Der Vatikan und Papst Pius XII. waren nach Meinung des Historikers Gerald Steinacher unmittelbar an der Fluchthilfe für Nazi-Kriegsverbrecher nach dem Zweiten Weltkrieg beteiligt.
Rom – Der Vatikan und Papst Pius XII. waren nach Meinung des Historikers Gerald Steinacher unmittelbar an der Fluchthilfe für Nazi-Kriegsverbrecher nach dem Zweiten Weltkrieg beteiligt. Bei einem Fachkongress über Papst Pius XII. an der Gregoriana-Universität in Rom erklärte der Historiker, die dafür zuständige Päpstliche Kommission habe Pius XII. sehr am Herzen gelegen. Die 1944 gegründete „Päpstliche Hilfskommission“ (PCA) sei eingebettet gewesen in das gesamte karitative Bemühen der Kirche in der gigantischen Notlage mit vielen Millionen Flüchtlingen im Europa der 1940er Jahre.
Seit der Öffnung der Vatikanarchive werde deutlich, wie eng die PCA an das Staatssekretariat angebunden gewesen sei. Die zentrale Regierungsbehörde des Papstes habe die PCA mittelbar und unmittelbar finanziert, sie sei ein integraler Bestandteil der päpstlichen Hilfspolitik gewesen, so der an der University of Nebraska lehrende Österreicher. Wegen der großen Zahl Flüchtlinge in den Nachkriegsjahren habe weder die PCA noch das mit ihr zusammenarbeitende Rote Kreuz in Italien über die Mittel oder das Personal verfügt, die Anträge von Menschen zu prüfen, die um Geleitpapiere baten. Daher sei die sogenannte Rattenlinie, die über kirchliche Kreise in Rom und das italienische Rote Kreuz funktionierte, schon bald eine beliebte Fluchtroute für Kriegsverbrecher geworden.
Oft hätten diese die fehlenden Überprüfungskapazitäten ausgenutzt. In einigen Fällen hätten die kirchlichen Fluchthelfer aber auch gewusst, mit wem sie es zu tun hatten. So etwa im Fall des in Italien gesuchten Kriegsverbrechers Erich Priebke, dem sie zu einem Visum für Argentinien verhalfen, nachdem er sich hatte katholisch taufen lassen. Zwar hätten einige Akteure wie der über Jahrzehnte in Rom wirkende österreichische Bischof Alois Hudal nicht zuletzt auf eigenen Antrieb gehandelt. Aber auch ein Hudal habe „nicht im luftleeren Raum agiert“, sondern im Kontext der kirchlichen Hilfsbemühungen dieser Zeit, so Steinachers Fazit.
Der auch als „brauner Bischof“ bezeichnete Hudal war von 1937 bis 1952 Rektor des deutschsprachigen Priesterkollegs Santa Maria dell’Anima in Rom. Er half Nazis nach Kriegsende bei der Flucht aus Europa. Eine anfängliche geistige Nähe zum Nationalsozialismus wird ihm ebenfalls zugeschrieben. Mit anderen organisierte Hudal die sogenannte Rattenlinie, auf der zahlreiche NS-Angehörige und Kriegsverbrecher über Italien nach Südamerika entkommen konnten. Hudal begründete dies als karitativen Akt für politisch Verfolgte. In einer Kooperation der Anima und des US Holocaust Memorial Museum in Washington wird sein Handeln derzeit genauer erforscht.