Thomas Söding: Frontalangriff gegen Synodalen Weg ist gescheitert

Beim Ad-limina-Besuch der deutschen Bischöfe in Rom ist es zur Sache gegangen. Deshalb sollen die Konflikte, die zutage getreten sind, auch sachlich diskutiert werden. Ein Gastbeitrag vom Thomas Söding.
Thomas Söding: Frontalangriff gegen Synodalen Weg ist gescheitertBeim Ad-limina-Besuch der deutschen Bischöfe in Rom ist es zur Sache gegangen. Deshalb sollen die Konflikte, die zutage getreten sind, auch sachlich diskutiert werden. Nicht nur die Kurienkardinäle Pietro Parolin, Luis Ladaria und Marc Ouellet, auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, und viele Mitglieder der Delegation aus Deutschland haben Klartext gesprochen. Deshalb tut Aufklärung not: Wo kommt der Dissens zum Ausdruck? Wo liegen seine Wurzeln? Wie kann er überwunden werden? Mit welchen ungelösten Konflikten wird die katholische Kirche zu leben lernen müssen?  Der Vatikan hat die Kritik von zwei wichtigen Kurienkardinälen am deutschen Synodalen Weg im Wortlaut veröffentlicht. Die Reden hatten der Präfekt des Glaubens-Dikasteriums, Luis Ladaria, und der Präfekt des Dikasteriums für die Bischöfe, Marc Ouellet, am vergangenen Freitag in Rom den deutschen Bischöfen in Abwesenheit des Papstes in einer internen Debatte vorgetragen. Nach den Erkenntnissen aus dieser Veröffentlichung äußert sich der Theologe Thomas Söding als einer der führenden deutschen Laienvertreter in einem Gastbeitrag für das Neue Ruhrwort zu Wort. Bislang hatten sich ausschließlich die deutschen Bischöfe zu den Ergebnissen ihres Ad-limina-Besuchs im Vatikan 

Thomas Söding bei der vierten Synodalversammlung des Synodalen Weges im Congress Center Messe Frankfurt. –Foto: Synodaler Weg/Maximilian von Lachner

Der Vatikan hat die Kritik von zwei wichtigen Kurienkardinälen am deutschen Synodalen Weg im Wortlaut veröffentlicht: Die Reden hatten der Präfekt des Glaubens-Dikasteriums, Luis Ladaria, und der Präfekt des Dikasteriums für die Bischöfe, Marc Ouellet, am vergangenen Freitag in Rom den deutschen Bischöfen in Abwesenheit des Papstes in einer internen Debatte vorgetragen. Nach den Erkenntnissen aus dieser Veröffentlichung bewertet der Theologe Thomas Söding als einer der führenden deutschen Laienvertreter in einem Gastbeitrag für das Neue Ruhrwort die Position der Kurie. Bislang hatten ausschließlich die deutschen Bischöfe über die Kontroverse in der nicht öffentlichen Debatte ihres Ad-limina-Besuchs im Vatikan sprechen können. 

Ein Gastbeitrag von Thomas Söding

Beim Ad-limina-Besuch der deutschen Bischöfe in Rom ist es zur Sache gegangen. Deshalb sollen die Konflikte, die zutage getreten sind, auch sachlich diskutiert werden. Nicht nur die Kurienkardinäle Pietro Parolin, Luis Ladaria und Marc Ouellet, auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, und viele Mitglieder der Delegation aus Deutschland haben Klartext gesprochen. Deshalb tut Aufklärung not: Wo kommt der Dissens zum Ausdruck? Wo liegen seine Wurzeln? Wie kann er überwunden werden? Mit welchen ungelösten Konflikten wird die katholische Kirche zu leben lernen müssen? 

Die Deutsche Bischofskonferenz wird in Prag ein Zeichen setzen

Vieles ist gut gelaufen beim Ad-limina-Besuch. Der Frontalangriff gegen den Synodalen Weg ist gescheitert – auch weil der Papst sich nicht hat instrumentalisieren lassen. Das „Moratorium“, das den Weg beendet hätte, ist abgewendet worden. Die deutschen Bischöfe sind nicht eingeknickt. Der Vorsitzende hat klargemacht, dass große Teile der Kirche, die den Synodalen Weg tragen, beim Ad-limina-Besuch nicht vertreten sind. Die Vorstellung, ausschließlich die Bischöfe repräsentierten die Ortskirchen, ist in Frage gestellt worden. Neue Formen der partizipativen Kommunikation zu finden, ist hoch an der Zeit. Bei der europäischen Synodalversammlung in Prag wird die Bischofskonferenz ein Zeichen setzen und ihre vier Plätze nicht nur mit Bischöfen besetzen. Die römische Synode heißt nicht mehr Weltbischofssynode, sondern Weltsynode. 

Die Veröffentlichung der kardinalen Interventionen hat allen, die lesen können, gezeigt, dass der Vatikan keineswegs ein geschlossener Block ist. Neben spärlichem Lob ist sowohl vom Präfekten der Glaubenskongregation als auch vom Präfekten der Bischofskongregation deutliche Kritik an Form und Inhalt des Synodalen Weges in Deutschland geäußert worden. Selbstkritik der Kurie? Fehlanzeige! Aber während Luis Ladaria auf vornehme Art „Bedenken“ äußert, erhebt Marc Ouellet mit Verweis auf die Heilung des Gelähmten durch Petrus an der Schönen Pforte des Jerusalemer Tempels (Apg 3,1-10) kaum verholen den Vorwurf, die Deutschen hätten zwar Gold und Silber zuhauf, aber keinen starken Glauben an Jesus Christus.

Er malt das Schreckgespenst eines Schismas an die Wand; er beschwört die Gefahr der Spaltung; er macht den Bischöfen den Vorwurf, ihr Amt nicht richtig wahrzunehmen. In der Sache sind es vor allem drei Differenzen, die aufgearbeitet werden müssen: der Stellenwert des Machtmissbrauchs in der Selbstkritik und Reformagenda der katholischen Kirche, die Möglichkeit der Weiterentwicklung der kirchlichen Lehre, auch im Sinn einer Veränderung, und die Rolle der Bischöfe im Ganzen des Volkes Gottes. 

Für den Synodalen Weg in Deutschland ist die MHG-Studie entscheidend

Erstens: Für den Synodalen Weg in Deutschland ist die MHG-Studie entscheidend. Sie besagt, dass es nicht nur viel zu viele Einzelfälle gibt, in denen Geistliche ihre Macht missbraucht haben, sondern dass es ein Systemproblem der katholischen Kirche gibt, das einerseits die Taten begünstigt und andererseits ihre Vertuschung gefördert hat. Diese Analyse systemischer Zusammenhänge ist inzwischen überall dort bestätigt worden, wo der „Missbrauchsskandal“ wissenschaftlich untersucht worden ist, nicht nur in Deutschland. Dass 2018 alle chilenischen Bischöfe dem Papst ihren Rücktritt angeboten haben, zeigt überdeutlich, wie groß das Problem ist – weltweit. Aber in dem Bild, das die beiden Präfekten zeichnen, kommen nur Einzelfälle vor, die es strikt zu sanktionieren gelte.

Tatsächlich kann das systemische nicht das persönliche Versagen der Täter und der pastoral Verantwortlichen entschuldigen. Aber es wäre verheerend, sollte die Kurie der letzte Ort in der Kirche sein, der nicht begriffen hätte, wie ernst die Lage ist. Sicher hat der Präfekt der Glaubenskongregation darin recht, dass die Auseinandersetzung mit dem „Missbrauch“ nicht dazu verführen darf, die Kirche nur noch als Machtinstrument zu begreifen.Das wäre schon deshalb ein Fehler, weil die Betroffenen selbst ein Teil der Kirche sind. Der Grundtext „Macht und Gewaltenteilung“, der verbindlich beschlossen ist, besagt, dass sie „die Stimme Christi vernehmbar“ machen. „Ihr Schrei ist ein besonderer ‚Locus theologicus‘ für unsere Zeit.“

Aus demselben Grund kann aber die Systemfrage nicht abgewiesen werden: Mehr Transparenz und Kontrolle, mehr Rechenschaft, mehr Teilhabe sind eine zwingende Konsequenz der überfälligen Aufarbeitung. Sie ergibt sich auch, wenn das Zeugnis von Schrift und Tradition konsequent eingeholt wird. Es wird für den Synodalen Weg der Weltkirche entscheidend sein, ob sich der Präfekt der Bischofskongregation mit seiner Meinung durchsetzt, dass „die äußerst gravierende Angelegenheit der Missbrauchsfälle ausgenutzt wurde, um andere Ideen durchzusetzen, die nicht unmittelbar damit zusammenhängen“, oder ob es tatsächlich eine Veränderung des klerikalistischen Machtsystems in der katholischen Kirche gibt. 

Weltsynode bietet die Chance, für den Zugang von Frauen zu Weiheämtern

Zweitens: Luis Kardinal Ladaria markiert präzise zwei Punkte, an denen es zu Spannungen zwischen der herrschenden Lehre und den Voten kommt, die auf dem Synodalen Weg in Deutschland an die Weltkirche, damit auch an den Papst und das Bischofskollegium adressiert sind. Diese Spannungen brechen bei wichtigen Aspekten der kirchlichen Sexuallehre und bei der Zulassung von Frauen zum Priesteramt auf. (Die Frage des Zugangs zum Diakonat wird nicht angesprochen.)  Die deutsche Synodalversammlung appelliert, die Schlüssigkeit und Autorität der herrschenden Lehre zu überprüfen, um Veränderungen vorzunehmen. Wie die Befragung des Gottesvolkes auf der ganzen Welt ergeben haben, steht sie damit nicht alleine. Die Reaktion des Präfekten der Glaubenskongregation ist differenziert. 

In der Frage der Sexualethik hat er die synodalen Texte so gelesen, dass sie zu wenig die „Bewahrung des konstitutiv Leben empfangenden und weitergebenden Charakters des Menschen“  betont hätten; hier lässt sich gut zeigen, dass alles, was für eine neue Sicht auf gleichgeschlechtliche, selbstbestimmte, personal verantwortete Sexualität in der Synodalversammlung ausgeführt wurde, weil die kirchliche Lehre hier nur Verbote und Leerstellen kennt, nicht im mindesten eine Herabsetzung oder Relativierung der Ehe und des Familienlebens mit Kindern bedeutet.

In der Frauenfrage verweist der Kardinal auf die formale Autorität von „Ordinatio Sacerdotalis“, die Erklärung Johannes Paul II., die Kirche habe „keine Vollmacht“, Frauen zu Priestern zu weihen. Das Votum aus Deutschland, verbindlich beschlossen, lautet, die Kirche möge die Autorität und Triftigkeit der Argumente überprüfen. Mit einer reinen Wiederholung des bereits Gesagten ist es also nicht getan, auch wenn Marc Kardinal Ouellet behauptet, es handele sich um eine „endgültige Entscheidung“. Auch an diesem Punkt bietet die Weltsynode die Chance, die These zu überprüfen, ob der Zugang von Frauen zu Weiheämtern wirklich nur nach der herrschenden Meinung des Westens oder nicht vielmehr nach sehr weit verbreiteter Glaubensüberzeugung des Kirchenvolkes geöffnet werden soll. 

Bischöfe, die Verantwortung für Ortskirchen haben, müssen Volkes Stimme zu Gehör bringen

Drittens: Zu den besonderen Aufgaben der Bischöfe gehört es, die Einheit im Glauben zu wahren. Das ist unstrittig. In seinem „Brief an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland“ von 2019, der auf dem Synodalen Weg von Anfang an sehr intensiv rezipiert worden ist, hat Papst Franziskus diese Aufgabe sowohl auf den Zusammenhalt mit der Weltkirche und Rom als auch auf den Zusammenhalt mit der Ortskirche, insbesondere den Armen und Marginalisierten bezogen. 

Der Präfekt der Bischofskongregation fasst aber nur die Einheit mit dem Bischöfen der Weltkirche ins Auge und scheint sie als Übereinstimmung mit der Kurie konkretisiert sehen zu wollen. Es gibt aber längst eine Abstimmung mit den Füßen gegen eine Kirche, die sich nicht bewegt. Wenn das Verbot sogenannter „künstlicher“ Empfängnisverhütung in einem Land wie Deutschland – aber bei weitem nicht nur dort – kaum  mehr messbare Zustimmungsquoten erfährt, liegt das Problem nicht beim „Zeitgeist“, sondern beim Lehramt.  So hat es die Studie der Internationalen theologischen Kommission über den Glaubenssinn des Gottesvolkes zu bedenken gegeben. Die Bischöfe, die Verantwortung für ihre Ortskirchen haben, müssen Volkes Stimme zu Gehör bringen, auch in Rom und in der ganzen Kirche; sonst üben sie ihr Amt nicht gut aus. Der Präfekt der Glaubenskongregation mahnt an, das Lehramt der Bischöfe nicht aufzuweichen. 

Der „Orientierungstext“ des Synodalen Weges zeigt, dass es hier keinen Widerspruch gibt. Das ordentliche und außerordentliche Lehramt der Bischöfe wird klipp und klar beschrieben; es wird allerdings auch vor Überspannungen bewahrt. Das Bild der „Orte“ und „Zeiten“, an und in denen die Wahrheit des Evangeliums erkannt werden kann, ist nicht das einer pharaonischen Pyramide mit dem magisterium auf der Spitze, sondern das eine Netzes, wie es die Fischer am See Genezareth gebraucht haben: Schrift, Tradition, Zeichen der Zeit, Glaubenssinn des Gottesvolkes, Lehramt und Theologie sind miteinander verknüpft – und können so der Evangelisierung dienen. 

Zu befürchten ist, dass die Kritiker des Synodalen Weges keine Ruhe geben

Die Karten liegen auf dem Tisch. Wie geht es weiter? Zu befürchten ist, dass die Kritiker des Synodalen Weges keine Ruhe geben. Es kann nur gehofft werden, dass der katholischen Kirche eine Zerreißprobe wie 1998 beim erzwungenen Ausstieg der Bischofskonferenz aus der Schwangerenkonfliktberatung erspart wird. Er würde nicht nur die Einheit der Kirche gefährden; er würde auch den Synodalen Weg der katholischen Weltkirche diskreditieren, der vielen Kurialen ohnedies ein Dorn im Auge zu sein scheint. Nicht zuletzt würde er Papst Franziskus beschädigen, der seinen Brief 2019 nicht geschrieben hat, um den Synodalen Weg in Deutschland zu stoppen, sondern um ihn zur Einheit mit der ganzen Kirche und zum Engagement in der Verkündigung des Evangeliums zu ermahnen. 

Die Vorbereitungen der Kontinentalsynoden haben eine Agenda, die dem Ernst der Lage entspricht. Jetzt kommt es darauf an, in einem aufmerksamen, geistlichen, lernbereiten Prozess des Hörens und Sehens, des Urteilens und Handelns hineinzugelangen, der entdecken lässt, was eine synodale Kirche auf katholisch ist. Der Synodale Weg in Deutschland ist ein Weg von vielen. Gemeinsam zu beraten und gemeinsam zu entscheiden, ist sein Markenzeichen. Er fordert, dass in den Bistümern die Hausaufgaben gemacht werden, zum Beispiel bei der Beteiligung des Kirchenvolkes an Bischofsbestellungen; und er fordert, dass sich die Kirche in Deutschland auf einen weltweiten Dialog einlässt, in dem sie nicht Recht haben, sondern mit allen der Gerechtigkeit Gottes dienen will. 

Thomas Söding

Zur Person: Thomas Söding

Der Theologe Thomas Söding lehrt an der Ruhruniversität Bochum Neutestamentliche Exegese und ist Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK). Der 66-jährige Lehrstuhlinhaber ist Mitglieds des  Synodalpräsidium, das die Versammlungen des Synodalen Wegs vorbereitet.

Stichwort: Ad-limina-Besuch

Alle fünf bis sieben Jahre sind die katholischen Bischöfe aus aller Welt laut Kirchenrecht zu einem sogenannten Ad-limina-Besuch im Vatikan verpflichtet. Zweck ist, dass die Bischöfe eines Landes den Papst über die Situation in ihren Diözesen informieren. Neben den Gesprächen mit dem Papst sind Treffen in den Vatikanbehörden vorgesehen.

Diese Besuche gehen auf traditionelle Reisen zu den Gräbern der Apostel Petrus und Paulus in Rom zurück, auf Lateinisch “Visitatio ad limina apostolorum” (Besuch an den Schwellen der Apostelgräber). Daraus entstand die Kurzformel „ad limina“. Auch heute noch sind Messfeiern an den Apostelgräbern im Petersdom und Sankt Paul vor den Mauern fester Bestandteil des Besuchsprogramms. Durchschnittlich machen sich jedes Jahr rund 500 Bischöfe auf den Weg in den Vatikan.