Forscher warnt vor sozialen Verwerfungen durch Fachkräftemangel

Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, fordert entschiedeneres politisches Handeln gegen den Fachkräftemangel und die Folgen des demografischen Wandels in Deutschland.
Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, fordert entschiedeneres politisches Handeln gegen den Fachkräftemangel und die Folgen des demografischen Wandels in Deutschland.

–Symbolfoto: pixabay

Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, fordert entschiedeneres politisches Handeln gegen den Fachkräftemangel und die Folgen des demografischen Wandels in Deutschland. „Die fehlenden Fachkräfte sind ein existenzielles Problem für zahlreiche Unternehmen und könnten somit zu Verwerfungen innerhalb von Wirtschaft und Gesellschaft beitragen“, sagte Fratzscher der Augsburger Allgemeinen (Samstag). „Wir haben schon heute mit fast zwei Millionen offener Jobs ein erhebliches Fachkräfteproblem, das primär auf die Demografie und die sinkende Zahl an Menschen im erwerbstätigen Alter zurückgeht“, betonte Fratzscher.

Fratzscher: Fünf Millionen Beschäftigte netto gehen Arbeitsmarkt verloren

„Dieses Problem wird sich in den kommenden zehn Jahren massiv verschärfen, da knapp fünf Millionen Beschäftigte netto dem Arbeitsmarkt verloren gehen werden“, warnte der Ökonom mit Blick auf die Altersstruktur. Der Rückgang der Zahl der Beschäftigten könne durch ein Heben der sogenannten Stillen Reserve im Arbeitsmarkt – vor allem einer Erhöhung der Erwerbstätigkeit von Frauen und einer besseren Qualifizierung – und einer stärkeren Zuwanderung abgemildert werden, betonte der DIW-Chef.

Die demografische Entwicklung sei schon jetzt nicht nur bei der Rentenfinanzierung ein großes Problem. „Bereits heute sind die meisten Sozialsysteme in Deutschland nicht mehr ausreichend demografiefest, beispielsweise ist die Rente für viele ältere Menschen nicht auskömmlich und die Belastung durch Sozialabgaben für die junge Generation wird zunehmend zu einem Nachteil im globalen Wettbewerb“, warnte Fratzscher.

Demografischer Wandel für sozialen Frieden Belastungsprobe

Auch für den sozialen Frieden werde der demografische Wandel zur Belastungsprobe. „Eine Bevölkerungsstruktur, bei der immer weniger beruflich aktive Menschen für immer mehr inaktive Menschen mitarbeiten, ist nicht primär wegen einer geringeren Wirtschaftsleistung oder abnehmender Produktivität ein Problem, sondern weil es zu Verteilungskonflikten zwischen diesen Gruppen führt“, betonte Fratzscher.

Die Vorsitzende des Familienausschusses im Bundestag, die SPD-Bundestagsabgeordnete Ulrike Bahr, beklagt, dass die Familienpolitik noch immer nicht den Stellenwert erhalte, den sie vor dem Hintergrund des demografischen Wandels haben müsste. „Es kommen in Deutschland wieder mehr Kinder zu Welt, das liegt auch an der Familienpolitik der vergangenen Jahre“, sagte Bahr der Zeitung. So habe es 2021 mit 795.500 Geburten den höchsten Stand seit fast 25 Jahren geben. „Dennoch wandelt sich die Einstellung in der Gesellschaft und auch in vielen Betrieben bei der Vereinbarkeit von Beruf und Kindererziehung nur langsam“, kritisierte die SPD-Politikerin. „Das traditionelle Frauenbild ist zwar aufgeweicht, doch der Fortschritt ist eine Schnecke.“

Ohne größere Investitionen von Bund und Ländern in die Familienpolitik, wie beispielsweise die Ganztagesbetreuung an Grundschulen oder die Kindergrundsicherung, werde der demografische Wandel nicht zu stemmen sein, betonte Bahr.

kna