Die Armenier sind eines der ältesten christlichen Völker und seit langem bedroht. Ein Jahrzehnte alter Konflikt mit Aserbaidschan um Berg-Karabach flammt erneut auf. Die Deutsche Bischofskonferenz fordert Konsequenzen.
Jerewan/Bonn – Seit dem Zerfall der Sowjetunion schwelen im postsowjetischen Raum Konflikte um Gebietsansprüche und die nationale Zugehörigkeit früherer autonomer Gebiete. Mit besonderer Aggressivität geht seit Monaten Aserbaidschan gegen armenische Interessen vor. Erst Ende September griff der Nachbar armenisches Kernland an, nun wird seit 12. Dezember der Latschin-Korridor durch angebliche „Umweltaktivisten“ blockiert.
Die einzige Straße, die das zu Aserbaidschan gehörende Berg-Karabach mit Armenien verbindet, ist lebenswichtig für die Versorgung des Gebiets. Nun sind rund 120.000 Menschen in der mehrheitlich von Armeniern bewohnten Enklave isoliert. Es droht eine humanitäre Katastrophe, die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten ist ebenso unterbrochen wie der Personenverkehr. Selbst Kinder- und Jugendliche können nicht zu ihren Familien zurückkehren, berichtet Human Rights Watch.
Der neu aufflammende Konflikt steht in einer langen Reihe von Auseinandersetzungen. Das weitgehend von Armeniern besiedelte Gebiet von Berg-Karabach unterstand einst armenischen Fürsten, ehe es Anfang des 19. Jahrhunderts an das russische Zarenreich fiel. Nach der Oktoberrevolution wurde das Gebiet aufgeteilt. 1923 fiel ein Teil an die aserbaidschanische Sowjetrepublik, das Kernland wurde ein autonomer Bezirk mit kultureller Autonomie und zumindest theoretischer Eigenstaatlichkeit.
1988 stellte das damals Autonome Gebiet Berg-Karabach den Antrag, von der Unionsrepublik Aserbaidschan zur Unionsrepublik Armenien zu wechseln. 1992 wurde die „Republik Berg-Karabach“ ausgerufen. Sie ist allerdings diplomatisch von keinem Staat anerkannt – auch nicht von Armenien. Die seither schwelende Krise mit mehreren Zehntausend Toten gilt als Schlüsselkonflikt in der Region. Beide Seiten warfen sich in der Folge Völkermord vor.
Die Armenier verweisen dabei unter anderem auf anti-armenische Pogrome 1988 in der aserbaidschanischen Industriestadt Sumgait; die Aserbaidschaner beziehen sich auf Massaker in der Stadt Chodschali in Berg-Karabach, denen 1992 rund 600 Menschen zum Opfer gefallen sein sollen. 2020 kam es erneut zu einem Krieg um die Region, in dessen Folge Aserbaidschan die Kontrolle über weitere Teile der seit 2017 als „Republik Arzach“ bezeichneten abtrünnigen Region gewann. Und im September 2022 hat Aserbaidschan armenisches Kernland angegriffen – mit mehr als 200 Toten auf armenischer Seite und dokumentierten Kriegsverbrechen.
Brisanz gewinnt der Konflikt nicht zuletzt durch die enger werdende Bande zwischen der EU und dem autokratisch regierten Aserbaidschan. Durch die Energiekrise – nicht zuletzt durch den Angriff von Armeniens Schutzmacht Russland auf die Ukraine – muss der Bedarf an Gas, Öl und Elektrizität in der EU anderweitig gedeckt werden. Der energiereiche Verbündete der Türkei bringt sich hier ins Spiel und kann bei seiner aggressiven Außenpolitik offenbar auf Zurückhaltung in Berlin und Brüssel hoffen.
Der katholische „Auslandsbischof“ Bertram Meier fordert eine deutliche Verurteilung Aserbaidschans durch Deutschland und die EU. „Mit der Abriegelung des Gebiets um Berg-Karabach heizt Aserbaidschan den Konflikt weiter an“, sagte er der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Die neue Eskalationsstufe könne leicht zu einer humanitären Katastrophe in der Region führen, so der Bischof von Augsburg, der in der Deutschen Bischofskonferenz der Kommission Weltkirche vorsteht. Wörtlich sagte er, dass es einen „kraftvollen diplomatischen Einsatz für eine rasche Beendigung der Blockade“ brauche. Die EU dürfe „nicht nur in Sonntagsreden die Verbundenheit mit Armenien ausdrücken“. Sie müsse jetzt aktiv werden, um der Bevölkerung in Berg-Karabach zu helfen.
Auch der Bischof der armenisch-apostolischen Kirche in Deutschland, Serovpe Isakhanyan, kritisierte im KNA-Gespräch die Haltung des Westens. Es sei für ihn nicht nachvollziehbar, dass trotz der Blockade „die EU unter der aktiven Mitwirkung von EU-Kommissionspräsidentin Frau von der Leyen neue Verträge mit Aserbaidschan schließt, um von dort ‚Öko-Strom‘ zu beziehen, angeblich um unabhängiger von russischen Energielieferungen zu werden“. Es sei zudem offensichtlich, „dass Aserbaidschan alles unternimmt, der indigenen Bevölkerung von Berg-Karabach das Leben in ihrem eigenen Land unmöglich zu machen und sie zu vertreiben“. Daher solle die EU, statt Aserbaidschan zu unterstützen, diesem mit Sanktionen drohen, falls es die Blockade nicht umgehend beendet, so der Bischof.
Besorgnis löst bei dem Diaspora-Armenier abseits des Berg-Karabach-Konfliktes das Schicksal des Beobachtermandats der EU für die armenisch-aserbaidschanische Grenzregion aus. Es soll laut Medienberichten nicht verlängert werden. Die Mission war nach den letzten Auseinandersetzungen anberaumt worden. Beobachter befürchten bereits, dass aufgrund des europäischen Hungers nach Energie aus Aserbaidschan die westliche Unterstützung der kleinen Demokratie Armenien und der Interessen der Armenier in Berg-Karabach zum Erliegen kommt. Dann bliebe allein Russland als Schutzmacht ein Anwalt der Interessen der Armenier – doch auch die russischen Friedenstruppen in Berg-Karabach sind bislang nicht tätig geworden. In Armeniens Hauptstadt Jerewan wächst das Misstrauen in Partner in Ost und West.