Die Seelsorge-Feuerwehr: Ulrich Slatosch geht in den Ruhestand

Nach 24 Jahren als erster Beauftragter für die Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst im Bistum Essen geht Ulrich Slatosch in diesen Tagen in den Ruhestand.
Die Seelsorge-Feuerwehr: Ulrich Slatosch geht in den Ruhestand

Diakon Ulrich Slatosch geht als bistumsweiter Koordinator für die Seelsorge bei Feuerwehr und Rettungsdiensten in den Ruhestand. –Foto: Achim Pohl | Bistum Essen

Nach 24 Jahren als erster Beauftragter für die Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst im Bistum Essen geht Ulrich Slatosch in diesen Tagen in den Ruhestand. Nach maßgeblicher Aufbauarbeit in der Notfallseelsorge für Rettungskräfte, aber auch für die Bevölkerung bleibt der ausgebildete Feuerwehrmann und Diakon dem Thema auch als Ruheständler verbunden.

1993 waren Feuerwehrleute noch richtig harte Kerle (und ganz wenige, nicht minder harte Frauen). Zumindest dachten das wohl die Feuerwehrchefs im Märkischen Sauerland, als ihnen der Feuerwehrmann Ulrich Slatosch seinerzeit ein erstes Konzept für die seelsorgliche Betreuung von Einsatzkräften präsentierte. Ihr Tenor: „Das brauchen wir nicht.“ 30 Jahre später geht Diakon Ulrich Slatosch als der erste hauptamtliche Seelsorger für Feuerwehr und Rettungsdienst im Bistum Essen in den Ruhestand. Dank Pionierarbeit wie die von Ulrich Slatosch ist heute sowohl die Notfallseelsorge, die Menschen nach dramatischen Ereignissen unterstützt, als auch die seelische Betreuung von Einsatzkräften und deren Angehörigen Standard und fest in die Einsatzpläne der Feuerwehren integriert.

Eigentlich wollte Slatosch Lehrer werden, hatte Katholische Religion und Erdkunde für Gymnasium und Berufsschule studiert – bekommt aber mit dieser Fächerkombination keinen Job. Über den Zivildienst lernt er dann die Feuerwehr kennen und entscheidet sich schließlich für die Ausbildung und Laufbahn der Blauröcke. Schon Anfang der 1990er Jahre engagiert er sich in einer ersten landesweiten Initiative „Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst“ und gründet – nach seiner Abfuhr in Sachen Seelsorge für Einsatzkräfte – 1996 das erste Notfallseelsorge-System im Märkischen Kreis. „Auslöser war damals eine Schicht auf dem Rettungswagen“, erzählt Slatosch. „Als wir da einen Mann nicht wiederbeleben können, hält mich dessen Frau fest und sagt: ,Sie bleiben hier!‘“

Die Frau hatte keine Angehörigen und niemand, der ihr in dieser Ausnahmesituation hätte helfen können. Slatoschs Einwände, dass sie weiter müssten und der Rettungswagen anderswo gebraucht werde, zählen nicht. Also setzt sich Slatosch mitten in der Nacht ans Telefon, versucht lange erfolglos, Seelsorgende zu erreichen, und weiß danach, dass sich etwas ändern muss. „Mein Prinzip ist: Wenn ich etwas verändern will, muss ich es selbst verändern.“ Also ist Slatosch bis heute Koordinator der Haupt- und Ehrenamtlichen, die nach einer entsprechenden Fortbildung von der Feuerwehrleitstelle im Märkischen Kreis gerufen werden, wenn Menschen seelischen Beistand brauchen. Slatosch zeigt auf sein Handy: „Ich bin praktisch seit 1996 in Rufbereitschaft.“

Feuerwehren baten um Seelsorge-Unterstützung

Drei Jahre später sorgt der damalige Seelsorgeamtsleiter im Bistum Essen, der im Dezember verstorbene Heinrich Heming, dafür, dass der Feuerwehrmann Slatosch zur Kirche wechselt. Heming kennt Slatosch als Pfarrgemeinderatsvorsitzenden und hört mittlerweile – so ändern sich die Zeiten – von großen Feuerwehren immer lauter den Wunsch nach einer seelsorglichen Betreuung ihrer Einsatzkräfte. Heming beauftragt Slatosch mit diesem Job, der sich indes in seinem Arbeitsvertrag zusichern lässt, auch weiter einmal im Monat eine 24-Stunden-Schicht bei der Feuerwehr fahren zu dürfen. „Ich wollte den Praxisbezug nicht verlieren“, sagt Slatosch.

Mit dieser Nähe zur Feuerwehr kann er punkten, als er in den folgenden Jahren die fünf katholischen Bistümer und die drei evangelischen Landeskirchen an einen Tisch holt, um gemeinsam – und von Beginn an ökumenisch – Standards für die Notfall- und die Feuerwehr-Seelsorge zu entwickeln. Parallel dazu wird der gelernte Lehrer Slatosch Ausbilder am Institut der Feuerwehr in Münster. Und er lässt sich zum Ständigen Diakon ausbilden. Als Feuerwehrmann unter lauter Theologen? „Ich stand schon immer unter einem starken Rechtfertigungszwang“, reflektiert er heute die Anfangsjahre in der Bistumsverwaltung. Doch Kirche und Feuerwehr seien „beides streng hierarchische Systeme, damit komme ich gut klar“. Immer wieder wird er um Rat gefragt, in neue Arbeitsgruppen berufen und ist bei Großeinsätzen wie der Fußball-Weltmeisterschaft, dem Papstbesuch in Köln oder auch der Loveparade-Katastrophe in Duisburg selbstverständlicher Teil des Krisenstabs.

Zuhören und Beistand leisten: „Ich bin der Ich bin da für dich“

Doch Seelsorger ist Slatosch vor allem im Einsatz. Irgendwo zwischen zuckenden Blaulichtern, hektischen Einsatzkräften und irritierten Betroffenen. „Wenn ich zu einem Einsatz komme, bin ich der ruhende Pol“, beschreibt Slatosch. Alle anderen haben eine feste Aufgabe, mein seelsorglicher Jobist es, die Menschen in den Blick zu nehmen. „Unsere Tätigkeit ist die Übersetzung des Namens Gottes: ,Ich bin der Ich bin da für dich‘. Ich bin da, höre zu, leiste Beistand.“ Manchmal kommt ihm das selbst zu wenig vor – doch dann hört er später, wie wertvoll dieser Dienst ist. Wie nach dem schweren LKW-Unfall, als ein Sattelzug von einer Autobahnbrücke gestürzt und auf die Zugmaschine geprallt war. „Es war klar, da musste noch ein Mensch drin sein“, sagt Slatosch, aber es habe Stunden gedauert, die Leiche zu bergen.

In der Zeit seien immer wieder Feuerwehrleute zu ihm gekommen und hätten ihm von früheren schweren LKW-Unfällen erzählt. Eigentlich nichts besonders. „Aber ein Jahr später hat mir ein Feuerwehrmann gesagt, dass es in dieser angespannten Situation mit das Wichtigste für ihn gewesen sei, dass da jemand zum Reden gewesen wäre.“ Manche Einsätze sind jedoch auch deutlich dramatischer: Als beim Hochwasser im Sommer 2021 in Altena ein Feuerwehrmann beim Aussteigen aus dem Mannschaftsfahrzeug vom Wasser fortgerissen wird und nicht mehr gerettet werden kann, „habe ich die Kameraden im Einsatz am Telefon unterstützt“.

Für diese Aufgabe müsse man nicht zwingend Seelsorger oder gar Diakon sein. In anderen Situationen mache jemand, der seelsorglich geschult ist, aber sehr wohl einen Unterschied, sagt Slatosch: „Manchmal spreche ich nach einem Einsatz mit Todesopfern an der Unglücksstelle ein kurzes Gebet für die verstorbene Person. Da kommen dann auch einige Einsatzkräfte dazu. Und selbst Menschen, die mit dem christlichen Glauben nichts anfangen können, sagen mir: Dass wir jetzt an den denken, das tut gut.“

Doch Beten allein hilft nicht, dass aus einer psychischen Belastung wie bei einem schweren Einsatz keine Belastungsstörung wird. Heute sei vor allem die Vorbereitung der Einsatzkräfte, die Schulung und Weiterbildung ein wichtiger Arbeitsbereich der Feuerwehrseelsorge und der Psychosozialen Unterstützung (PSU), wie es offiziell heißt. „Am Anfang meiner Tätigkeit stand der Umgang mit dem Tod sehr im Fokus“, sagt Slatosch. Heute gehe es vor allem darum, belastende Bilder zu verarbeiten. Da helfe es schon, den von solchen Bildern betroffenen Menschen zu erklären, dass Reaktionen wie Schlafstörungen oder Niedergeschlagenheit völlig normale Auswirkungen eines solchen Erlebnisses sei. Bei Feuerwehr und Rettungsdienst sei heute bei der Nachbereitung von Einsätzen auch der Blick auf das emotionale Erleben ein fester Bestandteil der Reflektion. Und wo die akute Hilfe nicht ausreiche, würden Seelsorge und PSU-Teams zu Psychotherapie-Praxen und Beratungsstellen vermitteln.

Der Ruhestand des Bistumsbeauftragten für die Feuerwehr- und Rettungsdienstseelsorge, scheint an Slatoschs Arbeitspensum nicht viel zu ändern. Als Leiter des PSU-Teams im Märkischen Kreis und als Vertreter der NRW-Bistümer und –Landeskirchen beim Verband der Feuerwehren ist der Mitt-Sechziger sowohl vor Ort als auch landesweit noch gut eingebunden. Nur sonntags zieht Diakon Slatosch statt der Einsatzjacke lieber die Albe für den Gottesdienst mit der Altenaer St.-Matthäus-Gemeinde über. Doch das Rufbereitschafts-Handy bleibt auch während der Messe auf (Vibrations-)Empfang. Wenn der Diakon hin und wieder schon vor dem Segen verschwindet, weiß die Gemeinde, dass Slatosch als Seelsorge-Feuerwehr im Einsatz ist.

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