Ob Matjes, Rollmops oder als Salat: Seit langem gehört Hering zu den beliebtesten Speisefischen hierzulande. Das hat seine guten Gründe. Und die Geschichte des Meeresbewohners ist noch lange nicht auserzählt.
Silbern glänzt der Fisch, wie Bernstein schimmert das Bier im Krug. Was der niederländische Maler Joseph de Bray 1657 auf seinem Gemälde anrichtete, lässt wohl auch heute noch manchem Zeitgenossen das Wasser im Munde zusammenlaufen. Sein Stillleben veredelte de Bray mit einem aufgeschlagenen Buch. Oben auf der Seite, gut lesbar für den Betrachter, das „Lobgedicht auf den Pökelhering“ aus der Feder des Dichters und Arztes Jacob Westerbaen.
„Nimm ihn gebraten oder roh / Und ausgenommen sowieso“, schwärmt Westerbaen. „Und dazu dann ein Stück / Mit Butter fett und dick / Vom Roggenbrot zum Schmause.“ Der Fisch will schwimmen, weiß der Mediziner, und rät zu „Bredas, auch Haarlems Sud / Und Bier aus Delfter Schänken“. Die Pinselstriche de Brays und die Reime Westerbaens führen vor Augen: Bereits vor Jahrhunderten schätzten die Menschen den Hering. Nicht nur wegen des Geschmacks, sondern auch aus religiösen Gründen.
Der „wichtigste Fastenfisch Europas“ war der Hering
Worum es ging, illustrierte auf deftige Weise ein berühmter Vorgänger de Brays, Pieter Breughel der Ältere. In seinem Gemälde „Der Kampf zwischen Fasching und Fasten“ tritt ein offensichtlich angeheiterter König Karneval auf einem Weinfass reitend zum Lanzenstechen gegen Prinz Fastenzeit an. Der wiederum verströmt den eher spröden Charme eines Stockfischs und streckt seinem Widersacher kraftlos eine Brotschaufel mit zwei Heringen entgegen.
Für Christen kam an Fastentagen – und das waren beileibe nicht nur die rund sechs Wochen zwischen Karneval und Ostern – Fisch auf den Tisch. Und „der wichtigste Fastenfisch Europas“ war der Hering, wie Historiker Hiram Kümper in seinem Buch „Der Traum vom Ehrbaren Kaufmann“ festhält. Darin beschäftigt er sich mit der Geschichte der Hanse. Der Handel mit Hering trug maßgeblich zum Aufstieg des Bundes bei, dem unter anderem die Städte Riga, Hamburg und Köln angehörten.
Zunächst war die von der Hanse kontrollierte Ostsee der bevorzugte Fischgrund. Erst als die Bestände um 1500 merklich zurückgingen, machten die Niederländer mit dem Nordsee- und Atlantikhering das große Geschäft. Rund 200 Millionen Heringe pro Jahr zappelten bald schon in den Netzen der Fischer. Dazu trugen vor allem zwei Faktoren bei: große Flotten, bestehend aus bis zu 500 „Heringsbüsen“, die tagelang den Schwärmen auf hoher See folgen konnten, und der Zugriff auf Salz, um den Fang zu pökeln und damit haltbar zu machen.
Bestände stehen unter Druck
Dieses Salz stammte teilweise von den Kanarischen Inseln und aus Venezuela. Der Heringshandel avancierte damit zu einem frühen Beispiel für die Globalisierung – inklusive Schattenseiten wie der Ausbeutung von Sklaven und einheimischen Arbeitskräften. Denn auch Letztere sahen von den Erlösen kaum etwas. Viele Fischer lebten in bitterer Armut. Die fetten Gewinne strichen die in den Städten lebenden Investoren ein.
Heutzutage geben andere Begleiterscheinungen Grund zur Sorge. Viele Bestände stünden wegen Klimawandel und Überfischung unter Druck, erläutert Philipp Kanstinger vom WWF. Zudem werde der meiste gefangene Hering für die Produktion von Tierfutter „verschwendet“, etwa in der Lachszucht. Gleichwohl seien Heringe mit die nachhaltigsten essbaren Fische, sagt Kanstinger. Verbraucher sollten allerdings auf das MSC-Siegel achten. Der so zertifizierte Hering aus der Nordsee werde nicht überfischt.
Laut Zahlen des in Hamburg ansässigen Fisch-Informationszentrums steht der Hering bei den Deutschen weiter hoch im Kurs. 2021 konsumierte jeder Bundesbürger im Schnitt 13,5 Kilo Fisch und Meeresfrüchte, davon 1,5 Kilo Hering. Damit landete der Hering hinter dem Thunfisch auf Platz vier der beliebtesten Arten.
Alaaf und Helau: Auch in diesem Jahr werden sich hartgesottene Karnevalisten nach den „tollen Tagen“ auf ein Katerfrühstück mit Heringssalat freuen. Die Altvorderen gaben mit dem Verzehr von Hering noch anderem Ungemach eins auf die Flossen, wie aus Jacob Westerbaens Gedicht hervorgeht. „Hilft, dass man auch gut pisst / Und alles, was man isst, / Kann (mit Verlaub) abführen. / Ganz einfach wird das Kacken, / Darmwinde nicht mehr zwacken, / Sodass wir neue Lust nach Speis und Trank verspüren.“