„Die Droste“ starb vor 175 Jahren

Annette von Droste Hülshoff wehrte sich gegen Konventionen und blieb doch der Adelswelt verhaftet. Vor 175 Jahren starb eine der bedeutendsten Dichterinnen.

Sie gilt als eine der bedeutendsten deutschen Dichterinnen des 19. Jahrhunderts. Ihre Novelle „Die Judenbuche“ ist weiterhin Schulstoff, „Der Knabe im Moor“ und „Am Turme“ fehlen in kaum einer Gedichte-Sammlung. Am 24. Mai 1848, vor 175 Jahren, ist Annette von Droste Hülshoff im Alter von nur 51 Jahren auf der Meersburg am Bodensee gestorben.

Die Lebenszeit der Droste fiel in eine Epoche starker Umbrüche. Napoleons Kriege, Industrielle Revolution und demokratische Revolution: Als die Autorin starb, war von der scheinbar stabilen Welt des westfälischen Adels nicht mehr viel übrig.

Geboren wurde die „Stockwestfälin“, wie sie sich selber nannte, am 10. Januar 1797 an einem unwirtlichen Wintertag auf dem Wasserschloss Hülshoff, rund 15 Kilometer von Münster entfernt. Das Siebenmonatskind war kaum lebensfähig. Annette blieb ihr ganzes Leben kränklich, war stark sehbehindert. Aber sie war eine Kämpfernatur. Früh zeigte sich ihre große Begabung: Sie war hoch musikalisch, mit fünf Jahren formulierte sie druckreife Gedichte.

Annette hat die konservativen Wertmaßstäbe schon in jungen Jahren verinnerlicht. Sie versuchte, den weiblichen Tugenden der Biedermeierzeit – Bescheidenheit, Gehorsam, Demut – zu entsprechen. Zugleich wollte die Dichterin aus Strukturen ausbrechen. Sie wehrte sich gegen mütterliche Bevormundung, interessierte sich für Naturwissenschaften, erweiterte ihre Freiräume durch Reisen und machte sich damit innerhalb ihrer verzweigten Familie zum Außenseiter.

Kein kurzfristiger Erfolg

Das dichterische Werk der Droste, von dem der Gedichtszyklus „Das geistliche Jahr“ als das wichtigste Stück der religiösen Dichtung des 19. Jahrhunderts gilt, war zu ihren Lebzeiten nur Wenigen bekannt. Erst 1842 wurde „Die Judenbuche“ veröffentlicht, die ihr den Durchbruch brachte. Die Novelle ist, wie die meisten ihrer Werke, in Westfalen angesiedelt.

Der Droste kam es nicht auf kurzfristigen Erfolg, sondern auf langfristige Wirkung an. „Ich mag und will jetzt nicht berühmt werden, aber nach hundert Jahren möcht ich gelesen werden“, vertraute sie einer Freundin an. Ihren literarischen Ruhm hat die Autorin auch dem Umstand zu verdanken, dass man sie im „Kulturkampf“ der 1870er-Jahre zu einer Galionsfigur des katholischen Deutschlands stilisierte.

Zuletzt feiert die Droste erneut eine Renaissance. Viel dazu beigetragen hat der 2018 erschienene Roman „Fräulein Nettes Kurzer Sommer“ von Karen Duve, der sie als junge Dichterin zeigt, die sich der erwarteten Frauenrolle nicht fügt; die von ihren adeligen Verwandten und Dichterfreunden um Wilhelm Grimm als störrisch und vorlaut empfunden wird.

Auch die Stadt Münster hat das Droste-Erbe fest im Blick: Die 2012 gegründete Annette-von-Droste-zu-Hülshoff-Stiftung kümmert sich um den Erhalt von Burg Hülshoff und Park mit dem Museum. 2012 wurde die Burg für rund 2,5 Millionen Euro saniert. Zum Ensemble gehört auch das nur wenige Kilometer entfernte Rüschhaus, in das Annette nach dem Tod des Vaters übersiedelte und das sie ihr „Schneckenhäuschen“ nannte.

Lyrikweg verbindet die Lebensorte

Ein Center for Literature bietet Kulturprogramme mit Lesungen, Ausstellungen, Filmen und literarischen Exkursionen im Münsterland. Es hat auch die Sonderausstellung „Droste digital. Handschriften – Räume – Installationen“ organisiert, die anhand digitalisierter Originalhandschriften Einblick in den kreativen Schreibprozess der Autorin gibt.

Ein rund sieben Kilometer langer Lyrikweg verbindet die Lebensorte der Dichterin und lädt dazu ein, die „Droste-Landschaft“ mit Heide, Wallhecken und von Schwertlilien umkränzten Weihern zu entdecken. Eine App zum Lyrikweg erweitert mit Hörstücken die Droste-Landschaft. Ein Hauptprojekt des Westfälischen Literaturarchivs ist seit 2018 die Digitalisierung des Meersburger Nachlasses.

Für die Germanistin Anke Kramer, wissenschaftliche Leiterin der Droste-Forschungsstelle bei der Literaturkommission des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, hat die Dichterin auch aktuell viel zu sagen. Sie habe die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse ihrer Zeit in ihren Werken verarbeitet und sich zum Beispiel mit ökologischen Fragen auseinandergesetzt. Auch habe sie tiefe Glaubenszweifel gehabt. „Sie geriet in schwere Krisen und stand dabei unter genauer Beobachtung durch ihre strenggläubige Verwandtschaft“, so Kramer.

Auf die Frage, ob die Dichterin Feministin war, antwortete die Wissenschaftlerin: „Wenn man Feminismus als Kritik an der strukturellen Benachteiligung von Frauen versteht, dann war Droste ganz klar Feministin.“ Sie sei dabei vorsichtig gewesen und habe alte Traditionen nicht einfach ausgekippt.

Von Christoph Arens (KNA)