„Arme Familien sind selbst schuld an ihrer Lage“ – gegen dieses Vorurteil wendet sich Soziologin Sabina Schutter, Vorstandsvorsitzende des Vereins SOS-Kinderdorf.
Berlin/München – „Arme Familien sind selbst schuld an ihrer Lage“ – gegen dieses Vorurteil wendet sich Soziologin Sabina Schutter, Vorstandsvorsitzende des Vereins SOS-Kinderdorf. „Manchmal heißt es ja: Arme Eltern können nicht mit Geld umgehen. Aber faktisch ist es ja so, dass sie auch viel weniger Geld zur Verfügung haben und damit ein Fehlkauf viel schneller ein Loch ins Portemonnaie reißt“, sagte die Expertin am Montag der Katholischen Nachrichten-Agentur in München.
Zudem sei es wissenschaftlich belegt, dass armutsbetroffene Eltern das ihnen zur Verfügung stehende Geld zuallererst und in der Regel für das ausgäben, was ihre Kinder brauchten.
Mithalten zu können, sei für Familien in Armut in vielerlei Hinsicht schwierig. „Wer sich zu fünft ein Zimmer teilt, kann niemanden einladen“, erklärte die Soziologin. Ähnlich ergehe es Kindern, wenn etwa ein Elternteil psychisch erkrankt sei. Sie wollten oft nicht, dass jemand sie besuchen kommt – „etwa, weil sie sich schämen oder denken, dass das für Mama oder Papa eine zu große Belastung ist. Hier zeigt sich klar: Armut grenzt aus – und das tut weh.“
Auch Bildungskarrieren hingen in Deutschland immer noch sehr von der finanziellen und sozialen Situation des Elternhauses ab, sagte Schutter weiter. Etwa ein Instrument zu lernen sei immer noch ein Privileg.
Schutter wandte sich gegen ein gesellschaftliches Klima, das Armut individualisiere und die strukturellen Armutsursachen außen vor lasse. „Wir müssen uns doch als Gesellschaft die Frage stellen – wollen wir die bittere Realität ‚Arm bleibt arm‘ akzeptieren? Oder müssen wir Lösungen finden, diesen Armutskreislauf zu durchbrechen. Hier kann eine gut ausgestattete Kindergrundsicherung, die auch Leistungen für Bildung und Teilhabe sicherstellt, ansetzen“, so Schutter mit Blick auf die geplante Sitzung im Bundeskabinett Ende August zur Kindergrundsicherung.
Grundsätzlich sieht die Expertin eine zunehmende Armut in der Gesellschaft. So werde in vielen Familien das Geld früher im Monat knapp als bisher. „Die Lebensmittel haben sich deutlich verteuert und das bedeutet, dass zum Beispiel viel öfter junge Menschen zu uns kommen, wenn es einen Mittagstisch gibt oder wenn zusammen gekocht wird.“