Als die Demokratie in Flammen aufging

Jugendliche und junge Erwachsene kennen sich laut einer neuen Studie in der NS-Geschichte nicht sonderlich gut aus – wollen aber mehr darüber wissen.
Als die Demokratie in Flammen aufging

Bild von Jörg auf Pixabay

Berlin – Jugendliche und junge Erwachsene kennen sich laut einer neuen Studie in der NS-Geschichte nicht sonderlich gut aus – wollen aber mehr darüber wissen. Ein Datum, das man sich merken sollte, ist der 27. Februar 1933. An diesem Tag ist die Spannung in der Hauptstadt ist mit Händen zu greifen. Seitdem Reichspräsident Paul von Hindenburg am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt hat, nehmen Gewalt und Terror in Berlin zu. Dass sich die Nationalsozialisten mit der „Machtergreifung“ – die tatsächlich eine Machtübertragung war – nicht zufrieden geben würden, ist ein offenes Geheimnis. Gerüchte kursieren, wonach die neuen Herren einen Vorwand für eine weitere Radikalisierung suchen, zum Beispiel in Form eines inszenierten Attentates auf Hitler.

An einem Montagabend vor 90 Jahren, am 27. Februar, passiert dann etwas ganz Anderes: „Das geplante Attentat hat heute stattgefunden, aber nicht auf Hitler, sondern auf das Reichstagsgebäude“, notiert Harry Graf Kessler, Chronist der Weimarer Republik. Der Reichstag, die Herzkammer der Demokratie, steht in Flammen. Bis 23.00 Uhr kämpfen die Einsatzkräfte darum, den Brand unter Kontrolle zu bringen. Am schlimmsten trifft es den Plenarsaal. Die Glasscheiben der Kuppel zerbersten, Flammen schlagen in den Winterhimmel über Berlin.

Die Nationalsozialisten fackeln nicht lange

Der amtliche „Preußische Pressedienst“ schreibt wenig später von der schwersten bisher in Deutschland erlebten Brandstiftung. Im Reichstag selbst wird bereits gegen 21.30 Uhr ein 24-jähriger Niederländer verhaftet: Marinus van der Lubbe. Der „Anarchist und Rätekommunist“ bekennt sich zu der Tat. Helfer will er keine gehabt haben – stattdessen soll er das Inferno mit Kohleanzündern herbeigeführt haben.

Die Nationalsozialisten fackeln nicht lange. „Es besteht kein Zweifel, dass die Kommunisten versuchen, durch Brand und Terror die Macht an sich zu reißen“, geifert Joseph Goebbels. Noch in der Nacht durchkämmen Polizeitrupps, verstärkt durch SA und SS, Wohnungen und Büros von Kommunisten und Sozialisten.

„Nicht zuletzt wegen dieses blitzartigen Vorgehens mutmaßten nicht wenige Zeitzeugen, dass die Nationalsozialisten selbst hinter dieser Brandstiftung steckten“, schreibt Daniel Siemens in seiner 2019 erschienenen „Geschichte der SA“ und verweist auf Untersuchungen seines Kollegen Benjamin Hett. Dieser vertrete „mit überzeugenden Argumenten die Ansicht, dass höchstwahrscheinlich ein Sonderkommando von SA-Leuten, die sich gut mit dem Einsatz von Brandbeschleunigern auskannten“, den Brand legte.

Zuletzt machte sich der Publizist Uwe Soukoup in seinem Buch „Die Brandstiftung“ daran, die These vom Alleintäter van der Lubbe zu demontieren. Die Nazis könnten demnach den „armen Hascher“ (O-Ton Graf Kessler) für ihre Zwecke instrumentalisiert haben. Dies würde auch das Verhalten van der Lubbes bei seiner Hinrichtung am 10. Januar 1934 in Leipzig erklären. „Und die anderen?“, soll er kurz vor Vollstreckung ausgerufen haben.

Der Weg zur Willkürherrschaft Hitlers wurde freigegeben

Zu diesem Zeitpunkt saßen die Nazis bereits fest im Sattel. Publizist und Zeitzeuge Sebastian Haffner schrieb dazu später einmal, nicht die Machtübernahme am 30. Januar, sondern der 28. Februar 1933, der Tag nach dem Reichstagsbrand, sei das Schlüsseldatum bei der Etablierung des NS-Regimes gewesen. „An diesem Tag begann mit Massenverhaftungen der staatliche Terror, und an diesem Tag unterzeichnete Hindenburg die ‚Verordnung zum Schutze von Volk und Staat‘, die zur wirklichen Magna Charta des Dritten Reiches wurde. Mit ihr wurden alle Grundrechte aufgehoben und der Weg zur Willkürherrschaft Hitlers freigegeben.“

Die deutsche Justiz sollte van der Lubbe erst rund 75 Jahre später rehabilitieren. Kürzlich erst wurde sein Leichnam exhumiert. Untersuchungen sollen unter anderem klären, ob er bei dem seiner Hinrichtung vorausgehenden Schauprozess unter Drogen gesetzt wurde. Und der Reichstag? Dort tagt heute der Deutsche Bundestag. Über dem Gebäude erhebt sich seit 1999 die Kuppel des britischen Architekten Sir Norman Foster.

Im Innern des Gebäudes erinnerte der damalige Bundestagspräsident Norbert Lammert 2008 zum 75. Jahrestag des Brandes an die Aufgabe aller Bürger, sich für die Demokratie einzusetzen. Zu den Zuständen von 1933 beigetragen hätten nicht zuletzt „ein erschreckender Mangel an Einsicht und Zivilcourage auch bei prominenten Vertretern der Wirtschaft, der Medien, der Kirchen wie der Universitäten“.

Von Joachim Heinz (KNA)