Missbrauchsskandal um Jesuiten zieht weitere Kreise

Im Missbrauchsskandal um einen inzwischen gestorbenen spanischen Jesuitenpater, der Direktor einer Schule in Bolivien war, kommen Zug um Zug neue Details ans Licht. Das ganze Ausmaß der Vorfälle ist noch nicht abzusehen.

Kaum ein Tag in Bolivien vergeht, an dem im Missbrauchsskandal um einige Jesuitenpatres nicht neue Nachrichten ans Tageslicht kommen. Den Stein ins Rollen brachten Recherchen über einen inzwischen gestorbenen spanischen Priester, der in den 80er Jahren Dutzende Minderjährige missbraucht haben soll. Die Tageszeitung „El Pais“ hatte Zugang zum Tagebuch des Jesuiten. Daraus soll hervorgehen, dass er während seiner Tätigkeit als Lehrer an katholischen Schulen in Bolivien bis zu seinem Tod 2009 Dutzende von Kindern missbraucht habe. Nun zieht der Fall immer weitere Kreise. An diesem Wochenende legte „El Pais“ nach und berichtete, zwei weitere Jesuiten hätten an der Schule Johannes XXIII. in Cochabama Schülerinnen missbraucht.

Der Neffe des Priesters fand das Tagebuch 2021 und wandte sich daraufhin an die Ordensgemeinschaft in Bolivien und an die Leitung der betroffenen Schule. Er suchte auch den Kontakt zu Schülerverbindungen, deren Mitglieder einst an der Schule unterrichtet wurden. Er wandte sich auch an die spanische Staatsanwaltschaft, die den Fall allerdings als verjährt ansah. Schließlich nahm der Neffe Kontakt zur Zeitung „El Pais“ auf und stellte die Informationen zur Verfügung. Die Redaktion machte die Recherchen dann öffentlich.

Laut den vorliegenden Informationen ist davon auszugehen, dass der Pater 89 Vergewaltigungen von Minderjährigen in seinem Tagebuch gestand. Der letzte Eintrag stammt vom 11. Oktober 2008. Die Schlüsselfigur des Falles, genannt „Padre Pica“, wurde am 10. Juni 1943 im spanischen Valencia geboren. Er kam 1971 nach Bolivien, nachdem er ein Jahrzehnt in Peru und Ecuador gearbeitet hatte. Unter anderem war er Ausbilder von Novizen in einem Priesterseminar und Direktor der betroffenen Schule in Cochabamba. Zudem wurde der Ordensmann in zwei weiteren Schulen sowie in der Strafvollzugsanstalt für Minderjährige in La Paz eingesetzt. Er starb im September 2009 in Cochabamba.

Das Tagebuch des Jesuiten soll zudem Hinweise auf ein Netzwerk von Vertuschungen geben. Es sei davon auszugehen, dass mindestens sieben Vorgesetzte sowie ein Dutzend Kirchenvertreter von den Vorgängen wussten.

Ehemalige Schüler wie auch ein ehemaliges Mitglied der Ordensgemeinschaft berichteten laut weiteren Medienberichten, dass vorherige Hinweise auf die Vergehen in den Schulen in der Vergangenheit zu Repression oder Ausschluss der Hinweisgeber geführt hätten. Inzwischen haben sich weitere Schüler gemeldet und verweisen darauf, dass die Vorwürfe bekannt gewesen seien, aber ungeahndet blieben.

In einer ersten Reaktion bedauerten die bolivianischen Jesuiten „das den Opfern zugefügte Leid“ und erklärten: „Wir schämen uns für diese Situation.“ Die Ordensgemeinschaft habe ihrerseits 2022 eine Untersuchung gegen den Beschuldigten in einem Fall eingeleitet und sei dabei zu dem Schluss gekommen, dass in diesem Fall die Vorwürfe zutreffend seien. Die Gemeinschaft wolle nun den Betroffenen zuhören und ihren Teil zur Aufklärung beitragen.

Generalstaatsanwalt Wilfredo Chavez kündigte eine umfangreiche Untersuchung an. Wenn der verstorbene Jesuit nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden könne, dann doch diejenigen, die vertuscht hätten: „Wir werden nicht aufhören, bis das Urteil vollstreckbar ist und die Verantwortlichen ihre Strafe verbüßen und das Geschehene vollständig wiedergutmachen. Es muss eine exemplarische strafrechtliche Sanktion geben, die die systematische Vertuschungsstruktur, die es im Land seitens der katholischen Kirche gab, ein für alle Mal durchbricht“, sagte Chavez in einem Interview mit „El Pais“.

Auch die Spitze der bolivianischen Politik hat den Missbrauchsskandal inzwischen kommentiert. Boliviens linksgerichteter Präsident Luis Arce forderte, dass die ganze Härte des Gesetzes angewendet werden müsse, um die Betroffenen zur Rechenschaft zu ziehen. Ex-Präsident Evo Morales, parteiinterner Gegenspieler von Arce und immer noch enorm einflussreich, forderte die Bischofskonferenz auf, den Opfern des Missbrauchs eine ehrliche und keine politische Antwort zu geben.

Von Tobias Käufer (KNA)