Historiker Tillmann Bendikowski sieht in magischem Denken den Ausdruck eines menschlichen Grundbedürfnisses.
Hamburg – Horoskope und Sternzeichen liegen im Trend. Die Nachfrage nach alternativen Behandlungsmethoden bei Krankheiten steigt. Und an einem Freitag dem 13. fürchten viele Menschen, dass Unheil droht. Der Journalist und Historiker Tillmann Bendikowski ist überzeugt: „Wir leben in einer Art magischer Moderne. Auch wenn viele sich das nicht eingestehen wollen. Der Blick in die Geschichte zeigt, dass die Menschen so etwas wie ein spirituelles Grundbedürfnis haben.“ Bendikowski hat gerade ein Buch über Aberglaube und magisches Denken geschrieben, in dem er bis ins frühe Mittelalter zurückblickt.
„Vor allem in Krisenzeiten hat das magische Denken Hochsaison“, erklärt der Hamburger Autor. Als Beispiele nennt er den Einfall der Wikinger im früheren Mittelalter, den Dreißigjährigen Krieg und die Kleine Eiszeit im 17. Jahrhundert. Auch in individuellen Krisen, also bei Krankheit, Tod, Not und Unglücksfällen in der Familie seien übernatürliche Kräfte gefragt. „Not lehrt beten, aber auch Aberglauben“, meint Bendikowski und ist sich sicher: „Magisches Denken hat als kollektive Erfahrung noch immer einen festen Platz in unserem mentalen Rucksack.“
Manche Praktiken und Weisheiten sind hierzulande laut dem Historiker im Laufe der Geschichte verschwunden. So etwa die Überzeugung, dass kleine Kinder nicht in den Spiegel schauen dürften, weil sie sonst kleinwüchsig blieben. Oder der Brauch, Neugeborenen Münzen ins Bett zu legen, um Armut zu verhindern.
Wünschelruten bis heute beliebt
Bis heute beliebt ist hingegen das Werkzeug der Wünschelrute. Meist in Gestalt eines Haselnusszweigs, sollte sie ursprünglich dazu dienen, unterirdische Bodenschätze aufzuspüren. Mitte des 18. Jahrhunderts erhielten professionelle Rutengänger sogar Aufträge von staatlichen Bergbauunternehmen. Obwohl die Methode damals schon umstritten war, machen sich heute immer noch Frauen und Männer mit dem ungewöhnlichen Instrument auf den Weg, um Krankheiten, Erdstrahlen oder Wasseradern aufzuspüren.
Wichtigster Widersacher des magischen Denkens war in der frühen Neuzeit die Kirche. „Der sogenannte Volksaberglaube war immer Konkurrent der christlichen Lehre“, weiß Bendikowski. „Die Kirche musste seit der Reformation dafür Sorge tragen, dass das Glaubensangebot rein und klar gehalten wurde.“ Entsprechend bekämpfte sie den Glauben an nicht-christliche übernatürliche Phänomene – was in der Hexenverfolgung gipfelte, bei der zahlreiche unschuldige Menschen zu Tode gequält wurden.
Besonders die katholische Kirche sei jedoch selbst voll von wundersamen Dingen, so Bendikowski, der selbst Katholik ist. Das reiche von Wunderheilungen über Prozessionen zum Heraufbeschwören besseren Wetters bis hin zur Wandlung von Brot in das Fleisch Jesu im Gottesdienst. „Ein bisschen bekämpfte sie die Geister, die sie selbst rief.“
Einfallstor für antidemokratische Gedanken
Den Kampf gegen den Aberglauben gewann sie jedenfalls nicht. Und auch die Aufklärung konnte das magische Denken nicht aus den Köpfen verbannen. Insbesondere in der Krise am Ende der 1920er Jahren erlebte es dem Historiker zufolge eine Renaissance, um dann in den 1980er Jahren noch einmal neuen Schwung zu bekommen. „Er hält bis heute an und hat sich durch Corona noch einmal verstärkt.“ Hellseher, Hexen- und Teufelsglauben und fernöstliche Praktiken wie Feng Shui erlebten heute einen Boom.
Grundsätzlich ist das aus Sicht von Bendikowski kein Problem. Aber: „Magisches Denken und die damit verbundene Wissenschaftsfeindlichkeit sind ein Einfallstor für antidemokratische Gedanken“, warnt der Autor. Der größte Teil der politischen Verschwörungstheorien wurzele im magischen Denken. Während der Pandemie hätten sich Teile des esoterischen Milieus in Deutschland politisch radikalisiert und gegen Staatlichkeit und Demokratie gerichtet. „Das halte ich für hoch gefährlich.“
In seinem Buch versucht Bendikowski, den beschriebenen Überzeugungen möglichst vorurteilsfrei und respektvoll zu begegnen. „Jeder darf glauben, was er für plausibel hält“, betont er. Es gelte, nicht überheblich zu sein: „Wer sich vom magischen Denken freimacht, sollte genau schauen, ob er wirklich ehrlich ist.“