Boliviens Linksregierung hat Papst Franziskus aufgefordert, alle Daten und Erkenntnisse über Missbrauchsfälle in der Kirche offenzulegen. Auf den Prüfstand sollen auch alle Abkommen zwischen Kirche und Staat kommen.
La Paz – Missbrauchsvorwürfe gegen Mitglieder des Jesuitenordens in Bolivien haben nun auch die Politik erreicht. Wie lokale Medien (Dienstag Ortszeit) berichteten, fordert der linksgerichtete Präsident Luis Arce den Vatikan auf, alle kirchlichen Unterlagen und Dokumente über zurückliegende Missbrauchsfälle für Boliviens Behörden zugänglich zu machen.
Die Zeitung „El Deber“ berichtet, Arce habe den Vatikan in einem direkt an den Papst („Bruder Franziskus“) gerichteten Brief offiziell aufgefordert, der bolivianischen Justiz Zugang zu den Kirchenarchiven im Land zu gewähren. Zudem wolle die Regierung Informationen über den Hintergrund jener Ordensleute erhalten, die künftig nach Bolivien kommen. Auch wolle die Regierung die derzeit geltenden Abkommen überprüfen und später dann ein neues bilaterales Abkommen zwischen Bolivien und dem Heiligen Stuhl verhandeln.
Der Staat behalte sich das Recht vor, künftig darüber zu entscheiden, ob neue ausländische Priester und Ordensleute ins Land gelassen werden, die sich in der Vergangenheit sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen schuldig gemacht haben. „Kein Priester, der in der Vergangenheit Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht hat, sollte in unserem Land als Erzieher oder geistliche Führung arbeiten“, zitiert „El Deber“ aus dem Schreiben des Präsidenten.
„Diese Jahre der Straflosigkeit können nicht endlos weitergehen, ohne dass die Justiz die Verantwortlichen zur Rechenschaft zieht“, heißt es weiter. „Ich fordere, dass die bolivianische Justiz Zugang zu allen Akten, Aufzeichnungen und Informationen erhält, die sich auf die Anschuldigungen und den sexuellen Missbrauch durch katholische Priester und Ordensleute auf bolivianischem Territorium beziehen.“
Bolivien habe in der Vergangenheit ausländischen Kirchenmitgliedern Einreise, Aufenthalt und die bolivianische Staatsangehörigkeit ermöglicht, um einen religiösen und erzieherischen Auftrag zu erfüllen, so der Präsident. Mehrere Priester hätten diese Privilegien aber missbraucht, um im Land Verbrechen zu begehen.
Den Stein ins Rollen gebracht hatten Recherchen über einen 2009 gestorbenen spanischen Jesuiten. Er soll in Bolivien als Lehrer an katholischen Schulen, einem Seminar für Priesternachwuchs und in einer Strafvollzugsanstalt für Minderjährige seit den 80er Jahren mindestens 89 Minderjährige missbraucht haben. Die Zeitung „El Pais“ hatte nach eigenen Angaben Zugang zum Tagebuch des namentlich bekannten Jesuiten, der „Padre Pica“ genannt wurde. Der letzte einschlägige Tagebucheintrag stamme vom 11. Oktober 2008. Das Tagebuch des Jesuiten soll zudem Hinweise auf ein Netzwerk von Vertuschungen geben.
Inzwischen gibt es weitere Vorwürfe gegen verstorbene Angehörige der Jesuiten. In einer Reaktion bedauerte die bolivianische Provinz des Ordens das den Opfern zugefügte Leid. Weiter heißt es: „Wir schämen uns.“