Propst Markus Pottbäcker macht sich dafür stark, dass die St.-Urbanus-Kirche wieder eine Turmspitze bekommt – Kostenpunkt 1,5 Millionen Euro. Das Projekt ist umstritten.
Rein sachlich gesehen hat die Pfarrei St. Urbanus einen kolossalen Dachschaden – und der ist historisch bedingt: Als Folge des Zweiten Weltkriegs verfügt die im Volksmund „Dom“ genannte neogotische Urbanuskirche über keine Turmspitze mehr. Nach Kriegsende wurde das schwer beschädigte Gotteshaus nur vereinfacht wieder aufgebaut, weswegen der heute 48 Meter hohe Turm nur mehr über einen Flachdachabschluss verfügt.
Turm ohne Spitze ist ein Wahrzeichen für Buer
Zwar kam in den vergangenen acht Jahrzehnten mehrfach der Wunsch auf, diesen Zustand zu ändern, letztlich aber auch immer wieder die Einsicht, dass die pastoralen Notwendigkeiten andere waren – und bereits gesammelte Spenden besser verwendet werden könnten. Der Turm ohne Spitze wurde mithin für Buer zu einem Wahrzeichen. Zwar nicht völlig vergleichbar mit der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin, aber dennoch ebenfalls ein deutliches Mahnmal gegen den Krieg, das beim Betrachten Fragen aufwirft.
Zuletzt war 2008 aus den Kreisen der lokalen Interessengemeinschaft Domplatte die Idee erwachsen, eine moderne Lichtskulptur auf den Turm zu setzen. Gedacht war da an eine Stahlkonstruktion, ähnlich der auf dem Schlossturm in Horst oder des Tetraeders in Bottrop, für die es auch schon Ideen von Künstlern gebe. Der damalige Propst Wilhelm Zimmermann – heute Weihbischof des Bistums Essen – nannte den Gedanken damals „interessant“ und konnte sich eine Realisation vorstellen, „wenn das Akzeptanz in der Öffentlichkeit findet“. Dabei blieb es.
Nun ist die Pfarrei St. Urbanus mit einem neuerlichen Vorstoß an die Öffentlichkeit gegangen und hat auf ihrer Internetseite die Absicht bekundet, die zerstörte Turmspitze unter dem Projektnamen „Melchior“ (hebr.: König des Lichts) als 62 Meter hohes kinetisches Kunstobjekt nachempfinden zu wollen.
Für Umsetzung des Kunstprojektes 1,5 Millionen Euro veranschlagt
Den Angaben zufolge setzt sich nun Zimmermanns Nachfolger, Propst Markus Pottbäcker, zusammen mit dem örtlichen Künstler Christian Nienhaus für die Umsetzung ein, für die nicht näher aufgeschlüsselte Kosten von 1,5 Millionen Euro veranschlagt werden. Erste Spender stünden schon bereit. Um das Vorhaben zu realisieren, werde eine Stiftung gegründet, deren Vorstand neben Pottbäcker und Nienhaus der ehemalige Volksbank-Vorstandsprecher Peter Bottermann sein soll.
Die Initiatoren befinden selbst, seltener sei die Beschreibung „Leuchtturmprojekt“ passender gewesen. Der Entwurf sehe ein offenes Industrie-Stahlkonstrukt vor, das „zum Nachdenken anregen soll“, ob das Werk nun fertig oder noch in der Bauphase sei. Künstler Nienhaus will dies als eine Hommage an das Ruhrgebiet und seine Fördertürme verstanden wissen. Außerdem solle „Melchior“ in verschiedenen Farben leuchten. Die Kirche, so Pottbäcker, könne dadurch wieder zu einem Orientierungspunkt werden.
Den Angaben zufolge sei das Bauvorhaben in den kirchlichen Gremien „sehr wohlwollend aufgenommen worden“. Propst und Künstler freuen sich nach eigenen Worten nun auf einen öffentlichen Austausch über das Vorhaben.
Kritsche Reaktionen auf das Vorhaben der Pfarrei St. Urbanus
Erste Reaktionen am Wochenende waren kritisch: Hier zeige „sich wieder einmal, dass Entscheidungen in kleinen Zirkeln getroffen werden und die Gemeindemitglieder nicht ernst genommen werden“, heißt es etwa in einem Schreiben, das innerhalb der Pfarrei am Wochenende umging. So ein Projekt müsse „im Vorfeld zumindest in der Gemeinde öffentlich diskutiert werden. Wir sollen es uns nicht länger gefallen lassen, immer vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden.“
In der Tat wurde bislang eine breite Debatte in der Pfarrei nicht zugelassen: So wurde das Vorhaben zwar zuletzt in der Pfarrgemeinderatssitzung am 14. November behandelt, aber entgegen der üblichen Gepflogenheiten in einem nicht öffentlichen Teil. Insofern findet sich der Punkt auch nicht im Sitzungsprotokoll, das im Internet veröffentlicht wurde. Eine ernsthafte Diskussion, so ist zu hören, habe es in der Sitzung über das Projekt nicht gegeben.
Unterdessen kritisiert Dr. Markus Frieg, der sich als zweiter Vorsitzender des St.-Urbanus-Bauvereins seit Jahren für die Kirche engagiert: „In den Zeiten, in denen diese Pfarrei massenhaft Kirchengebäude verkauft hat und viele dadurch heimatlos wurden, setzt sich die zentrale Gemeinde selbst die Krone auf, sogar von innen erleuchtet – durch Lampen, nicht durch den heiligen Geist. Sie hinterlässt bei den übrigen Gemeinden eher Bitterkeit.“
„Pietätvoll ist das nicht und ein Zeichen kirchlicher Demut auch nicht“
Er bezweifele, ob die buerschen Bürger stolz darüber seien, künftig einen der „50 größten Türme“ in Deutschland zu haben. Sicher sei hingegen, dass allen „ein Mahnmal des Krieges und Zeichen gegen menschlichen Hochmut genommen und symbolträchtig durch ein Gegenmodell ersetzt wird. Pietätvoll ist das nicht und ein Zeichen kirchlicher Demut auch nicht.“
Man müsse auch fragen: „Wenn soviel Energie in eine Stiftung gesteckt wird, die das Geld dafür beschaffen soll, warum nicht eine solche für dringende Arbeiten am Substanzerhalt?“ Und er nennt als Beispiele „die durch die Corona-Teststelle zerstörte Plattierung des Michaelshaushofes, die seit vier Jahren bekannte Leckage im Kirchendach zwischen Turm und Hauptschiff und das Michaelshaus selbst“.
Auch der renommierte Gelsenkirchener Künstler Walter Ignatowsky, der die regionale Musikszene seit Jahrzehnten mitprägt, meldete Zweifel an: „Wenn man sich in komplexen Zeiten von Gesellschaft- und Kirchenkrisen, ernsthaft mit solch einem Projekt beschäftigt, kann man nur sagen: ‚Du glückliche St.-Urbanus-Gemeinde‘.“
Kirchen flächendeckend geschlossen beziehungsweise abgerissen
Ignatowsky, selbst äußerst kunstaffin, ist sich indes sicher: „Viele Gemeindemitglieder, deren Kirchen flächendeckend geschlossen beziehungsweise abgerissen wurden und die in Hinterhöfe verbannt wurden, werden sicherlich anders über solch ein kinetisches Projekt denken.“ Leuchtturmprojekte könnten es nach seiner Vorstellung sein, „wenn ein lebendiges geistliches, soziales und künstlerisches Miteinander-Leben in der Gemeinde stattfinden würde“. Da Kunst und Kirche „immer schon in einem engen Dialog standen“, hofft auch er auf eine „lebendige Diskussion über den Sinn dieser Lichtinstallation“.
Abseits aller binnenkirchlichen Diskussionen stellt man sich unter Gemeindemitgliedern auch die Frage nach einer möglicherweise fatalen Außenwirkung: Die Arbeitslosenquote in der Ruhrgebietsstadt lag im Dezember bei 12,3 Prozent, rund ein Viertel aller Menschen dort leben von Hartz IV. Was Gelsenkirchen dringend benötige, sei eine wirkungsvolle Sozialpastoral, keine Symbolpastoral.
Dr. Markus Frieg fragt unterdessen auch danach, „welche Art von Folgelasten auf die Gemeinde zukommen“. Er rechnet dabei wegen der offenen Stahlkonstruktion offenbar mit einem besonders handfesten Shitstorm – einem massiven Taubenmistproblem nämlich. Die Folge wäre dann wohlmöglich ein neuer Dachschaden.