Durchwachsene Zwischenbilanz zu Umgang mit Missbrauch in Münster

Ein Jahr nach Vorstellung eines Berichts über sexuellen Missbrauch im Bistum Münster haben Bistumsvertreter, Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sowie Betroffene ein unterschiedliches Fazit gezogen.
Ein Jahr nach Vorstellung eines Berichts über sexuellen Missbrauch im Bistum Münster haben Bistumsvertreter, Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sowie Betroffene ein unterschiedliches Fazit gezogen.

Der Dom von Münster. Foto: inextremo96 auf Pixabay

Bei einer Podiumsdiskussion am Dienstagabend in Münster hat der Historiker Thomas Großbölting kritisiert, bisher sei zu wenig über spezifisch katholische Entstehungsbedingungen sexuellen Missbrauchs gesprochen worden. Dazu zählte der Mitautor der Studie zu sexuellem Missbrauch im Bistum Münster mangelnde Verteilung von Macht in der Kirche, Klerikalismus im Priesterbild sowie eine Sexualmoral, die Doppelbödigkeit fördere. „Wir haben beim Rennen im Kampf gegen Missbrauch den Startblock gerade erst verlassen“, so Großböltings Fazit.

Peter Tenbusch als Betroffener lobte, dass er und andere sich mit dem Erscheinen der Studie nicht mehr rechtfertigen müssten. Auch sei Vertuschung in der Kirche heute „nicht mehr wahrscheinlich“. Ob dies aber aus echter Einsicht der Verantwortlichen geschehe oder aus Angst vor Öffentlichkeit, werde unter Betroffenen unterschiedlich gesehen. Sein Fazit: „Die Kirche kann Aufarbeitung nicht allein regeln, sie braucht – wie in anderen Fällen Politik und Unternehmen auch – Anstoß von außen.“

Münsters Bischof Felix Genn verlas bei der Veranstaltung einen kurz zuvor veröffentlichten Brief an haupt- und ehrenamtlich Tätige seiner Diözese. Darin legt er unter anderem eine Übersicht bisher ergriffener Maßnahmen vor, die er jedoch nicht als Erfolgsbilanz verstanden wissen wollte.

„Der Kampf gegen sexuellen Missbrauch ist keineswegs vorbei“, so Genn in dem fünfseitigen Schreiben. Als jüngste Maßnahmen nannte er Pläne zum Umgang mit Gedenken und Gräbern von Missbrauchstätern oder Vertuschern wie auch für eine kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit in seinem Bistum.

So erwarte er bis Anfang September eine mögliche Ordnung für eine Schiedskammer, die ihm der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller vorlegen wolle. Er wolle eine solche Institution errichten, damit Menschen ihre Rechte gegen einen sie betreffenden kirchlichen Verwaltungsakt überprüfen lassen können. Möglichen vatikanischen Bedenken sehe er gelassen entgegen. Zusätzlich plant Genn eine Disziplinarkammer für Maßnahmen gegen Kleriker wegen Verhaltens im sogenannten „Graubereich“.

Zu möglichen Folgen des ebenfalls am Dienstag ergangenen zivilrechtlichen Urteils des Kölner Landgerichts, wonach die Erzdiözese Köln einem Missbrauchsopfer 300.000 Euro Schmerzensgeld zahlen muss, wollte sich Genn noch nicht äußern. Er wie Großbölting waren sich einig, die Folgen müsse man zunächst abwarten. Zugleich warb Genn um Verständnis, wenn die Bekanntmachung von Fällen und Namen für Irritationen und Kritik sorge. In jedem Fall erfolgten Veröffentlichungen nur in Absprache mit den jeweiligen Betroffenen.

Als Mittel gegen Machtmissbrauch, der auch zu sexuellen Übergriffen führen kann, forderte die Wirtschaftspsychologin Lioba Werth sowohl eine strukturelle Teilung und Kontrolle von Macht wie eine entsprechende Ausbildung und ständige Begleitung von Verantwortungsträgern. Es sei ein „Paradoxon der Macht“, dass auch wachsam-selbstkritische Menschen sich in einem Kontext von Macht verändern. „Viele merken dann nicht mehr, dass sie ihre Macht missbrauchen“, so Werth.

Von Roland Juchem (KNA)