Wo war das älteste Jerusalem?

Jerusalem ist ein Pulverfass mit vielen Problemen: politischen, religiösen, wirtschaftlichen und sozialen. Nun kommen auch noch archäologische hinzu – die die Sicht auf die Stadtgeschichte umkrempeln könnten.
Jerusalem ist ein Pulverfass mit vielen Problemen: politischen, religiösen, wirtschaftlichen und sozialen. Nun kommen auch noch archäologische hinzu - die die Sicht auf die Stadtgeschichte umkrempeln könnten.

(Symbolfoto: Tom Tihanyi/Pixabay)

„Ir David“ (Davidsstadt) steht mit goldenen Lettern am Eingang zum Ausgrabungsgelände südlich des Tempelbergs, am Beginn des arabischen Dorfs Silwan. Die Davidsstadt gilt als der älteste besiedelte Teil Jerusalems, der in vorbiblische Zeit zurückreicht. Hier haben Archäologen jeden Quadratmeter erforscht; die eisenzeitliche Stützmauer der Jebusiter, die König David besiegt hat, freigelegt und daneben auch angebliche Reste seines Palastes gefunden. Und es passt auch topographisch, dass David laut der Bibel von hier aus zum Berg Moria hinaufstieg und jenes Gelände erwarb, auf dem eine Generation später sein Sohn Salomon den ersten Tempel errichtete.

Diese seit einem Jahrhundert gefestigte Jerusalemer Urgeschichte könnte Nadav Naaman, Historiker der Universität Tel Aviv, mit einer neuen Studie ins Wanken bringen. Seine These: Nicht in der heutigen, von einer rechtsgerichteten Siedler-NGO verwalteten Davidsstadt lag im zweiten Jahrtausend vor Christus das Regierungszentrum Jerusalem, sondern auf dem Tempelberg. Nach dieser Theorie umfasste die Stadt damals zwei unterschiedliche Viertel: den Tempelberg als Sitz des Königs und seiner Verwaltung sowie den südlich anschließenden Hügel mit der Besiedlung und der Gihon-Quelle. In ebendieser dauerhaften und einzigen Quelle weit und breit, die zudem stark befestigt war, sahen Forschergenerationen bislang ein starkes Argument für die Stadtanfänge.

Naaman belegt seine These, die er am Freitag in Tel Aviv präsentierte, mit fragmentierten Keilschrifttafeln und ägyptischen Siegelabdrücke aus der mittleren bis späteren Bronzezeit (1800-1400 v.Chr.). Sie waren bei Grabungen am Ophel-Hügel gefunden worden, also oberhalb der Davidsstadt. Demnach stammen sie aus der Zeit, in der die kanaanitische Stadt Urusalim in ägyptischen Texten erwähnt wird. Und da der ägyptische Fund Befehle des Pharao enthalten haben soll, folgert Naaman, dass es während der Bronzezeit irgendwo oberhalb des Ophel einen Palast und ein Verwaltungszentrum gegeben haben muss, in dem Schreiber untergebracht waren, die wichtige diplomatische Korrespondenz entgegennahmen und beantworteten.

Bleibt die Frage. Wie gelangten die Funde zum Ophel unterhalb des Tempelbergs? „Die logischste Erklärung ist, dass sie in den vergangenen Jahrhunderten von oben, also vom Tempelberg, heruntergefegt oder heruntergerollt wurden“, so Naaman. Zudem seien auf dem Ophel Dutzende Skarabäen und Siegelabdrücke aus den 18. bis 16. vorchristlichen Jahrhundert mit ägyptischen ikonografischen Motiven gefunden wurden, mit denen große Behälter mit Lebensmitteln verschlossen wurden. Wo sie genau herkamen, lasse sich nicht analysieren. Offenkundig sei freilich, dass sie „im Ophel in viel größerer Zahl gefunden wurden als in der gesamten Davidsstadt“, so die Studie.

Schon zuvor waren in der Wissenschaft immer wieder Fragen nach der Geschichte und Bedeutung der Davidsstadt aufgetaucht. Zum einen fänden sich auf der Westseite ihres Hügels keine Befestigungen; sie war also für Angreifer offen – eher unüblich für ein Stadtzentrum, hieß es. Zum anderen hätten die Archäologen – wie schon erwähnt – in dem Terrain kaum direkte Funde aus der mittleren und späteren Bronzezeit gemacht.

Schwachstelle der Argumentation ist und bleibt, dass die These nicht mit Grabungen auf dem Tempelberg als dem angeblichen Ort der Stadtanfänge erhärtet werden kann. Sie bleibe also reine Spekulation und könne nicht bewiesen werden, spotteten Anhänger der traditionellen Theorie. Denn archäologische Grabungen auf dem Terrain mit den muslimischen Heiligen Stätten, so Beobachter, könnten einen dritten Weltkrieg auslösen.

Von Johannes Schidelko (KNA)