„Über den Wolken“ ist ein Lieblingslied der Deutschen. Reinhard Mey hat es 1974 geschrieben. Jetzt wird der Liedermacher 80. Und noch immer ist er auf Tournee.
Berlin – Sein Friedenslied wird derzeit wegen des russischen Kriegs in der Ukraine oft zitiert und gesungen: „Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht“ hat Liedermacher Reinhard Mey im Jahr 1986 geschrieben. „Kein Ziel und keine Ehre, keine Pflicht, sind’s wert dafür zu töten und zu sterben.“
Reinhard Mey will der Gesellschaft den Spiegel vorhalten
Im Frühjahr war Mey auch Erstunterzeichner eines Briefs, in dem Bundeskanzler Olaf Scholz aufgefordert wurde, keine Waffen an die Ukraine zu liefern. Und schon zu Beginn des Jahrtausends sang der Berliner zusammen mit Hannes Wader und Konstantin Wecker die Friedenshymne „Es ist an der Zeit“ über die Gräberfelder des Ersten Weltkriegs. Jüngst spendete er ohne großes Aufhebens die Gage eines Konzertes.
Aktivist ist Reinhard Mey trotzdem nicht, auch nicht auf seiner Städte-Tour im Jahr 2022. Immer wieder breitet der Liedermacher bei seinen Konzerten sein Innerstes aus, Privates, Alltägliches, Witziges wie Weinerliches. „Ich habe Euch mein Leben in meinen Liedern erzählt, Ihr wisst alles von mir“, schrieb er einmal auf seiner Homepage. Als „Poet des Alltags“ wird er portraitiert. Am 21. Dezember wird der unermüdliche Barde 80 Jahre alt.
Seine Titel sind stark vom französischen Chanson beeinflusst
Mey will als kritischer Liedermacher der Gesellschaft den Spiegel vorhalten. Und das entweder mit spöttischer Ironie – etwa bei der „Schlacht am kalten Buffet“ – oder mit leiser Melancholie, wie in der Ballade „Kaspar“ über Kaspar Hauser. Meist herrschten die leisen Töne vor.
Seine Titel sind stark vom französischen Chanson beeinflusst. Mey steht für das Infragestellen von Autoritäten, setzt sich für den Tierschutz ein. Für manche aus der Generation der 68er allerdings wirkte er – im Vergleich etwa zu Wader oder Wecker – zu weich gespült und zu gefühlig. „Nichtssagender Schnurrenerzähler“ oder „Heintje für geistig Höhergestellte“, so die Vorwürfe.
Er „wollte wie Orpheus singen“
Seine Lieder sind seine Biografie: So erzählte er, dass er in Berlin geboren wurde „als die letzten Bomben fielen“, dass er in der Schule „ein faules Stück“ war und nach dem französischen Abitur und einer Lehre als Industriekaufmann zur Musik kam „wie die Jungfrau zum Kind“. Er „wollte wie Orpheus singen“ – sein erstes Chanson, das 1964 erschien. Und er schenkte seine Lieder an die „Mädchen in den Schenken“, an „Annabelle“ oder an „Christine“ – mit einer Christine war er von 1967 bis 1976 verheiratet. Den Durchbruch brachte ihm 1971 der Song „Der Mörder ist immer der Gärtner“.
Auch den Tod hat Reinhard Mey mehrfach besungen – den Abschied von einem Freund in „Schade, dass Du gehen musst“ und das eigene Sterben in „Wie ein Baum, den man fällt“. Friedhöfe hat er von Kindheit an geliebt. Die Suche nach einer letzten Ruhestätte beschrieb er als „eine Lebensaufgabe“, der „ich mich schon lange und mit Hingabe widme“.
Den Tod hat Reinhard Mey mehrfach besungen
„Das Leben hat mich mit Geschenken überhäuft, mit Glück und Liebe überschüttet und, wie um Gleichgewicht und Gerechtigkeit wiederherzustellen, auch mit dem größten Schmerz“, schrieb Mey auf seiner Internetseite. Gemeint war Sohn Maximilian, der seit 2009 nach einer Lungenentzündung im Wachkoma lag und der 2014 im Alter von 32 Jahren starb.
Mehr als 500 Lieder umfasst das Werk des Frankophilen (die Franzosen kennen ihn als Frederik Mey), der damit zu den produktivsten Liedermachern Deutschlands gehört. Mehr als 1.300 Konzerte hat er gesungen, 28 deutsche Studienalben und 18 deutsche Livealben hat er aufgenommen. Wenn er auf Tournee gehe, beginne er sechs Monate vorher, jeden Abend das komplette Konzert durchzuspielen. „Ich möchte in keinem einzigen Lied einen Hänger haben.“ Mehr als fünf Millionen Tonträger hat er verkauft – am bekanntesten dürften wohl der Titel „Gute Nacht Freunde“ von 1972 und sein Evergreen „Über den Wolken“ von 1974 sein.
„Über den Wolken“ handelt von der Freiheit
Mit letzterem verband der begeisterte Flieger eine besondere Geschichte: 1989 hatte er endlich von den DDR-Behörden die Erlaubnis erhalten, in Dresden zu singen. Nach seiner Anreise am 7. November 1989 wurde ihm untersagt, „Über den Wolken“ zu singen, da das Wort von der grenzenlosen „Freiheit“ nicht gewünscht sei. Die Aufzeichnung des Konzerts fand am 11. November 1989 statt. Da war die Mauer seit zwei Tagen offen. Und es wurde möglich, sowohl „Über den Wolken“ als auch „Gute Nacht, Freunde“ vorzutragen – beide handeln von der Freiheit.