Köln – Der Münsteraner Theologe Michael Seewald, warnt vor einer Legendenbildung um den verstorbenen Benedikt XVI.
Köln – Der Münsteraner Theologe Michael Seewald, warnt vor einer Legendenbildung um den verstorbenen Benedikt XVI. Dessen Umfeld, das auf Kritik am früheren Papst „oft dünnhäutig reagiert“ habe, bastele gerade an einer Sicht Benedikts als eines „verkannten und von seinen Kritikern böswillig missverstandenen Kirchenlehrers“, der „den Stürmen der Zeit getrotzt habe und deshalb umso heftiger von jenen, die dem Zeitgeist verfallen seien, angegriffen werde“, sagte Seewald dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Mittwoch).
Der Theologe Joseph Ratzinger und spätere Papst Benedikt XVI. sei sicher „einer der bedeutendsten Theologen des 20. Jahrhunderts“, betonte sein Nachnachfolger auf dem Lehrstuhl für Dogmatik an der Universität Münster: „Darüber sind sich seine Freunde wie seine Gegner einig.“ Von 1963 bis 1966 leitete Ratzinger diesen Lehrstuhl.
Langfristig werde das Werk eines Denkers dadurch gewürdigt, „dass man es kritisiert und somit zeigt, dass man ihn ernst nimmt“, fügte Seewald hinzu. Das werde auch bei Benedikt XVI. so sein.
Die Größe des jungen Theologen Ratzinger lag nach Ansicht des Theologen in einer Dynamisierung von Begriffen wie Dogma, Tradition oder Offenbarung. Damit habe er einen breiten Spielraum eröffnet, „den die Kirche für Reformen hätte nutzen können“. Im Lauf der Jahre habe sich Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation und erst recht als Papst aber immer weiter auf die Seite von Eingrenzung und Regulierung geschlagen. Er habe das neuzeitliche Denken vorwiegend als Angriff auf den Glauben wahrgenommen und sei dadurch in eine „dauernde Verteidigungshaltung“ gekommen.
Kirchenpolitisch habe es „zweifellos Brüche in Ratzingers Denken“ gegeben, ergänzte der Theologe: „Zum Beispiel hat er 1970 ein Memorandum unterzeichnet, das den damaligen Papst Paul VI. für sein Festhalten am Pflichtzölibat der Priester massiv kritisierte und die Möglichkeit verheirateter Priester ins Spiel brachte. Davon wollte Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation und später dann als Papst nichts mehr wissen.“
Die „Tragik“ von Benedikt XVI. bestehe auch darin, „dass viele seiner heutigen Verehrer ihm applaudieren, weil sie seine kirchenpolitischen Schlussfolgerungen gut finden“. Als Theologe und als Papst habe dieser die Vernunft immer hochgehalten, so Seewald weiter: „Das ist ein großes Verdienst. Wenn man genau hinschaut, bleibt aber oft unklar, was er unter Vernunft genau versteht.“ Am Ende dränge sich oft der Eindruck auf, dass die Vernunft für Ratzinger „doch eine Art Unterfunktion des Glaubens gewesen sein könnte. Mir ist in seinem Werk jedenfalls keine Stelle aufgefallen, wo die Vernunft sich dazu hätte aufschwingen dürfen, bestimmte Zustände in der Kirche oder gar die Lehre der Kirche zu kritisieren.“