Erstmals steht im Vatikan ein ranghoher Kirchenmann vor Gericht. Angelo Becciu soll in fragwürdige Finanzgeschäfte verwickelt gewesen sein. Der Papst hat ihm seine Kardinalsrechte bereits entzogen. Bald fällt das Urteil.
Vatikanstadt – Vor Weihnachten muss Schluss sein, da ist Giuseppe Pignatone deutlich. Nach beinahe 80 Verhandlungstagen kündigte der Vorsitzende Richter am Vatikangericht an, dass er vor dem 16. Dezember ein Urteil sprechen will. Dann wird ein bislang einmaliger Prozess in der Geschichte der katholischen Kirche enden.
Zehn Personen sind angeklagt – darunter erstmals ein Kardinal. Der 75-jährige Italiener Angelo Becciu soll eine Mitverantwortung dafür tragen, dass der Vatikan ein verlustreiches Immobiliengeschäft in London einging. So sieht es jedenfalls Vatikan-Staatsanwalt Alessandro Diddi. Er fordert sieben Jahre und drei Monate Haft sowie rund 10.000 Euro Geldstrafe für die ehemalige Nummer zwei in der zentralen Kirchenleitungsbehörde – dem vatikanischen Staatssekretariat.
Auch den restlichen Angeklagten drohen lange Haft- und hohe Geldstrafen. Die vatikanische Staatsanwaltschaft wirft ihnen unter anderem Erpressung, Geldwäsche, Betrug und Korruption vor. Bei Becciu lauten die Anschuldigungen Veruntreuung, Amtsmissbrauch und Verleitung zur Falschaussage.
In den bald zweieinhalb Jahren seit Prozessbeginn wurden immer weitere Verwicklungen, Nebenschauplätze und Randfiguren offenbar. Im Kern dreht sich die Anklage gegen Becciu aber um die drei Hauptstränge London, Sardinien und Mali.
Dabei wiegen die London-Vorwürfe am schwersten. Ab 2014 investierte das Staatssekretariat in eine Luxusgeschäftsimmobilie in der britischen Finanzmetropole. Offenbar verpasste es der Vatikan dabei, sich neben den Anteilen auch Mitspracherechte zu sichern. Am Ende soll ein Schaden zwischen 139 Millionen und 189 Millionen Euro entstanden sein.
Becciu hatte zu jener Zeit als sogenannter Substitut den zweitwichtigsten Posten im Staatssekretariat inne. Seine Verteidiger sagen allerdings, er habe damals eine nur administrative Rolle gehabt. Die wahre Verantwortung für den London-Deal habe einer seiner Mitarbeiter, Alberto Perlasca, getragen. Pikant ist, dass eben jener Perlasca in dem Prozess als wichtiger Zeuge der Anklage auftritt.
Dem Kardinal werden zudem Überweisungen des Staatssekretariats von insgesamt 125.000 Euro in sein Heimatbistum auf Sardinien vorgeworfen. Nutznießer war die dortige Caritas und eine mit ihr verbundene Gesellschaft. Einer von Beccius Brüdern hatte dort zu diesem Zeitpunkt den Leitungsposten inne.
Weiter soll der Kardinal den Vatikan mit einer vorgeblichen geopolitischen Expertin in Kontakt gebracht haben. Statt für die Befreiung einer entführten Ordensfrau in Mali habe die Frau Vatikan-Gelder in Höhe von 575.000 Euro für Luxusgüter ausgegeben, so die Anklage.
In einem leidenschaftlich vorgetragenen Plädoyer konterten Beccius Anwälte, die Sardinien-Überweisungen hätten rein karitativen Zwecken gedient. Und von der angeblichen Geisel-Verhandlerin sei der Kirchenmann selbst hinters Licht geführt worden. Zudem ließen die Verteidiger nicht ein gutes Haar an Vatikan-Staatsanwalt Diddi. Der habe vorverurteilend argumentiert und keine echten Beweise vorgelegt. Alle Vorwürfe gegen ihren Mandanten seien widerlegt.
Ob der am Ende tatsächlich ins Vatikan-Gefängnis muss, ist offen. Zwar bemüht sich Papst Franziskus, Rechtsstaatsprinzipien im kleinsten Staat der Welt durchzusetzen. Zumindest indirekt dürfte das Wohlwollen des Papstes dennoch einen gewissen Einfluss auf den Prozessausgang haben.
Und was Franziskus will, ist nicht ganz klar: 2020 setzte er Becciu von seinem damaligen Posten als Präfekt der Heiligsprechungskongregation ab und entzog ihm die Kardinalsrechte – nicht jedoch den Titel. Das bedeutet, dass sich der Sarde nach wie vor Kardinal nennen darf, aber zum Beispiel kein Kurienamt mehr ausüben oder einen neuen Papst wählen kann. Zu einer Kardinalsversammlung im Vatikan kurz nach der Absetzung durfte Becciu dann überraschend trotzdem kommen.
Die Zurückweisung durch den Papst scheint den Sarden härter getroffen zu haben als die Anklage selbst. Er sei das Opfer einer Verschwörung und einer Medienkampagne, erklärte er mehrfach und wies alle Anschuldigungen zurück.
Ob Richter Pigntone seinen Argumenten und denen der Verteidiger folgt, soll sich kommende Woche zeigen. Am Montag und Dienstag ergreifen noch einmal Anklage und Verteidigung das Wort. Dann soll nach zweieinhalb Jahren Prozess endlich das Urteil fallen. Aber: Einen genauen Termin gibt es noch nicht.