterstützung nicht mehr stattfinden?
Die zweite Rückfrage geht an die Religionen selbst: Ist Rechtspopulismus nur ein Problem, das von außen an sie herangetragen wird? Sozialethiker und Theologe Andreas Lob-Hüdepohl warnte vor teils „massiven“ rechtspopulistischen Tendenzen in der römisch-katholischen Kirche. Solche Positionen missbrauchten die Religionsfreiheit, um Ausgrenzung bestimmter Personengruppen zu legitimieren. Man denke etwa an Homosexuelle oder Menschen mit einer anderen Geschlechtsidentität als Mann oder Frau.
Bei künftigen Debatten sollte daher nicht nur danach gefragt werden, welche Strategien Rechtspopulisten anwenden, um vorgebliche religiöse Argumente für das eigene Denken zu vereinnahmen. Es muss auch gefragt werden, welche Strukturen in den Religionen selbst angelegt sind, die eine solche Vereinnahmung zulassen oder gar stützen.